Mit der Schnauze stoße ich die Tür zum großen Werkraum auf. Daniel und Caro stehen dort und betrachten irgendetwas, was auf der Werkbank liegt. Was genau es ist, kann ich von hier unten nicht sehen. Ist aber auch egal, es gibt schließlich Wichtigeres. Wie zum Beispiel meinen Magen. Ich jaule ein bisschen und springe an Caros Bein hoch.
»Hoppla, Herkules, hast du mich erschreckt ! Warum schleichst du dich denn so an ?«
Sie dreht sich zu mir, beugt sich herunter und krault mich hinter den Ohren. Ich versuche, möglichst auffällig zu sabbern, was mir überhaupt nicht schwerfällt.
»Igitt ! Was ist denn mit dir los ?« Sie zieht die Hand zurück und wischt sie an ihrer Jeans ab. »Also, da hat aber einer großen Riesenhunger !« Sie schaut auf ihre Uhr. »Oh, schon zwölf. Kein Wunder, du Armer ! Komm mit, du bekommst gleich was.«
Vor Freude mache ich Männchen und springe sofort zur Tür, vorbei an Herrn Beck, der es mittlerweile auch in die Werkstatt geschafft hat.
»Guck mal, da scheint sich jemand dem Lunch anschließen zu wollen ! Ich glaube, du musst dem Kater auch etwas geben.«
Daniel ist einfach ein netter Mensch – und das trotz seines blockierten Herzchakras ! Claudia weiß offenbar nicht, was sie an ihm hat. Fleischwurst und Schinken. Das alte Problem. Aber momentan glücklicherweise nicht meins, denn tatsächlich öffnet Carolin jetzt die Kühlschranktür in der Küche und greift – wuff, wuff, WUFF ! ! ! – tatsächlich zu der Box mit dem Aufschnitt, den sie gerade eingekauft hat. Hurra ! Ein seltener Glücksfall ! Ich bekomme tatsächlich ein Stück Fleischwurst, bevor sie meinen Napf mit Hundefutter füllt. Und selbst dem ollen Beck hält sie ein Stück unter die Nase. Er schnuppert kurz, schnappt, schluckt und setzt sich neben mich. Es ist ziemlich unangenehm zu fressen, während man von der Seite durchdringend gemustert wird ! Ich hebe den Kopf.
»Was ist denn ? Kann man hier nicht mal in Ruhe eine Mahlzeit einnehmen ?«
»Doch, doch. Lass dir Zeit. Wenn es denn irgendwann konveniert, sag Bescheid.«
Konve… was ? Meine Güte, ist der nervig. Und anstarren tut er mich immer noch. Hastig schlinge ich die letzten Bissen hinunter.
»Also gut. Was genau ist dir an Nina aufgefallen ?«
Wenn Herr Beck breit grinsen könnte – jetzt würde er es tun.
»In den letzten Wochen hat Nina immer sehr viel in einer Sprache telefoniert, die ich nicht verstanden habe. Sie klang auch anders als die Sorte Sprache, die ich in Rimini gehört habe. Irgendwie verwaschener. Jedenfalls war es immer ziemlich spät abends, und immer, wenn Alex oben in seiner WG im Stockwerk über uns war. Da ist er ja eigentlich nicht mehr sehr häufig, ich glaube, wenn Nina gewollt hätte, wäre er längst schon bei uns eingezogen. Jedenfalls: Kaum war er mal dreißig Sekunden aus der Tür, hat sie schon zum Hörer gegriffen. Seltsam, nicht ? Außerdem bin ich mir sicher, dass sie mit einem Mann telefoniert hat. Ich konnte es zwar nicht genau hören, aber die Stimme klang tief.«
»Ich sag’s ja: Du wirst langsam taub.«
Normalerweise kann man, jedenfalls mit einem Dackelgehör, die Stimme am anderen Ende der Leitung schon ganz gut hören. Also, nicht Wort für Wort. Aber ob Mann oder Frau – das kriege ich immer mit. Herr Beck schnaubt. Die Sache mit der Taubheit will er einfach nicht einsehen.
»So ein Unsinn. Ich werde nicht taub. Dass ich mir nicht ganz sicher bin, liegt an der nächsten Merkwürdigkeit: Immer, wenn Nina diese seltsamen Telefonate führt, verkrümelt sie sich in ihr Schlafzimmer und macht die Tür hinter sich zu. Fast, als solle das selbst vor mir geheim bleiben. Verrückt, nicht ?«
Ich nicke. Beck hat recht. Das ist wirklich merkwürdig. Und was könnte es damit zu tun haben, dass sie sich mit Alex nicht mehr so versteht ? Gibt es da einen Zusammenhang ? Herr Beck scheint über das Gleiche nachzudenken.
»Vielleicht hat sie sich in einen anderen Mann verliebt. Und mit dem telefoniert sie jetzt immer heimlich.«
»Meinst du ? Aber sie hat doch nicht gesagt, dass sie jemand anderes liebt, sondern, dass sie Alex nicht mehr liebt.«
»Tja, das kommt beim Menschen oft auf dasselbe raus. Als ich vor langen Jahren noch bei dem Scheidungsanwalt lebte, habe ich von diesen Geschichten so einige mitbekommen. Die Menschen merken offenbar häufig erst, dass sie ihren alten Partner nicht mehr lieben, wenn ihnen ein neuer begegnet. Müsste dir als Hund doch bekannt vorkommen: Ihr könnt doch auch nicht allein sein.«
Immer diese Spitzen – Beck kann es einfach nicht lassen !
»Lieber ein geselliger Hund als eine eigenbrötlerische Katze. Trotzdem habe ich noch von keinem Hund gehört, der einfach sein Herrchen verlässt, weil ihm ein anderer Zweibeiner irgendwie besser gefällt !«
»Tja, wahrscheinlich seid ihr einfach treuer als die Zweibeiner. Bei denen kommt das häufiger vor. Das menschliche Herz ist kein besonders zuverlässiges Organ.«
Das ist mir beim Menschen in den letzten drei Jahren auch schon aufgefallen. Trotzdem stört mich noch etwas an Becks Theorie.
»Aber nehmen wir mal an, es ist so, wie du sagst. Warum ist Nina dann nicht glücklich ? Frisch verliebt sind doch die meisten Zweibeiner kaum zu ertragen vor guter Laune. Nina hingegen war richtig niedergeschlagen. Da stimmt doch etwas nicht !«
»Tja, vielleicht klappt es mit dem anderen nicht so richtig, und sie ist deswegen unglücklich.«
Ich schüttle den Kopf.
»Aber nach deiner Theorie würde sie dann doch einfach Alex behalten wollen. Von wegen Menschen können nicht allein sein und so.«
Herr Beck seufzt.
»Ach, was weiß denn ich ? Vielleicht stimmt das auch alles nicht, und es ist etwas völlig anderes faul. Versteh einer die Zweibeiner. Ich nicht.«
Hoppla ! Und das aus dem Maul von Herrn Beck ! Die Einsicht, etwas geistig nicht zu durchdringen ! Schade, dass ich nicht schreiben kann – diesen Tag müsste ich dringend im Kalender notieren !
SECHS
Carolin, da ist eine Frau für dich am Telefon.«
Luisa läuft mit dem Hörer durch die Wohnung und sucht mein Frauchen. Das ist im Bad und hört anscheinend nichts.
»Caaarooo, da ist eine Frau !«
Die Tür vom Badezimmer zum Flur wird geöffnet, Carolin schaut hinaus. »Ich komme gerade aus der Dusche und tropfe alles nass. Notierst du dir mal den Namen und die Nummer ? Ich rufe zurück.«
»Sie sagt aber, es sei dringend.«
»Na gut.«
Caro streckt die Hand aus und nimmt den Hörer entgegen, ich nutze die Gelegenheit und trabe ins Bad.
Caro murmelt »einen Moment bitte!« in den Hörer, drückt einmal kurz auf die Tasten und stellt den Apparat ins Regal vor sich. Dann schnappt sie sich ein Handtuch, um sich abzutrocknen.
»So, kann losgehen, ich kann Sie hören. Ich hoffe, Sie mich auch.«
Interessant. Wen meint Caro denn damit? In diesem Moment kommt eine laute Stimme aus dem Hörer im Regal.
»Hallo, Frau Neumann, Langhagen hier. Ich kann Sie ebenfalls gut hören.«
Faszinierend. Man kann also mit dem Hörer auch telefonieren, wenn man ihn sich nicht direkt an den Kopf hält. Das ist mal wieder eine tolle menschliche Erfindung – Donnerwetter! Wäre eigentlich besonders gut geeignet für Hunde und andere Vierbeiner – schließlich können wir so einen Hörer sehr schlecht in der Pfote halten und ans Ohr drücken. Gebannt starre ich den Apparat an. Ich kenne die Stimme zwar nicht, die aus dem Hörer schallt, aber der Name Langhagen kommt mir bekannt vor.
»Hallo, Frau Langhagen, es geht um Henris Eingewöhnung nächste Woche, stimmt’s?.«
Langhagen und Henri ? Das muss dann ja wohl die Tagesmutter sein. Wie die wohl so klingt, die zweite Mutter ? So ähnlich wie Carolin ? Neugierig hefte ich mich an Caros Bein und lausche nach der Stimme, die aus dem Telefonhörer kommt.
»Ja, hallo, Frau Neumann. Gut, dass Sie gleich zurückrufen.«