»Wir werden sehen. Auf alle Fälle hat die dumme Kuh nach dem Telefonat mit Sicherheit so schlechte Laune wie ich gerade jetzt. Nach den nächsten drei Patienten habe ich eine kleine Lücke, dann kümmere ich mich drum, versprochen.«
Er zieht Carolin sanft zu sich hoch und schließt sie kurz in seine Arme, die wischt sich die Tränen von der Wange.
»Okay, dann bis später.«
Beim Abendessen ist die Stimmung noch gedrückt. Immerhin heult Carolin nicht mehr. Luisa hat zur allgemeinen Aufmunterung ein paar Muffins gebacken und mich heimlich einen probieren lassen. Lecker ! Meine Laune ist daraufhin schlagartig blendend – vielleicht sollte Caro einen probieren ? Aber sie betrachtet nur düster Henri, der seinen Muffin genüsslich bearbeitet, sich eine Hälfte in den Mund steckt, die andere Hälfte zerbröselt und auf seinem Pulli und seiner Hose verteilt. Schließlich kommt Marc aus der Praxis und setzt sich zu uns in die Küche.
»Und «, will Carolin wissen, »hast du mit ihr gesprochen?«
Marc nickt.
»Tja, es ist leider so, wie du sagst. Im April wandern sie aus. Sie hatte allerdings ein mörderschlechtes Gewissen und hatte sich schon bei befreundeten Tagesmüttern und Kinderkrippen nach Alternativen für uns umgehört. Hier …«, er kramt einen Zettel aus seiner Hosentasche, »… hat sie ein paar Nummern für uns notiert. Zwei davon habe ich schon angerufen, bei einer der Adressen können wir nächste Woche mal vorbeischauen. Die Purzelzwerge. Ist eine Elterninitiative. Zwölf Kinder und drei Erzieher. Wirklich niedlich. Die haben eigentlich eine meterlange Warteliste, Frau Langhagen hat aber trotzdem ein Vorstellungsgespräch für uns klargemacht.«
Carolin schnaubt.
»Ach ? Dann soll ich der jetzt wohl auch noch dankbar sein, oder wie ?«
»Nein, so meinte ich das doch nicht. Ich wollte nur sagen, dass sie sich drum gekümmert hat, weil ihr auch klar ist, wie unmöglich ihre Absage ist. Und normalerweise hätte man sich da anmelden müssen, noch bevor man überhaupt über Sex nachgedacht hat.«
»Papa !«, ruft Luisa empört. »Du bist voll peinlich !«
Marc lacht.
»Ist ja gut, Schatz – ich wollte nur einen kleinen Witz machen, damit Carolin mal wieder lacht.«
Diese lächelt daraufhin. Gequält, so sieht es jedenfalls aus der Fußbodenperspektive aus.
»Ist ja gut. Für mich ist eben heute Nachmittag eine Welt zusammengebrochen. Ich dachte, es wäre alles perfekt geregelt und Henri wäre gut versorgt. Daniel und ich haben einen Riesenauftrag an Land gezogen, ich muss spätestens in vier Wochen wieder dabei sein, er schafft das alleine nicht. Und unabhängig davon: Ich will auch wieder arbeiten. Die Zeit hier mit den Kindern ist toll, aber ich vermisse meinen Job.«
»Spatzl, das verstehe ich doch.«
»Nein, tust du eben nicht. Für dich hat sich auch kaum etwas seit der Geburt geändert. Für mich aber schon !«
»Carolin, ich widerspreche dir da gar nicht. Aber nun lass uns doch mal diese Liste abtelefonieren und nächste Woche zu den Purzelzwergen gehen. Und wenn alle Stricke reißen, haben wir ja immer noch meine Mutter. Hedwig würde sich bestimmt sehr gern um Henri kümmern.«
»Nein !« Caro springt vom Stuhl auf. »Das kommt überhaupt nicht in die Tüte ! Auf keinen Fall erzieht deine Mutter meinen Sohn ! Die mischt sich schon genug in unser Leben ein.«
Luisa und Marc starren Carolin an, zunächst sprachlos. Dann räuspert sich Marc.
»Also, bitte rede nicht so von meiner Mutter. Und schon gar nicht, wenn Luisa dabei ist.«
»Was ist denn falsch mit der Oma ?«, will Luisa auch prompt wissen.
»Und was heißt hier eigentlich dein Sohn ? Das ist unser Kind.«
Oweiowei ! Hier klingt aber jemand so richtig angefasst. Und ich kann Marc verstehen. Warum ist Carolin denn auf einmal so biestig ?
Caro sagt erst einmal nichts, sondern verlässt die Küche.
Marc schüttelt den Kopf und greift nach einem Muffin, Henri sagt etwas, das wie ein verwundertes Gangagaah klingt, Luisa guckt dafür sehr erstaunt.
»Papa, was hat Caro denn ?«
»Ich glaube, einen extrem schlechten Tag. Diese blöde Tagesmutter will Henri jetzt doch nicht nehmen.«
»Aber warum ist sie denn dann sauer auf dich ? Du hast doch gar nichts gemacht.«
Eine sehr berechtigte Frage, die ich mir auch gerade gestellt habe.
»Tja, ich glaube, sie macht sich einfach Sorgen und ist deswegen so schlecht gelaunt.«
»Heißt das, dass ihr doch nicht heiratet ?«
Marc reißt die Augen auf.
»Was ? Nein, natürlich heiraten wir. Das hat damit gar nichts zu tun. Man kann sich doch mal streiten und sich trotzdem doll lieb haben. Aber du bringst mich auf eine gute Idee: Wir sollten uns am Wochenende ein paar von den Orten anschauen, an denen wir heiraten könnten. Vielleicht verbessert das Carolins Laune.«
Luisa nickt begeistert. Das Thema Hochzeit scheint ihr sehr zu gefallen.
»Aber pst ! Nicht verraten ! Wir sollten Caro damit überraschen. Wir tun einfach so, als wollten wir einen Ausflug machen, okay ? Und dann, schwups, stehen wir auf einmal vor dem Leuchtturm, auf dem wir heiraten könnten.«
»Alles klar, Paps ! Das ist eine klasse Idee.«
Das finde ich ehrlich gesagt auch. Vorausgesetzt, ich darf mitkommen. Aber dafür werde ich schon sorgen.
SIEBEN
Daniel, bilde ich mir das ein, oder stehen Teile deines Hausstandes in unserem Werkstattflur ?«
Zwei Tage sind vergangen, und Caros Laune hat sich immer noch nicht wirklich gebessert. Aktuell hat Daniel darunter zu leiden. Wir wollten eigentlich nur kurz in der Werkstatt nach Post schauen, aber kaum hatte Carolin mehrere ihr unbekannte große Kartons im Flur vor der Küche entdeckt, wurde der arme Daniel zum Gespräch zitiert. Und zwar in einem Ton, den ich sonst nur vom alten von Eschersbach im Umgang mit unwilligem Hauspersonal kenne. Daniel guckt denn auch gleich ganz ertappt.
»Äh, ja, tatsächlich, das sind ein paar Sachen, die nicht mehr in Volksdorf bleiben können.«
»Sachen, die nicht mehr in Volksdorf bleiben können ? Wie habe ich denn das zu verstehen ?«
Ich fange an zu frösteln, so kalt und scharf klingt Caros Stimme.
»Na ja, sie sind halt … also sie erzeugen … also gewissermaßen haben die Schwingungen …«
»Daniel !«, unterbricht Caro rüde sein Gestammel. »Was genau versuchst du mir da zu erklären ?«
Er räuspert sich.
»Es ist so: Claudia kann wegen der vielen elektromagnetischen Schwingungen in unserem Haus nicht mehr schlafen. Ihre Energien fließen nicht mehr frei. Deswegen haben wir angefangen, alle größeren elektronischen Geräte, die wir nicht dringend brauchen, zu entfernen. In den Kartons sind mein Fernseher, meine Stereoanlage und mein Rechner. Bis ich weiß, wohin damit, wollte ich sie erst mal hier parken.«
Carolin schüttelt den Kopf.
»Das glaube ich jetzt nicht – die hat doch eine Vollmeise. Und du offen gestanden auch, dass du so einen Zirkus mitmachst. Musst du ja selbst wissen – aber hier kann der Krempel nicht stehen bleiben.«
Gut, ich finde auch, dass Daniel momentan seltsame Sachen treibt. Und ohne zu wissen, was genau elektromagnetische Schwingungen sind, habe ich das Gefühl, dass die Geschichte oberfaul ist und schwer in Richtung Herzchakra geht. Aber einem guten Freund wie Daniel hätte man das schon etwas mitfühlender sagen können. Daniel scheint der gleichen Meinung zu sein, denn obwohl der geduldigste Mensch unter der Sonne, schaut er mittlerweile ziemlich säuerlich.
»Ist ja gut, Caro. Reg dich ab. Du musst Claudia und mich nicht verstehen. Ist schon in Ordnung. Allerdings ist es nun mal so, dass sie gerade eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin macht und sich deswegen in einer extrem sensiblen Phase befindet. Sie überlegt auch, bei uns zu Hause Kurse anzubieten. Und dafür muss sie sich dort hundertprozentig konzentrieren können. Glaube es oder lass es bleiben: Das geht eben nicht, wenn dort so starke Kraftfelder bestehen. Und da mir die berufliche Zukunft meiner Freundin sehr wichtig ist, nehme ich das ernst und kümmere mich um das Problem. Und wenn das bedeutet, dass mein Fernseher raus muss, dann ist es eben so.«