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Er legte die notwendigsten Kleidungsstücke an und trat dann an die geheime Tür.

„Nach links hat er das Holzfach geschoben, ich habe es deutlich gesehen“, sagte er zu sich. „Wollen einmal sehen, ob wir es ebenso können.“

Aber er konnte machen, was er wollte, es gelang ihm nicht, die Tür aufzubringen.

„Ein schlauer Patron!“ brummte er verdrießlich. „Es gibt jedenfalls draußen einen Verschluß. Na, morgen wird es ja Gelegenheit geben, das Ding zu untersuchen.“ –

Müller war, als der Alte oben vorhin verschwunden war, ihm leise, ganz leise nachgestiegen. Er mußte sich sagen, daß er ein Wagnis unternehme.

„Wegen Marion“, dachte er. „Wegen ihr geht er zu Rallion. Da muß ich unbedingt hören, was es gibt.“

Er stieg also die Stufen empor; die Laterne hatte er in die Tasche gesteckt. Oben angekommen, erblickte er vor sich einen helleren Schein. Vorher aber fühlte er, daß die Stufen noch weiter in die Höhe führten.

„Da geht es nach der zweiten Etage“, dachte er. „Das gibt eine günstige Rückzugslinie, falls eine rasche Flucht nötig sein sollte. Werde mir das merken.“

Er schlich näher und erreichte die von dem Kapitän nicht wieder verschlossene Öffnung. Er horchte. Er hörte sprechen. Er erkannte Richemontes und Rallions Stimme. Soeben sagte der erstere:

„Vielleicht ist sie für Sie ungewöhnlich, für mich ist sie es aber nicht. Es handelt sich nämlich um Marion.“

Müller kauerte sich nieder, um das Ohr ganz an die Öffnung zu bringen, und verstand nun jedes Wort, welches die beiden Männer sprachen. Er erfuhr also den gegen Marion geplanten Anschlag. Er hätte hineinspringen mögen, um ihnen die Fäuste an die Köpfe zu schlagen, mußte aber seinen Abscheu niederkämpfen, um kein Wort zu überhören.

So hörte er auch den Anschlag, daß Rallion zu Marion eingeschlossen werden sollte. Das war für sein ehrliches Gewissen doch zu viel. Seine Hand, mit welcher er die Laterne in der Tasche hielt, zuckte unwillkürlich. Er kam der Blechhaube zu nahe und verbrannte sich. Augenblicklich entfuhr ihm jener nicht ganz zu unterdrückende Schmerzenslaut, welcher geradeso klingt, wie wenn man die Luft in den Mund zieht, indem man die oberen Zähne fest auf die untere Lippe drückt. Es klingt wie ein scharfes F.

Das war es, was die beiden drinnen gehört hatten. Müller vernahm die Worte:

„Ah! Hörten Sie etwas?“

„Hm. Es war wie ein Seufzer“, antwortete Rallion.

Jetzt war ein schleuniger Rückzug notwendig.

So eilig, wie es nur möglich war, ohne laut zu werden, suchte Müller die Treppe auf; aber anstatt dieselbe hinabzusteigen, floh er nach dem oberen Stockwerk empor – und das war sein Glück. Denn kaum hatte er sechs oder acht Stufen hinter sich, so kam der Alte und leuchtete erst hinab, ging aber dann auch hinunter, um unten umherzuleuchten. Das gab Müller Zeit, vollends emporzukommen und droben seine Laterne hervorzuziehen, um zu rekognoszieren.

Er sah, daß er nicht weiter konnte. Die Stufen hatten hier ein Ende.

„Gut“, dachte er, die Laterne wieder in die Tasche steckend. „Nun gilt es! Nun ist alles egal. Kommt der Kapitän auch nach hier oben, so sieht er mich, und dann werden wir miteinander zu rechnen haben.“

Er zog seinen Revolver hervor, bemerkte aber bald zu seiner Beruhigung, daß er die Waffe nicht brauchen werde, denn der Alte kehrte zurück und begab sich zu Rallion, ohne daran zu denken, seine Untersuchung nach oben fortzusetzen.

„Gott sei Dank“, dachte Müller, indem er einen Seufzer der Erleichterung ausstieß. „Ich will die Gefahr nicht geradezu bei den Hörnern packen. Ich habe genug gehört. Wolle nur Gott, daß mir noch Zeit bleibt, Marion zu warnen.“

Er schlich sich die beiden Treppen hinab bis in den Gang, welcher nach dem Gartenhäuschen führte. Dort blieb er stehen und zog die Laterne wieder hervor. Von dort aus führten ja die verschiedenen heimlichen Treppen nach allen Seiten des Gebäudes empor.

„Bei Marion gibt es also auch einen solchen Eingang“, flüsterte er. „Das ist aus den Worten des Alten zu entnehmen. Durch den Garten nach meiner Stube zurückzukehren und dann zu Marion zu gehen, um sie zu wecken und zu warnen, das wäre zu auffällig und zu zeitraubend. Bis dahin wären diese beiden Menschen längst bei ihr. Ich bin gezwungen, die geheime Tür zu benutzen. Aber wie sie finden?“

Er leuchtete umher und dachte nach.

„Hier diese vierte Treppe muß die richtige sein“, dachte er. „Sie führt nach der Richtung, in welcher Marions Wohnung liegt. Ich werde es versuchen.“

Mit Hilfe der Laterne gelang es ihm, rasch vorwärts zu kommen. Er hatte den weiteren Verlauf des Gesprächs nicht abwarten können und glaubte infolgedessen, daß Marion bereits heute, in dieser Nacht, heimlich eingesperrt werden solle.

Im ersten Stockwerk angekommen, bemerkte er ein ganz ebensolches Loch, wie dasjenige war, welches zu Rallions Schlafzimmer führte. Auch hier gab es zwei Riegel; aber sie waren nicht vor-, sondern zurückgeschoben. Er steckte die Laterne in die Tasche und horchte.

Drinnen regte sich nicht das mindeste. Er schob das Fachwerk langsam auf. Es ließ sich bewegen, ohne daß das geringste Geräusch verursacht wurde. Er steckte den Kopf in die Öffnung und bemerkte, daß er sich vor einem ganz dunklen Raum befand. Er trat in gebückter Haltung ein, zog die Laterne hervor, öffnete sie ein Lückchen und leuchtete vorsichtig umher.

„Gott sei Dank!“ flüsterte er befriedigt. „Marions Wohnzimmer. Ich habe es getroffen; nebenan schläft sie.“

Er schob das Getäfel wieder zu und fühlte sein Herz erleichtert. Nun er sich bei der Baronesse befand, konnte dieser nichts geschehen. Jetzt öffnete er die Laterne vollständig und blickte sich um. Sein Auge fiel auf einen seidenen Sonnenschirm, welcher noch an der Ablage hing.

„Das paßt“, dachte er. „Sie werden ihr Kommen verraten.“

Er nahm den Schirm und lehnte denselben so gegen das Tafelwerk, daß er umfallen mußte, wenn dasselbe geöffnet werden sollte. Dadurch entstand ein Geräusch, welches die Ankunft der beiden verkünden mußte.

„Jetzt nun zu ihr!“

Mit diesem Gedanken näherte er sich dem Eingang zum Schlafzimmer. Dieses war nur durch Portieren abgetrennt. Die Tür hatte man für die warme Sommerzeit ausgehoben. Bereits stand er an der Portiere, da kam ihm ein Gedanke:

„O weh! Ich habe doch den Buckel abgeschnallt! So wie ich jetzt bin, darf sie mich ja gar nicht sehen!“

Er blickte sich um. Auf einem Stuhl lag etwas, irgendein Wäsche- oder Kleidungsstück. Er untersuchte gar nicht erst, was es war, sondern stopfte es sich unter die Weste am Rücken empor. Dann schlug er die Portieren auseinander und trat leise ein.

Da lag sie, die Heißgeliebte, die Angebetete im Schlaf! Von ihrem Köpfchen fluteten zwei lange, volle, dunkle Haarflechten hervor. Sie atmete ruhig. Die Wangen waren leicht gerötet. Die seidene Schleife des Negligés war aufgegangen – er wendete den Blick ab, um dieses Heiligtum einer schönen, reinen Jungfräulichkeit nicht zu entweihen, trat aber doch an das Bett heran. Indem er sich nach der anderen Seite drehte, faßte er die seidene Steppdecke.

„Baronesse!“

Sie regte sich nicht.

„Gnädiges Fräulein!“

Auch das hatte keinen Erfolg.

„Fräulein! Marion!“

Er zupfte stärker. Da bewegte sie sich. Er wendete unwillkürlich, ganz gegen seinen Willen, den Blick zu ihr. Ein schöner, voller Arm hatte sich unverhüllt unter der Decke hervorgeschoben, wie von der Hand eines Meisters aus dem reinsten, glänzenden Alabaster geformt. Es war ihm, als müsse er sich niederbeugen, um seine Lippen auf ihn zu drücken.

„Sie hört es nicht!“ dachte er. „Wie wird sie erschrecken! Aber wenn ich das Licht entferne, erschrickt sie noch mehr!“