Dann, nach einer Weile, räuspert sie sich. »Wahrscheinlich hast du recht, und das ist eine gute Idee. Ich weiß auch nicht, warum ich auf Hedwig immer so allergisch reagiere. Vielleicht, weil ich immer noch nicht das Gefühl losgeworden bin, dass sie insgeheim enttäuscht ist, dass du nicht mehr mit Sabine zusammen bist. Ich fühle mich ständig so, als würde ich von ihr eine schlechte Note bekommen – weißt du, was ich meine ?«
Marc nickt.
»Klar weiß ich, was du meinst. Und das sollte dich gleichzeitig beruhigen. Dieses Gefühl gibt sie doch allen. Es liegt nicht an dir. Ich weiß, du redest nicht gern über meine Ex, aber Sabine ging es mit Hedwig genauso, als wir noch verheiratet waren.«
»Echt ?« Caro ringt sich zu einem Lächeln durch. »Das ist tatsächlich tröstlich. Ich komme mir immer vor wie die schlechtere Schwiegertochter.«
Marc grinst.
»Das musst du nicht.«
»Trotzdem. Hedwig ist auch dauernd so übergriffig. Alles weiß sie besser. Deswegen mache ich mir schon ein bisschen Sorgen, dass sie bei Henri alles an sich reißt. Und uns wieder überall reinredet.«
Ich denke darüber nach, ob ich Caro verstehen kann. Persönlich komme ich mit Hedwig bestens klar. Aber sie ist eben eine starke Persönlichkeit. Die Rudelchefin – ich erwähnte es bereits. Diese hier offensichtlich ungeklärte Rangordnung führt selbstredend zu Problemen – nicht nur bei Hunden. Aber was wäre die Lösung ? Henri doch in die Werkstatt mitzunehmen ? Vielleicht könnte ich dort auf ihn aufpassen und ihn vom Geigenzerstören abhalten. Ich könnte mir vorher ein paar Tipps von Zottel holen – so wie der seine Schafe in die Hinterläufe zwickt, könnte ich es doch mit den Waden von Henri machen. Nur dann, wenn er sich doch mal in böser Absicht einer Geige nähern sollte, klaro. Das würde dem Kleinen wahrscheinlich nicht gefallen, aber Caro müsste sich überhaupt keine Sorgen machen, dass ich mich zu sehr in seine Erziehung einmische. Okay – ich könnte ihm natürlich zeigen, wie man einen Baum anpinkelt. Das müsste Henri eigentlich hinkriegen. Immerhin bewegt er sich seit einigen Tagen auf allen vieren fort.
»Ich weiß, dass meine Mutter so ist. Aber ich habe ihr auch ganz klar gesagt, dass wir eine Unterstützung brauchen, keine Aufsichtsratsvorsitzende.«
Caro lacht, ich verstehe den Witz leider nicht. Aber egal. Wenn Caro lacht, ist es immer ein gutes Zeichen. Dann ist die Lage doch nicht hoffnungslos, und sie gibt der Geschichte mit Hedwig eine Chance.
»Na gut. Wenn du meinst, dass die Botschaft bei ihr angekommen ist, dann freue ich mich natürlich auf ihre Hilfe.«
»Die Botschaft ist ganz sicher angekommen. Mach dir keine Sorgen. Sie wird sich nicht einmischen, sondern nur helfen. Und falls sie es doch macht, kümmere ich mich darum.«
»Also, ich finde, mit fast einem Jahr ist Henri doch groß genug, ohne Schnuller auszukommen. Ich habe Marc damals von Anfang an keinen Schnuller gegeben.«
Hedwig hält einen von Henris Schnullern mit spitzen Fingern über die Spüle in der Küche. Täusche ich mich, oder hat Carolin schon Schaum vor dem Mund ? Hedwig ist gerade erst gekommen und hat schon drei tolle Verbesserungsvorschläge für das Babyhandling gemacht. Einmal ging es ums Füttern (»lieber selbst kochen anstatt Gläschen«), dann um die Windeln (»wo ist eigentlich sein Töpfchen ? Ich kann doch schon mal mit ihm üben«), und gerade jetzt ist der Schnuller das Thema. Eigentlich wollte Caro Hedwig wohl erklären, worauf sie achten soll, solange sie auf Henri aufpasst. Aber soeben läuft es eher andersherum. Hedwig erklärt Caro, wie man sich um ein Kleinkind kümmert. Wuff ! Ich kann förmlich riechen, wie sich eine gewisse Spannung in der Küche aufbaut.
Wo ist eigentlich Marc ? Der wollte sich doch um alles kümmern. Inklusive seine Mutter in Schach zu halten. Die gleiche Frage scheint sich Caro auch gerade zu stellen.
»Hedwig, ich muss mal kurz runter zu Marc. Bin gleich wieder da.«
Sehr schlaue Taktik. Sich nicht allein mit der Rudelführerin anlegen, sondern Verstärkung holen. Könnte von mir sein. Tatsächlich taucht Marc keine fünf Minuten später auf. Allein. Oha. Krisengespräch.
»Mutter, ich muss doch noch mal kurz mit dir sprechen.«
Er setzt sich an den Küchentisch, Hedwig setzt sich daneben.
»Es ist wegen des Schnullers, richtig ?«
Sie klingt fast ein bisschen reumütig.
»Auch. Aber nicht nur. Man könnte auch sagen, wegen des Töpfchens. Oder wegen der Gläschen. Es geht ums Prinzip, verstehst du ?«
»Aber ich will doch nur helfen !«, verteidigt sich Hedwig. »Caro ist eine junge Mutter, und sie macht das alles ganz toll – doch ich dachte, es ist gut, wenn ich sie von meiner Erfahrung profitieren lasse. Das war keinesfalls böse gemeint !«
»Ich weiß. Trotzdem: Halt dich doch mal ein bisschen zurück. Sonst kommt deine Hilfe leicht als Bevormundung rüber.«
Dazu sagt Hedwig nichts. Wahrscheinlich ist sie beleidigt.
Marc seufzt.
»Ich hatte gehofft, du verstehst, was ich meine. Dass du uns so tatkräftig unter die Arme greifst, finde ich toll. Aber Henri ist unser Kind, und einige Sachen entscheiden wir deshalb so, wie wir es für richtig halten. Auch, wenn du anderer Meinung sein solltest. Ich fände es zwar sehr schade, wenn das nicht gehen sollte, aber dann müssen wir es eben leider lassen.«
Hedwig schaut zu Boden, unsere Blicke treffen sich. Sie sieht sehr zerknirscht aus. Jetzt tut sie mir leid ! Ich glaube ihr, dass sie es nur gut mit ihren Ratschlägen meint.
Nach einer Weile räuspert sie sich.
»Ich werde mich bemühen, mich in Zukunft etwas zurückzuhalten. Aber du musst mir glauben: Das war alles nur gut gemeint. Ich freue mich doch so, mich um meine Enkelkinder kümmern zu können.«
»Das weiß ich doch. Und das finde ich auch toll. Caro hat sich auch darüber gefreut und weiß es sehr zu schätzen. Ich glaube, ihr müsst euch da nur ein wenig aufeinander abstimmen. Dann klappt das schon.«
Hedwig nickt. Und ich hoffe sehr, Marc liegt richtig mit seiner Einschätzung. Vier Monate können vermutlich ganz schön lang sein, wenn hier ständig dicke Luft ist. Vielleicht sollte ich mich dann für tagsüber nach einer andren Bleibe umsehen ? Ob es so etwas wie die Purzelzwerge auch für Hunde gibt ?
Der restliche Nachmittag verläuft aber ganz friedlich. Caro zeigt Hedwig noch einmal alle Sachen von Henri. Sie spielen zusammen, dann kommt Luisa nach Hause, und wir gehen alle eine Runde Gassi. Wieder zu Hause angekommen backt Hedwig mit Luisa einen Kuchen, und Luisa erzählt von unserem abenteuerlichen Ausflug zum Leuchtturm.
»Stell dir vor, eines der Schafe hat Henri gebissen und seine Kinderkarre umgeschubst !«
Hedwig zieht die Augenbrauen hoch, und man kann genau erkennen, dass sie sich vermutlich denkt, wie unverantwortlich es war, den kleinen Henri einer solchen Gefahr auszusetzen. Aber sie sagt nichts, ringt sich stattdessen ein Lächeln ab und fragt mit sanfter Stimme:
»Was wolltet ihr denn an dem Leuchtturm, mein Schatz ?«
»Na, das Trauzimmer besichtigen. Weißt du, Marc und Caro wollen doch nur eine ganz kleine Hochzeitsfeier, und auf den Leuchtturm passen sowieso nur elf Leute. Und dann kommt der Leuchtturmwärter und verheiratet Papa und Caro.«
Hedwig schnappt hörbar nach Luft. Mir scheint, dass sie in den Plan mit der sehr kleinen Hochzeit noch nicht eingeweiht war.
»Bitte, was will dein Vater auf dem Leuchtturm ?«
»Heiraten. Aber wahrscheinlich doch nicht auf dem Leuchtturm, der war von innen ganz schön scheußlich, hat mir und Caro überhaupt nicht gefallen. Jetzt suchen sie etwas anderes Kleines zum Heiraten.«
»Aha.«
Mehr sagt Hedwig dazu nicht, aber es ist wirklich toll, wie sie in diese zwei Silben Empörung für eine mindestens zweistündige Rede packt. Tolle Frau ! Luisa scheint das allerdings nicht zu bemerken, denn sie plappert munter weiter.
»Also, ich fände ein richtig großes Fest ja schöner, aber das will Carolin irgendwie nicht. Sie möchte zu ihrer Hochzeit nur die Leute einladen, die ihr am wichtigsten sind.«