»Nun ja, aber immerhin ist Hedwig hier vor Ort. Deine Eltern wohnen in Lüneburg – für die wäre es zu weit, jeden Tag nach Hamburg zu fahren, um auf Henri aufzupassen.«
»Richtig. Aber alles kein Problem, ich habe eine ganz tolle Tagesmutter für Henri gefunden, die wird sich ab nächster Woche um ihn kümmern. Eine gute Freundin meiner Hebamme. Sie war lange selbst Hebamme und hat zwei Kinder, kennt sich also wunderbar mit Babys und Kleinkindern aus. Ein richtiger Glücksgriff, diese Frau Langhagen !«
Eine TagesMUTTER. Was in aller Welt ist das ? Carolin ist doch die Mutter von Henri. Und man kann doch wohl kaum zwei Mütter haben. Selbst als kleiner Mensch nicht. Ich war selbst dabei, als Caro Henri geboren hat. Aus Versehen auf der Parkbank eines Friedhofs. Mann, das war vielleicht aufregend ! Und es war garantiert keine Frau Langhagen dabei – das hätte ich bemerkt. Nur Caro, Marc und zwei Polizisten. Und natürlich ich. Und später Henri. Wieso braucht der jetzt also eine zweite Mutter ? Er hat doch eine. Und ein tolle noch dazu.
Andererseits: Vielleicht ist es für die Mutter selbst gar nicht schlecht, wenn es noch eine Ersatzfrau gibt. Ich erinnere mich, dass unsere Mutter manchmal ziemlich genervt von uns war. Wenn wir etwa alle gleichzeitig an ihren Zitzen trinken wollten, hat sie den einen oder anderen von uns, der besonders stürmisch war, schon mal gezwickt. Oder uns allesamt angeknurrt, wenn sie gerade ihre Ruhe haben wollte. Gekümmert hat sie sich dann aber trotzdem, wenn auch schlecht gelaunt. Hätte es aber eine Ersatzdackelmama gegeben, hätte sich meine Mutter einfach mal faul in ihren Hundekorb hauen und Welpen Welpen sein lassen können. Wobei sie das sicherlich auch gerne nachts gemacht hätte, da wäre eine Nachtmutter eigentlich praktischer gewesen als eine Tagesmutter.
Wie auch immer: Wenn die Tatsache, dass Henri demnächst eine zweite Mutter für tagsüber bekommt, bedeutet, dass wir ihn doch behalten können, wenn diese Geschichte namens Elternzeit vorbei ist, ist das natürlich eine feine Sache. Deswegen ist Caro auch noch so gut gelaunt. Wüsste sie, dass Henri demnächst weg ist, wäre sie bestimmt traurig. Als meine Tante ihren Wurf abgeben musste, war sie tagelang ganz mickrig, und ich hoffe doch, dass meine Mutter mich auch vermisst hat, als ich ins Tierheim kam.
Während ich noch darüber sinniere, auf welch praktische Ideen Menschen immer wieder kommen, auch wenn sie sonst so kompliziert denken, steht Caro auf und holt zwei Gläser aus dem Wohnzimmerschrank.
»Oh, gibt’s was zu feiern ?«, erkundigt sich Nina.
Gute Frage, denn tatsächlich deuten diese Gläser meiner Erfahrung nach darauf hin, dass Caro ihrer Freundin gleich Alkohol servieren wird. Und dafür ist es vor dem Mittagessen eigentlich noch etwas früh. Es sei denn, es ist ein besonderer Anlass. So weit immerhin habe ich das Alkoholtrinkritual schon durchschaut.
Caro lacht und stellt die Gläser auf den Tisch.
»Na klar, wir haben doch noch gar nicht auf dein Trauzeugenamt angestoßen ! Und ich dachte, ein Gläschen Prosecco könnte ein anschließendes Brainstorming mit dir, wie genau wir feiern wollen, deutlich befördern. Moment, ich hole mal die Flasche aus dem Kühlschrank.«
Sie geht in Richtung Küche, Nina bleibt sitzen und beginnt, mich gedankenverloren hinter den Ohren zu kraulen. Komisch – das macht sie sonst nie ! Als sie dann auch abgrundtief seufzt, ist mir klar, dass hier etwas nicht stimmt. Und zwar absolut nicht.
Aus der Küche kommt ein lautes Plopp, kurz darauf kommt Carolin mit einer Flasche zurück und füllt die Gläser mit sprudelndem Inhalt.
»So, dann würde ich mal sagen: Auf die Liebe !«
Sie hebt ihr Glas, Nina zögert einen Moment, dann nimmt sie ebenfalls ihr Glas.
»Ja, prost, auf die Liebe.«
Die beiden trinken, dann setzt sich Carolin wieder neben Nina.
»Weißt du, ich habe schon mal überlegt, wo wir feiern können. Antje und Jörg haben doch damals gleich die Trauung ins Jacobs verlegt – die haben wohl ein extra Trauzimmer im Hotel. Und danach haben sie dort mit der Familie gegessen und gefeiert. Muss ein sehr schönes Fest gewesen sein, ganz intim und besonders. Und eine Hochzeitsnacht im Jacobs ist natürlich ein Traum, oder ?«
»Ja, hm. Weiß nicht. Meins wär’s nicht. Viel zu vornehm.«
Nina klingt, als habe sie Zahnschmerzen. Oder schlechte Laune.
»Meinst du ?«, fragt Caro enttäuscht. »Also, ich finde, für so einen besonderen Anlass …«
»Gut, ist nur meine Meinung«, unterbricht Nina sie, »aber euer Fest.«
»Nein, nein, deine Meinung ist mir ja wichtig. Okay, ich habe neulich in einer dieser Hochzeitszeitschriften einen Artikel über einen Leuchtturm an der Elbe gesehen, da kann man heiraten und mit einer kleinen Gruppe auch feiern.«
»Leuchtturm ? Verbindet euch denn irgendwas mit der Seefahrt ?«
Okay, keine Zahnschmerzen. Sondern definitiv und einfach schlechte Laune. Und zwar so deutlich, dass es jetzt auch mein Frauchen merkt.
»Sag mal, was ist denn los mit dir ? Ich hatte gehofft, dass es dir Spaß macht, ein bisschen Wedding-Planerin zu spielen.«
Was mag eine Wedding-Planerin sein ? Auf alle Fälle wohl etwas, zu dem Nina nicht die geringste Lust hat. Das ist mehr als offensichtlich.
»Na ja, Heiraten ist irgendwie gerade nicht mein Lieblingsthema.«
Sie stellt ihr Glas auf dem Couchtisch vor sich ab und starrt an die Decke. Carolin mustert sie nachdenklich.
»Liegt das an Marc ? Ist Trauzeugin doch nicht ganz das Richtige ?«
Nina schüttelt den Kopf.
»Nein, nein, das ist es nicht. Sonst hätte ich schon etwas gesagt, als du mich gefragt hast. Es ist nur … seit ich von meinem Auslandsjahr zurück bin, läuft es mit Alex nicht mehr so. Keine Ahnung, woran das liegt. Er ist lieb und nett und kümmert sich um alles, aber irgendwie … ach, ich weiß auch nicht. Wenn du dann übers Heiraten sprichst, ist mir ein bisschen seltsam zumute.«
»Hey !« Carolin streicht Nina über den Arm. »Warum hast du mir denn nichts davon erzählt ?«
»Weiß nicht. Ich wollte dir nicht die gute Laune verderben. Und ich freu mich ja auch für dich. Und natürlich für Marc. Aber ich wäre eben auch gern richtig glücklich verliebt.«
Auweia ! Die arme Nina ! Ich kann sie so gut verstehen ! Ich glaube, wenn der fette Kater mir vorsäuseln würde, wie glücklich er mit der getigerten Lady aus dem Haus zwei Ecken weiter ist, könnte ich mich auch nur begrenzt für ihn freuen. Ich meine, klar, er ist mein Freund, aber so etwas hört man sich doch ungern an, wenn man selbst Liebeskummer hat. Und nun hat es unsere Nina getroffen, und sie fühlt sich schlecht. Obwohl die doch sonst immer so hart im Nehmen ist.
Komisch ist allerdings, dass sich die Zweibeiner für ihre Beziehungskrisen offenbar den Frühling aussuchen. Ich meine, das kann doch kein Zufall sein, dass es nun gleichzeitig bei Daniel und Nina brodelt. Bei uns Vierbeinern ist das eigentlich die passende Zeit im Jahr, einen Partner zu finden. Nicht, ihn loszuwerden. Wobei – wenn ich bei Cherie endlich eine Chance hätte, wäre mir die Jahreszeit egal. Es könnte von mir aus auch tiefster Winter sein. Jaul, Liebeskummer ist furchtbar ! Ich sollte vielleicht eine Selbsthilfegruppe mit Nina und Daniel gründen.
FÜNF
Deine Fleischwurst-und-Schinken-Theorie finde ich gut.«
Wow ! Herr Beck lobt mich freiwillig – sensationell ! Wir sind wieder in der Werkstatt, Carolin und Daniel besprechen offenbar ihren neuen Superauftrag, Henri haben wir bei Hedwig geparkt, und Herr Beck und ich lungern im Flur herum.