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Frauke Scheunemann

Hochzeitsküsse

Roman

Page & Turner

Page & Turner Bücher erscheinen im

Wilhelm Goldmann Verlag, München,

einem Unternehmen der Verlagsgruppe

Random House GmbH.

1. Auflage

Copyright © 2013 by Page & Turner/

Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Gesetzt aus der Janson-Antiqua

ISBN: 978-3-641-09105-7

www.pageundturner-verlag.de

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»Angeblich ist der Hund der beste Freund des Menschen. Ich würde eher sagen: Er ist seine Lebensversicherung. Ohne seinen Hund wäre der Zweibeiner völlig aufgeschmissen. Völlig !«

Carl-Leopold von Eschersbach, genannt Herkules

»Ich liebe meinen Hund. Allerdings muss ich Herkules ständig im Auge behalten – auf Ideen kommt der manchmal ! Ohne mich wäre er völlig aufgeschmissen. Völlig !«

Carolin Neumann, Frauchen von Herkules

EINS

So, Mädels, jetzt geht’s um die Wurst ! Also volle Aufmerksamkeit !«

In der Kombination mit dem Wort »Wurst« ist so eine Aufforderung an mich natürlich völlig überflüssig. Ich bin sofort ganz Ohr.

Gut, wahrscheinlich falle ich nicht unter »Mädels« im engeren Sinne, dafür bin ich als ausgewachsener Dackel aber für jede Art von Wurst zuständig. Schnell renne ich also dorthin, wo sich nun auch alle Frauen dieser obskuren Veranstaltung aufgestellt haben. Fast alle Frauen. Nur die eine, die eben die Ansage gemacht hat, geht zu einem Tisch auf der anderen Seite des Raumes. Ob sie nun die versprochene Wurst holt ? Ich mache Männchen, um das erkennen zu können. Was tut man nicht alles für eine Extraportion Fleisch. Aber falscher Alarm – die Frau nimmt nur den Blumenstrauß aus der Vase, den sie vorhin noch mit sich herumgeschleppt hat. Jetzt dreht sie sich wieder zu uns herum und schwenkt den Strauß über ihrem Kopf.

»Seid ihr bereit ?«

Hä ?

»Jaaahaaa !«, schreien die anderen Frauen. Außer mir scheint jeder zu wissen, was gleich passieren wird. Aber egal, diesen kleinen Nachteil werde ich durch mein wahnwitziges Reaktionsvermögen ausgleichen. Da können Menschen sowieso nicht mithalten. Die Frau dreht uns wieder den Rücken zu – und wirft den Strauß plötzlich in hohem Bogen über ihren Kopf, direkt auf uns zu.

Verstehe ! Hier soll apportiert werden ! Und wahrscheinlich gewinnt derjenige, der den Strauß zurückbringt, eine Wurst. Blitzschnell hechte ich in Richtung Strauß und will hochspringen, um ihn mir zu schnappen – da werde ich von den Damen hinter mir regelrecht überrannt. Wie eine völlig überhitzte Meute, die Witterung aufgenommen hat, stürzen sie über mich hinweg und taumeln der Beute entgegen. Ich muss höllisch auf meine Pfoten aufpassen und ducke mich weg. Eine Frau mit sehr tiefer Stimme scheint den Strauß erwischt zu haben, jedenfalls kreischt sie »Hab ihn gleich !«, nur um eine Sekunde später ein herzhaftes »Scheiße !« auszurufen. Wenig damenhaft ! Mein Züchter, der alte Schlossherr von Eschersbach, hätte bei so einer Bemerkung garantiert die Brauen gehoben. Bevor ich aber noch dazu komme, über gutes Benehmen beim Menschen nachzudenken, rauscht direkt neben mir der Strauß auf den Boden. Offensichtlich hat meine Konkurrentin nicht nur keine Manieren, sie kann auch nicht gut fangen. Ich zögere nicht, sondern packe gleich zu, und bevor die Meute weiß, wie ihr geschieht, schlängele ich mich zwischen den vielen Damenbeinen hindurch Richtung Tisch. Hier irgendwo muss doch die Werferin mit meinem Hauptgewinn stehen. Also, her mit der Wurst !

Stimmengewirr über mir, lautstarke Unmutsbekundungen.

»Wo ist denn der Strauß jetzt ?«

»Und ich hatte ihn schon so gut wie sicher !«

»Verstehe ich nicht – der kann doch nicht einfach verschwunden sein !«

Ich packe den Strauß noch fester. Den nimmt mir keiner mehr weg ! So unauffällig wie möglich schleiche ich noch weiter zum Tisch. Ich traue mich zwar nicht mehr, nach oben zu schauen, aber aus den Augenwinkeln kann ich schon den Saum des langen, hellen Kleides sehen, das die Werferin trägt. Nur noch ein, zwei Dackellängen, dann habe ich es geschafft.

»Da ! Der Köter hat ihn !«

Mist ! Aufgeflogen ! Jetzt wage ich doch den Blick nach oben – und stelle fest, dass ich mich ganz offensichtlich in einer äußerst misslichen Situation befinde. Mindestens zehn sehr entschlossen und vor allem sehr finster dreinblickende Frauen steuern direkt auf mich zu. Wuff, das sieht nach mächtig Ärger aus ! Auf der Suche nach einem geeigneten Fluchtweg drehe ich mich einmal um die eigene Achse – Fehlanzeige ! Die Frauen haben mich umstellt. Jetzt weiß ich, wie sich ein Fuchs fühlen muss, wenn ihn die Meute erst mal hat: Entsetzlich ! Hätte mir jemand vorher gesagt, welchen Gefahren ein kleiner Hund auf dieser Veranstaltung namens Hochzeit ausgesetzt werden würde, ich wäre freiwillig im Auto geblieben !

Natürlich könnte ich den Strauß auch einfach ablegen und mich vom Acker machen. Aber kampfloses Aufgeben kommt für mich, einen stolzen Dackel aus einem alten Jagdhundgeschlecht, selbstverständlich überhaupt nicht in Frage. Andererseits: Genau genommen bin ich nur ein Dackelmischling. Das Ergebnis der Liebe meiner Frau Mama zum falschen Mann. Also könnte ich vielleicht doch … Für weitere feige Gedanken bleibt mir keine Zeit, denn auf einmal höre ich mein Frauchen Carolin rufen.

»Herkules ! Wo steckst du denn ?«

Dem Himmel sei Dank ! Das ist meine Rettung ! Ich packe den Strauß noch ein Stück fester, dann renne ich entschlossen los in die Richtung, aus der Caros Stimme gekommen ist. Eine Frau will noch nach mir greifen, aber ich knurre einmal kurz und werfe den Turbo an. Schwupps, schon sitze ich vor Caros Füßen und gucke sie so treuherzig an, wie man es mit einem Strauß Blumen im Maul nur vermag. Caro kniet sich neben mich.

»Hast du etwa den Brautstrauß geklaut ? Du böser, böser Hund !«

Sie packt mich im Nacken und schüttelt mich. Sanft zwar, aber tadelnd. Beleidigt lasse ich das Gebinde fallen. Was heißt denn hier »geklaut« ? Das war ein harter, aber fairer Wettkampf, Mann gegen Mann. Na gut, Frau gegen Hund. Noch härter also. Ich schmolle, was mein Frauchen leider nicht sehen kann, weil es mir als Dackel schwerfällt, einen Flunsch zu ziehen.

Caro hebt den Strauß auf und winkt den anderen Frauen damit zu.

»Ich habe hier was gefunden, was ihr bestimmt schon vermisst.«

Oh, nein, dann soll sie die Blumen doch wenigstens selbst behalten und die Wurst kassieren. Das steigert die Chancen, dass ich auch etwas davon abbekomme. Die alte Besitzerin des Straußes kommt auf uns zu und lacht.

»Kommt gar nicht in Frage, meine Liebe ! Die Regel besagt, dass diejenige Frau, die den Strauß als Erste fest in den Händen hält, ihn behalten muss. Du weißt, was das bedeutet – oder denkst du, dein Dackelchen heiratet als Nächstes ?«

Jetzt lachen auch die anderen Frauen. Hä ? Versteh ich nicht – wie kommt die Frau auf solch einen Unsinn ? Das machen wir Hunde doch gar nicht. Und nach dem heutigen Tag weiß ich auch, warum !

Auf einmal steht auch Caros Freund Marc neben uns.

»Aha ! Ein Zeichen ! Siehst du, Carolin – du kannst deinem Schicksal eben nicht entgehen. Jetzt hast du den Brautstrauß gefangen, obwohl du gar nicht mitgemacht hast.« Dann bückt sich Marc und streichelt mir über den Kopf. »Gut gemacht, Kumpel. Bist ein braves Hundchen.«

Komisch. Eben war ich noch der böse Hund, und nun der brave. Das verstehe, wer will. Ich nicht. Aber was auch immer es bedeutet, es führt jedenfalls dazu, dass der Frauenmob sich wieder auflöst und mir anscheinend keiner mehr ans Leben will. Also entspanne ich mich und trotte mit Caro und Marc zu dem Tisch, an dem beide eben noch gesessen haben. Als sie sich wieder setzen, lege ich mich neben Marcs Stuhl und beschließe, nicht mehr von seiner Seite zu weichen. Ist schließlich ein gefährlicher Ort hier. Marc krault mich noch einmal hinter den Ohren, dann greift er nach Caros Hand.