»So, Herkules. Es wäre großartig, wenn du es diesmal selbst durch die Klappe schaffst. Erstens war die Aktion eben sehr schmerzhaft, zweitens war sie sehr laut. Da können wir gleich einpacken, wenn wir hier so rumrumpeln. Also, mehr Einsatz, Kumpel !«
Der hat gut reden. Aber es stimmt natürlich. Wenn wir hier die Tür halb eintreten, wird Nina bestimmt sofort nachsehen, was los ist, und wir fliegen auf. Ich nehme all meinen Mut zusammen, kümmere mich nicht weiter um mein rasendes Herz und sause los. Entschlossen springe ich auf die Öffnung zu und mache mich möglichst lang und schmal. Es macht klapp-klapp – dann lande ich sicher auf der anderen Seite. Sensationell ! Mit dieser Nummer kann ich mit Sicherheit im Zirkus auftreten. Am liebsten würde ich vor Freude laut bellen, verkneife es mir aber.
Ein weiteres Klapp-Klapp, dann sitzt Beck neben mir und maunzt anerkennend.
»Nicht schlecht, Dackel, nicht schlecht.«
Leise schleichen wir durch den Flur, in den nur schwaches Licht fällt, den Stimmen entgegen. Sie kommen aus dem Schlafzimmer. Ninas Stimme – eindeutig. Und ein Mann – ebenso eindeutig nicht Alexander. Und ich kann endlich nachvollziehen, was Herr Beck mit »andere Sprache« meint. Denn ich höre jedes Wort, was die beiden miteinander sprechen – gleichzeitig verstehe ich gar nichts.
Die Tür zum Zimmer steht einen Spalt auf, wir huschen hinein. Nun wird klar, warum das Licht, das in den Flur fällt, so schwach ist: Nina hat nicht die normale Lampe angemacht, sondern sehr viele Kerzen angezündet, die überall im Zimmer stehen, den Raum in ein flackerndes Licht tauchen und ihm damit eine ganz seltsame Stimmung verleihen. Irgendwie – ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll. Ob es das ist, was die Zweibeiner romantisch nennen ?
»Los, weiter !«, raunt mir Herr Beck zu. »Sonst sehen die uns doch gleich !«
Mit die sind natürlich Nina und der fremde Mann gemeint, die gemeinsam auf Ninas großem Bett liegen und sich sehr angeregt in dieser seltsamen Sprache unterhalten. Momentan haben die beiden nur Augen für sich selbst, aber es stimmt natürlich: Wenn wir die Situation weiter beobachten wollen, sollten wir hier nicht wie angenagelt stehen bleiben.
Der Kater hat offensichtlich auch schon eine Vorstellung davon, was ein idealer Beobachtungsposten sein könnte, er steuert direkt auf die Tür der kleinen Kammer zu, die vom Schlafzimmer abgeht und Nina als begehbarer Kleiderschrank dient. Sehr schlau ! Von da haben wir die optimale Aussicht, und Nina und der Typ werden momentan garantiert keinen Gedanken an die Kleiderkammer verschwenden – obwohl beide nackt sind und sich unter normalen Umständen durchaus die Frage stellen könnten, was man denn mal Schönes anziehen sollte. Aber damit ist gerade nicht zu rechnen, denn die ganze Szenerie, die sich uns hier darbietet, sieht mir ganz schwer nach dem Auftakt für etwas aus, bei dem sich Menschen ungern von anderen Sachen ablenken lassen: Sex. Oder Liebe. Oder beides. Das weiß man beim Menschen nie so genau.
Wir huschen in die Kammer, vorsichtig öffnet Herr Beck mit einem Tatzenstoß die Tür ein wenig weiter. Dann hüpfen wir beide auf das unterste Regalbrett, auf dem ein paar Schuhe herumstehen. So. Ein echter Logenplatz. Kann losgehen.
Tatsächlich nimmt der Mann gerade die Flasche Champagner, die vor ein paar Tagen zusammen mit den Rosen angekommen ist, gießt zwei Gläser ein und reicht Nina eins davon.
»Thanks.« Sie trinkt, stellt dann das Glas wieder ab. Auch der Mann hat sein Glas abgestellt, nimmt Nina in den Arm und küsst sie auf den Mund. Die erwidert den Kuss. Allerdings nur kurz, dann schiebt sie den Mann ein Stück von sich weg und betrachtet ihn nachdenklich.
»Sören, we can’t go on like this.«
»Nina, believe me, I love you.«
»But you have a wive and children and I have a boyfriend. I feel bad about this.«
Hä ? Was ist los ? Ich werfe Herrn Beck einen Blick zu.
Der schüttelt den Kopf.
»Sag ich doch«, flüstert er. »Man versteht kein Wort.«
»Aber dem Ton nach ist es irgendwie ein Krisengespräch«, merke ich an.
»Stimmt. Allerdings ein ungewöhnlicher Aufbau für ein Krisengespräch: Beide nackt, Kerzen, Champagner. Da wäre doch nach meiner Erfahrung vom menschlichen Paarungsverhalten eher mal Sex angesagt.«
»Tja. Vielleicht ist der Typ auch Psychologe. Dann reden die vielleicht nur stundenlang, und es ist für sie genauso gut wie Sex.«
»Oder sie hatten schon Sex und machen gerade eine Pause. Wir wissen ja nicht, wie lange der Kerl schon da ist. Um wirklich zu wissen, was hier gespielt wird, müssen wir das Ganze wohl länger beobachten.«
Nina steht vom Bett auf und nimmt die Flasche Champagner.
»Hey, where are you going ?« Der Mann guckt Nina verwundert an. Scheint eine Frage gewesen zu sein.
»I’m just putting the champagne into the fridge.«
Sie verlässt das Zimmer, Mr Fremdsprache bleibt auf dem Bett liegen und schaut an die Zimmerdecke. Er ist größer als Alexander und bestimmt einige Jahre älter. Denn während Alexander noch ein ganz glattes Gesicht hat, hat der hier schon ziemliche Falten um die Augen. Die kann ich selbst auf die Entfernung sehen. Hellere Haare als Alexander hat er auch, sogar noch heller als die von Caro. Seine Arme sind sehr kräftig und muskulös, er sieht aus wie ein Mensch, der nicht im Sitzen arbeitet, sondern richtig. Vielleicht ein Stallbursche ? Die Burschen auf Schloss Eschersbach waren auch sehr kräftig – das brachte die Arbeit auf dem Hof so mit sich.
Klick, klick. Bilde ich mir das ein, oder habe ich gerade ein Geräusch gehört, das klingt, als ob ein Schlüssel im Haustürschloss gedreht wird ? Nein, keine Einbildung – auch Herr Beck scheint es gehört zu haben.
»Ach du Scheiße ! Kommt jetzt etwa Alexander nach Hause ? Er hat jedenfalls auch einen Schlüssel zur Wohnung. Na, das wird gleich lustig !«
Die Tür zum Schlafzimmer fliegt auf, und mit einem Riesensatz steht Nina wieder neben dem Bett. Sie packt den Mann am Arm und zieht ihn vom Bett hoch.
»Quick ! My boyfriend’s coming home.«
»But you said …«
»No time for talking ! GET UP ! And get into the wardrobe over there !«
Als er steht, schubst ihn Nina in Richtung Kleiderkammer. Auch wenn ich die Worte nicht verstehe – der Inhalt ist klar: Nina will ihn verstecken. Und da fällt ihr natürlich der gleiche Ort ein, an den auch wir als Erstes gedacht haben. Oje, oje ! Gleich wird’s hier eng.
»Denkst du das Gleiche wie ich ?«, maunzt Herr Beck.
Ich nicke.
»Okay, dann sollten wir uns mal ein bisschen in die Klamotten verkrümeln.«
Gesagt, getan – Beck und ich kriechen so weit es geht in eine Ecke der Kammer und drücken uns zwischen die langen Kleider von Nina. Keine Sekunde zu früh – denn jetzt wird die Tür zur Kammer noch weiter geöffnet, Nina schiebt den Typen hinein, es klirrt kurz. Das müssen die Gläser sein. Klar, die würden Besuch verraten. Dann schließt Nina die Tür. Es ist stockfinster, aber ich brauche den Mann nicht zu sehen, um festzustellen, wie aufgeregt er ist. Sein Atem geht schnell, er riecht nach Schweiß. Lieber Menschengott, mach, dass Alexander ganz schnell wieder geht und wir alle heil aus dieser Kammer kommen.
»Hallo, Schatz ! Wo steckst du denn ?«
Alexanders Stimme schallt über den Flur, und seine Schritte kommen näher.
»Im Schlafzimmer. Ich habe schon fast geschlafen.«
Ninas Stimme klingt verräterisch zittrig, hoffentlich bemerkt Alexander das nicht.
»Schon so müde ?«
Jetzt ist Alexanders Stimme so laut und nah, dass er im Schlafzimmer angekommen zu sein scheint. Der Atem von dem Herrn im Schrank wird unregelmäßiger und hektischer – und irgendwie pfeifend. Kein Wunder, in seiner Haut möchte ich gerade nicht stecken. Ich möchte momentan noch nicht mal in meiner Haut stecken, obwohl meine Situation ungleich besser ist als seine.