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Findet Luisa allerdings gar nicht. Als sie mit Henri an der Hand ins Wohnzimmer spaziert kommt, ruft sie sofort: »Iieeeh, voll peinlich, ihr ! Hört mal auf ! Hier sind Kinder im Raum !«

Marc und Caro richten sich lachend wieder auf.

»Na hör mal, Luisa, die Hälfte der hier anwesenden Kinder gäbe es ohne unser Gekuschel gar nicht«, bemerkt Marc grinsend.

Aber Luisa verdreht nur die Augen, murmelt Echt jetzt und geht wieder raus. Henri hingegen krabbelt auf allen vieren zu seinen Eltern, um sich auch ins Getümmel zu stürzen. Und schon liegen die drei ineinander verknotet auf der Couch, kitzeln sich gegenseitig, lachen und juchzen. Ob da auch noch ein Plätzchen für mich ist ? Ich taxiere kurz eine mögliche Stelle zur Landung, dann springe ich hoch und schlabbere Caro durchs Gesicht. Die quiekt zwar vor Überraschung, schmeißt mich aber nicht runter. Herrlich, so ein menschlich-tierisches Rudel !

Die Wohnungstür im Flur schließt sich mit einem lauten Knall. Marc setzt sich auf.

»Nanu ? Ist Luisa etwa gegangen ?«

»Scheint so. Kein Wunder, wer will schon seinen Sonntag mit so peinlichen alten Leuten wie uns verbringen ?«

»Trotzdem – abmelden könnte sie sich wenigstens noch. Moment, ich schau mal nach ihr.«

Marc springt auf und läuft auf die andere Seite der Wohnung. Wenn man dort im Badezimmer das Fenster öffnet, kann man auf die Straße gucken.

»Hey, Luisa«, hören wir ihn rufen, »wo willst du denn hin ?« Die Antwort verstehen wir nicht, auf alle Fälle ist sie kurz. »Ja, ist in Ordnung. Aber sag demnächst bitte Bescheid, wenn du das Haus verlässt.«

Marc kommt zurück ins Wohnzimmer. Caro schaut ihn fragend an.

»Wohin will sie denn ?«

»Zum Bäcker. Kuchen kaufen für Hedwigs Besuch. An sich ja keine schlechte Idee.«

»Stimmt. Aber das kann sie doch einfach sagen.«

»Tja. Vielleicht kommen wir langsam in die Pubertät.«

»Mit elf ? Ein bisschen früh, oder ?«

Marc zuckt mit den Schultern.

»Weiß nicht. Ist ja mein erstes Kind. Aber wenn ich Luisa von der Schule abhole, dann habe ich schon das Gefühl, dass die heute alle ein bisschen früher dran sind. Mit allem. Wenn nicht Pubertät, dann irgendetwas, was direkt davor kommt.« Er seufzt.

Pubertät ? Was ist das denn ? Eine Art Krankheit ? Gar eine Kinderkrankheit ? So wie die Windpocken, die Luisa vorletzten Sommer hatte ? Davon soll es ja einige geben; Hedwig hatte damals noch von Krankheiten erzählt, die so lustige Namen wie Mumps oder Röteln hatten. Es gibt da jedoch eine besondere Medizin, damit man gar nicht erst krank wird. Impfen heißt das und wird auch bei Hunden angewandt. Ich kann ein Lied davon singen, denn an das Brennen der Spritze bei der Tollwutimpfung kann ich mich nur zu gut erinnern. Hedwig hatte jedenfalls geschimpft, weil Luisa nicht gegen Windpocken geimpft war. Offensichtlich sind Marc und Caro da nachlässig und haben bestimmt auch nicht gegen Pubertät geimpft. Deswegen müssen sie sich nun Sorgen machen. Selbst schuld also, aber vielleicht ist es noch nicht zu spät, und man könnte Luisa noch dagegen impfen.

»Och, Vatti, hast du es so schwer ?«, zieht ihn Caro auf.

Marc schneidet eine Grimasse und nickt heftig.

»Und ob. Wie du selbst schon festgestellt hast, bin ich in meiner Familie umringt von schwierigen Frauen: Luisa, Hedwig – dich nicht zu vergessen ! Wie gut, dass ich jetzt wenigstens mit Henri einen Mann an meiner Seite weiß !«

»Frechheit !«, ruft Nina gespielt empört und versetzt Marc einen Stoß in die Rippen. Das finde ich allerdings auch – denn noch vor Henri war doch wohl eindeutig ich der Mann an Marcs Seite. Ständig werde ich hier unter Wert verkauft, und wie gern würde ich nun beweisen, dass ich hier nicht nur das dumme Haustier bin. Lasse es aber, schließlich – siehe oben – muss ich die nächsten Tage wohl auf betont harmlos machen.

Eine ganze Weile später klingelt es. Vermutlich Luisa und der Kuchen. Hoffentlich eine ganz krümelige Sorte, denn dann sind meine Chancen, etwas abzubekommen, nicht schlecht. Schneller als der Staubsauger bin ich auf alle Fälle !

Diesmal steht Caro auf und geht zur Tür.

»Oh, hallo ! Na, dann kommt mal alle rein.«

Alle ? Redet Caro mit dem Kuchen ? Sehr ungewöhnlich. Und wonach riecht das hier auf einmal so intensiv ? Diesen Geruch kenne ich doch … es ist … hm …

Zwei Sekunden später ist klar, dass sich mein Frauchen nicht mit einem Stück Mürbeteig unterhalten hat. Im Wohnzimmer erscheint tatsächlich Luisa, aber dicht gefolgt von Hedwig und Daniel. UND Cherie ! Mit einem lauten WUFF springe ich vom Sofa und stürze auf sie zu.

»Cherie, was machst du denn hier ?«

Sie schaut mich aus ihren großen braunen Augen an.

»Hallo, Herkules ! Das ist eine sehr, sehr lange Geschichte. Erzähl ich dir später.«

Ja, später ist wahrscheinlich besser. Denn gerade habe ich vor Aufregung so starkes Ohrenrauschen, dass ich wahrscheinlich nur die Hälfte der Geschichte verstehen würde. Auch Marc ist mittlerweile aufgestanden.

»Hallo, Mutter. Hallo, Daniel. Das ist ja eine Überraschung !«

»Wir haben uns alle beim Bäcker getroffen«, erklärt Hedwig. »Ich wollte Kuchen für meinen Besuch besorgen.«

»Und ich verbringe den Tag in der Werkstatt und hatte schlicht Hunger«, ergänzt Daniel.

»Und ich hatte die tolle Idee, dass gleich alle mitkommen !«, erklärt Luisa fröhlich.

»Ja, warum nicht ? So ein Sonntagskaffee in größerer Runde hat doch was. Ich setz mal Kaffee auf«, beschließt Caro und verschwindet Richtung Küche.

»Luisa, hilf Caro bitte und deck hier im Wohnzimmer auf. Du kannst Teller und Tassen auch auf den Couchtisch stellen.«

Luisa verdreht die Augen.

»Mann, immer ich. Mach du doch auch mal was. Ich bin doch nicht das Dienstmädchen !«

Wuff, warum ist sie denn auf einmal so eine Zicke ? Sie ist doch sonst ein sehr hilfsbereites Kind.

»Und ich bin nicht dein Butler !«

Marc guckt sie scharf an, sie stöhnt noch einmal herzzerreißend, trabt dann aber auch in die Küche, wo der Geschirrschrank steht. Also, wenn Pubertät tatsächlich eine Krankheit ist, dann hat sie Luisa schon. Impfen zwecklos.

Kurz darauf sitzen oder liegen wir alle um den Couchtisch herum. Die Menschen essen Kuchen oder in Henris Fall Banane. Wir Hunde schlabbern die entstehenden Krümel vom Boden auf. Ein ganz entspannter Sonntagnachmittag. Oder besser: Es könnte ein ganz entspannter Sonntagnachmittag sein, wenn ich nicht so wahnsinnig aufgeregt wäre. Meine Nase kribbelt wie verrückt, und das Ohrenrauschen legt sich auch nur sehr langsam. Ich rutsche noch ein bisschen näher an Cherie heran und genieße die Wärme, die von ihrem Körper ausgeht.

»Nun sag doch mal, was für eine lange Geschichte gibt es denn zu erzählen ?«, frage ich sie neugierig.

»Ach, mein Frauchen spinnt mal wieder«, beginnt Cherie in einem sehr leidenden Ton, der nichts Gutes vermuten lässt.

Tatsächlich ist ihr Frauchen Claudia sehr sprunghaft. Nett, aber unberechenbar. Ich kenne sie nicht besonders gut, aber das war mir auch schon aufgefallen. Als ich Cherie vor zwei Jahren an der Alster zum ersten Mal traf, hatte Claudia gerade einen Typen kennengelernt. Und kaum war es mir endlich gelungen, mich mit Cherie anzufreunden, schon zog Claudia mit dem Mann zusammen, und sie und Cherie waren von einem auf den anderen Tag wie vom Erdboden verschluckt.

Genauso plötzlich tauchten sie allerdings auch wieder auf, als mit dem Kerl Schluss war. Cherie erzählte, dass Claudia nachts aus der gemeinsamen Wohnung getürmt ist – so schlecht wurde sie dort behandelt. Dann lernte sie Daniel kennen. Und kurz darauf lieben. Zack, schon zogen die beiden in einen Vorort namens Volksdorf. Wenn ich bedenke, wie lange es bei Caro gedauert hat, ihr Herz an Marc zu verschenken, dann geht bei Claudia wirklich immer alles in Lichtgeschwindigkeit. Doch vielleicht ist das nicht unbedingt ein Erfolgsrezept.