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„Nein, Polizist bin ich nicht, gnädiges Fräulein. Ich bin wirklich der, als den Sie mich kennen. Aber ich habe einen Freund, welcher, als er von meinen Engagement erfuhr, mich bat, mich nach gewissen Verhältnissen zu erkundigen.“

„Darf ich diese Verhältnisse kennenlernen?“

„Sie beziehen sich auf eine Familie, über welche der Kapitän einst sehr großes Unglück gebracht hat. Diese Familie leidet jetzt noch darunter, und mein Auftrag geht dahin, zu erfahren, ob nicht eine Änderung, eine Besserung möglich ist.“

„Dann sehe ich allerdings ein, daß Sie nicht alleiniger Besitzer Ihres Geheimnisses sind. Sie müssen diskret sein, und ich darf nicht in Sie dringen.“

„Ich danke aus vollstem Herzen, gnädiges Fräulein! Muß ich nun aber befürchten, daß Ihr Vertrauen, welches mich so sehr beglückte, erschüttert worden ist?“

„Nein. Ich vertraue Ihnen, wie ich Ihnen bisher vertraute. Hier, meine Hand darauf!“

Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. Er führte dieselbe an seine Lippen und küßte sie. Dann fuhr er fort:

„Der Kapitän ist ein gefährlicher Mann. Ich merkte, daß er Böses sann gegen eine Person, für welche ich mich interessieren muß; daher beobachtete ich jeden seiner Schritte. So kam ich zu der Kenntnis, daß es hier im Schloß geheime Treppen und Türen gibt.“

„Davon habe ich keine Ahnung gehabt!“

„Ich ahnte es gleich in der ersten Stunde meines Hierseins. Und es dauerte nicht lange, so kannte ich diese Geheimnisse. Heut nun hatte ich Veranlassung, den Kapitän auf einem seiner Schleichwege zu beobachten. Er ging zu Rallion.“

„Auch durch eine geheime Tür?“

„Ja.“

„So kennt auch Rallion diese Geheimnisse?“

„Zum Teil, ja.“

„Gott, so ist man hier ja bei Tag und Nacht von tausend Gefahren, welche man gar nicht kennt, umgeben!“

„Es gibt Augen, welche über Sie wachen.“

„Die Ihrigen! Ja, ich weiß das, und das beruhigt mich. Aber, darf ich vielleicht erfahren, wer die Person ist, für welche Sie sich so interessieren?“

„Master Deep-hill, der Amerikaner.“

„Dieser? Kennen Sie ihn?“

„Erst seit hier und jetzt.“

„Aber wie können Sie ihm dann eine Teilnahme schenken, welche Sie sogar veranlaßt, den Kapitän zu beobachten?“

„Ich habe erfahren, daß der Kapitän den Amerikaner ermorden will.“

„Ermorden? Herr mein Gott! Sprechen Sie im Ernst?“

„Gewiß. Wenn ich nicht aufgepaßt hätte, so wäre Deep-hill bereits gestern eine Leiche gewesen.“

„Jesus! Ahne ich recht! Sie meinen doch nicht etwa, daß der Kapitän bei dem Eisenbahnunglück seine Hand im Spiel hat?“

„Leider ist es so. Ich gab Ihnen ja bereits einige Andeutungen. Der Kapitän ist Ihr Verwandter; leider aber kann mich das nicht abhalten, Ihnen zu sagen, daß er der größte Schurke und Bösewicht ist, den es nur geben kann.“

„Ich habe Ihnen ja bereits gesagt, daß auch ich ihn fürchte und verabscheue. Ihre Aufrichtigkeit beleidigt mich also keineswegs. Darf ich erfahren, ob der Amerikaner ahnt, daß er von dem Kapitän nichts Gutes zu erwarten hat?“

„Ich habe ihn gewarnt. Ich habe natürlich nicht offen mit ihm gesprochen, sondern ihm nur Andeutungen gegeben.“

„Die Anwesenheit dieses Monsieur Deep-hill ist mir überhaupt unverständlich. Ich habe nie von ihm gehört; ich habe nicht einmal seinen Namen gekannt. Was mag er hier in Ortry wollen?“

„Das kann ich Ihnen erklären. Man erwartet nämlich einen Krieg mit Deutschland – – –“

„Also wirklich? Ist es wahr, was man so sagen hört?“

„Ja. Frankreich, das heißt, Napoleon will den Krieg, und so wird also Krieg. Man will Freikorps bilden, Franctireurs. Der Kapitän spielt dabei eine hervorragende Rolle. Nur weiß ich nicht, inwieweit dabei das Privatinteresse beteiligt sein kann; aber das weiß ich, daß man großer Summen bedarf, um diese Aufgabe zu lösen. Der Kapitän ist zu diesem Zweck mit dem Amerikaner in Verbindung getreten.“

„Dieser soll die Summen liefern?“

„Ja. Er hat sich dazu bereit erklärt. Er ist gekommen, um Zahlung zu leisten. Der Kapitän war von seiner Ankunft unterrichtet; er kannte sogar den Zug, mit welchem er kommen solle. Es handelt sich um Millionen. Natürlich beabsichtigt Deep-hill ein Geschäft dabei zu machen. Er erwartet natürlich das Kapital nebst guten Zinsen zurück. Wie aber nun, wenn man ihm weder die Zinsen, noch auch das Kapital zurückzugeben brauchte?“

„Mein Gott! Sie meinen doch nicht etwa – – –!“

„Ich meine, daß es sehr vorteilhaft wäre, wenn man sich in den Besitz dieser Millionen setzen könnte, ohne einen Kontrakt oder sonst ein Dokument unterschreiben zu müssen.“

„Das könnte nur dann der Fall sein, wenn – – –“

Sie zögerte, fortzufahren. Der Gedanke war ihr zu gräßlich, als daß sie ihn leicht hätte aussprechen können.

„Nun? Was wollten Sie sagen, gnädiges Fräulein?“

„Ich kann es nicht sagen. Es wäre fürchterlich.“

„Und doch ist es wahr. Man kannte, wie bereits gesagt, den Zug, in welchem sich der Amerikaner befand. Dieser Zug sollte zum Entgleisen gebracht werden.“

„Gott! Das ist ja auch geschehen.“

„Leider! Man hoffte, daß der Amerikaner dabei getötet werde. In diesem Fall war es sehr leicht, der Leiche desselben die Brieftasche zu rauben.“

„Gott sei Dank, daß dies nicht gelungen ist.“

„Der Plan ging von dem Kapitän aus. Drei seiner Leute sollten ihn ausführen.“

„Wissen Sie das genau?“

„Ich habe zwei dieser Leute belauscht. Leider hörte ich nicht genug, um mir über ihre Absichten klar zu werden. Ich erfuhr nur, daß der Amerikaner beraubt und ermordet werden solle. Von einer Entgleisung aber ahnte ich nichts, bis das Unglück mir die Augen öffnete.“

„Schrecklich! Schrecklich! Sie werden natürlich den Kapitän zur Anzeige bringen?“

„Würde Ihnen dies erwünscht sein?“

„Müssen Sie denn nicht?“

„Eigentlich, ja. Aber soll ich Ihre Familie – – –! Und ich habe außerdem noch andere Gründe, zu warten. Seiner Strafe aber wird er auf keinen Fall entgehen können.“

Sie schwieg. Was sie hörte, war so schrecklich, daß sie einer Zeit bedurfte, um es zu überwinden. Dann sagte sie:

„Aber Deep-hill befindet sich folglich hier in der allergrößten Gefahr.“

„Er ist gewarnt.“

„Der Kapitän wird ihn töten, um ihm das Geld abzunehmen.“

„Das ist nicht so schnell geschehen. Der Amerikaner hat die Summe nicht bar bei sich. Er beabsichtigte, sie in Anweisungen zu zahlen, welche noch nicht unterschrieben sind. Ohne seine Unterschrift haben sie keine Gültigkeit, und so lange er nicht unterschreibt, befindet er sich also außer Gefahr.“

„Weiß er das?“

„Ich wiederhole, daß er gewarnt ist. Wenn er meine Warnung beachtet, kann ihm nichts geschehen. Also in dieser Angelegenheit war es, daß ich den Kapitän nicht aus den Augen ließ. Ich bemerkte heute abend, daß er von den unterirdischen Gängen Gebrauch machte, und folgte ihm.“

„Mein Gott! Dürfen Sie sich in solche Gefahr begeben?“

Er fühlte, daß sie ihre Hand auf seinen Arm legte. Diese Besorgnis erfüllte ihn mit glücklicher Genugtuung.

„Das Wagnis ist für mich nicht so groß, wie Sie vielleicht denken“, antwortete er.

„Aber, wenn er Sie bemerkt.“

„So bin ich bewaffnet. Ich fürchte ihn nicht. Also, indem ich ihm folgte, bemerkte ich, daß er zu Rallion ging. Ich belauschte einen Teil der Unterredung, welche er mit diesem hatte.“

„Diese Unterredung bezog sich auf mich?“

„Ja.“

„Was wurde gesprochen?“

„Der Kapitän berichtete, daß Sie sich weigern, auf die beabsichtigte – Verzeihung, gnädiges Fräulein, aber ich muß es doch erwähnen –, auf die beabsichtigte Verbindung mit Rallion einzugehen.“