»Lass uns doch noch mal einen Blick auf die Gästeliste werfen«, schlägt Carolin vor, »vielleicht finden wir ja einen Kompromiss, mit dem auch deine Mutter gut leben kann.«
»Ja, und lass uns auch gleich einen Lottoschein ausfüllen. Wenn schon so ungewöhnliche Dinge passieren, knacken wir bestimmt auch den Jackpot.«
Ich kann Marcs Gesicht nicht sehen, weil er zu hoch über mir sitzt, aber seine Stimme klingt nach einem sehr breiten Grinsen. Offenbar hat er einen Witz gemacht, den ich nicht verstehe. Kompromiss, Lottospielen ? Egal, interessiert mich momentan sowieso nicht. Hat schließlich nichts mit Cherie zu tun.
»Also, wenn wir deine Patentante einladen, dann würde ich auch die Schwester meiner Mutter einladen. Ich glaube, meine Mutter ist sonst beleidigt.«
»Okay. Kenne ich die ?«
»Meine Mutter ? Natürlich, du Flegel !«
Beide lachen.
»Nee, im Ernst – ich glaube, du hast Tante Agnes noch nie gesehen. Die ist aber sehr nett. Ein bisschen esoterisch angehaucht, aber nett.«
»Esoterisch ? Hm, da hätten wir sie ja neben Yoga-Claudia setzen können. Aber so wie es ausschaut, kommt mein neuer Trauzeuge wohl ohne Begleiterin.«
»Ich finde es übrigens sehr nett, wie du mir mit Daniel aus der Klemme geholfen hast. Wenn du nicht behauptet hättest, dass du ihn im Männergespräch fragen wolltest, wäre er wohl ziemlich gekränkt gewesen. Danke, dass du dafür Georg geopfert hast.«
Sie schiebt unter dem Tisch ihr Bein zu Marc hinüber und streicht ihm damit über sein Schienbein. Eine sehr vertraute Geste – in diesem Moment beneide ich die beiden um ihre Gefühle füreinander.
»Hab ich gern gemacht, Spatzl. Und so dicke sind Georg und ich sowieso nicht mehr. Merkst du schon daran, dass du ihn kaum kennst. Insofern ist das mit Daniel ohnehin eine gute Idee.«
»Finde ich auch. Das Lustige ist, dass Daniel ernsthaft Angst hatte, dass du meine Freundschaft zu ihm irgendwie beunruhigend findest.«
Caro lacht. Marc nicht.
»Na ja, sooo abwegig ist der Gedanke nicht.«
»Wieso ?«
Caro klingt irritiert.
»Na ja, immerhin hängst du jeden Tag mit Daniel rum. Du siehst ihn häufiger als mich. Und dass Daniel mal schwer in dich verknallt war, ist nun wirklich kein Geheimnis.«
Caro zieht ihr Bein wieder zurück.
»Du glaubst doch nicht etwa ernsthaft, dass zwischen uns irgendetwas laufen würde ?«
»Das habe ich auch nicht gesagt. Ich meine ja nur, dass es tatsächlich ein seltsames Gefühl ist, wenn die eigene Frau einen so guten Freund hat, der mal was von ihr wollte.«
Dazu sagt Caro nichts mehr. Was sollte sie auch ? Daniel war wirklich schwer verliebt in Caro, und das weiß sie natürlich.
»Nun lass uns mal mit der Gästeliste weitermachen«, wechselt sie einfach das Thema. »Also Hedwig, meine Eltern, Nina, Daniel, ob mit oder ohne Claudia, Tante Inge, Tante Agnes, Georg und seine Frau, deine Cousine Edda. Sind schon mal zehn Leute. Dann Stefanie und Tom, schließlich waren wir gerade bei denen eingeladen, und wir kennen uns immerhin schon seit der Grundschule. Wer noch ?«
»Über meinen Cousin und seine Freundin würde sich Hedwig freuen, und ich habe auch ein ganz gutes Verhältnis zu Michael. Eigentlich ein besseres als zu Edda.«
»Stimmt«, pflichtet ihm Caro bei, »Michael und Susanne sind nett. Was ist denn mit Jens und Nicola ?«
»Gute Idee. Ihre beiden Töchter sind so alt wie Luisa, das passt auch ganz gut. Und vielleicht Frau Warnke ?«
Genau ! Die Sprechstundenhilfe von Marc hat immerhin jedes Mal ein Leckerli für mich parat.
»Okay. Frau Warnke, mit ihr hätten wir neunzehn. Weitere Vorschläge ?«
»Luisa wäre happy, wenn wir ihre Mutter einladen.«
»Nein. Kommt nicht in Frage. Die Frau hat mir den letzten Nerv geraubt, die will ich auf keinen Fall auf meiner Hochzeit sehen.«
»Verstehe ich. Bin ich auch nicht scharf drauf. Muss ich Luisa nur noch erklären. Somit sind wir bei neunzehn plus wir drei und Henri. Das ist doch eine gute Zahl. Und immer noch eine sehr überschaubare Veranstaltung. Da passen wir locker in das Kaminzimmer vom Kloster Uetersen.«
In diesem Moment höre ich das vertraute Geräusch von Gummireifen, die über den Fußboden rollern. Ein Kinderwagen kommt näher. Und zwar nicht irgendeiner, sondern unserer ! Hedwig und Henri sind da.
»Hallo, ihr zwei !«, grüßt Hedwig freundlich. »Frau Warnke hat mir erzählt, dass ihr hier essen seid. Ich dachte, bei meinen sensationellen Neuigkeiten darf ich euch einen Besuch abstatten.«
»Grüß dich, Mutter ! Sensationen hören wir natürlich immer gern. Setz dich doch zu uns.«
Marc steht auf und schiebt noch einen Stuhl für Hedwig an den Tisch. Henri scheint zu schlafen, jedenfalls höre ich aus dem Kinderwagen keinen Mucks.
»Na, was gibt’s denn ?«, fragt Carolin neugierig.
Hedwig setzt sich auf den Stuhl und strahlt mit der Kerze auf dem Tisch um die Wette.
»Ja – also: Haltet euch fest ! Ihr könnt im Michel heiraten ! Der ist im Juni eigentlich schon immer ein Jahr vorher ausgebucht, aber mein Chorleiter ist um drei Ecken mit dem Kantor verwandt. Und der hat mal nachgeforscht, ob sich nicht doch etwas machen lässt. Stellt euch vor: Es ist gewissermaßen noch genau eine Schicht am 15. Juni frei – wenn man das so nennen darf. Ist das nicht ein Glück ?«
»Äh … im Michel ?«
Marc klingt entsetzt, und ich frage mich, warum. Michel klingt doch sehr nett. Ich habe keine Ahnung, wo das ist, aber dem Namen nach ist das bestimmt irgendetwas ganz Kleines, Kuschliges.
»Ja, im Michel. Toll, oder ?«
»Mutter, St. Michaelis ist riesig ! Da passen ein paar hundert Leute rein, eher wahrscheinlich ein paar tausend.«
»Aber es die bekannteste Hamburger Hauptkirche, das Wahrzeichen unserer Stadt ! Denk doch mal an deine Freunde aus Süddeutschland – die wären bestimmt begeistert !«
Jetzt mischt sich Carolin ein, und ich höre ihrer Stimme an, dass sie sich wirklich bemüht, freundlich zu sein.
»Hedwig, ich finde es ganz lieb von dir, dass du dir solche Gedanken machst. Aber wir haben gerade über die Gästeliste gesprochen und mehr als vierundzwanzig Leute werden wir auf keinen Fall werden. Da wären wir in so einer großen Kirche doch ein sehr verlorenes Häuflein. Außerdem bin ich mir gar nicht sicher, ob wir kirchlich heiraten wollen.«
»Oh.« Hedwig klingt sehr enttäuscht. »Wollt ihr euch denn den Michel nicht wenigstens mal angucken ? Vielleicht ladet ihr doch mehr Leute ein, und dann passt es wieder gut. Gib mir doch mal eure Gästeliste, bestimmt habt ihr irgendjemanden vergessen.«
»Hedwig, ich kenne den Michel. Ich bin schließlich gebürtige Hamburgerin und habe die Kirche bestimmt schon zwanzigmal mit Freunden aus ganz Deutschland besichtigt.« Schwupp – schon klingt Caro nicht mehr ganz so freundlich. »Und die Liste haben wir nur im Kopf. So viele Namen stehen nicht drauf, als dass ich da viel schreiben müsste.«
Hedwig seufzt.
»Na gut, wie ihr meint. Stefan, mein Chorleiter, hat euch den Termin für eine Woche reserviert. Ihr könnt gern noch mal drüber nachdenken. Ich mach mich wieder auf den Weg, bevor Henri hier drinnen noch wach wird.«
Sie rückt den Stuhl nach hinten, steht auf und rollert mit dem Kinderwagen Richtung Ausgang.
»Puh«, sagt Caro, als Hedwig außer Hörweite ist, »die ist echt hartnäckig. Wenn wir nicht aufpassen, landen wir zur Trauung im Michel, zum Empfang im Anglo-German Club, und die Feier findet dann im großen Ballsaal vom Hotel Atlantic statt.«
Marc lacht.
»Ganz auszuschließen ist das nicht. Vielleicht sollten wir vorsichtshalber schon mal darüber nachdenken, wen wir notfalls noch einladen können. Damit’s im Michel nicht so leer aussieht.«