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»Soll ich hier auf Sie warten, Miss?«, fragte der Kutscher, als sich das Schweigen unbehaglich in die Länge zu ziehen begann. »Oder Sie später wieder abholen?«

»Das ist freundlich von Ihnen, Arthur«, antwortete sie. »Aber ich muss ... gewisse Erkundigungen einziehen. Mit einigen Leuten reden ... vielleicht einer Spur nachgehen ...« Sie hob bedauernd die Schultern. »Ich weiß nicht, wie lange es dauert.«

Arthur war unübersehbar erleichtert, dass sie sein Angebot ausgeschlagen hatte, fühlte sich aber auch ebenso offensichtlich unwohl dabei, sie allein hier zurückzulassen.

»Sind Sie für morgen schon bestellt?«, fragte Bast.

Erwartungsgemäß schüttelte er den Kopf. »Ich bin niemals fest gebucht, Miss«, antwortete er. »Ich fahre meine Plätze ab und warte darauf, dass mich jemand braucht.«

Und das nur zu oft ohne Erfolg, dachte Bast bedauernd. Sie lächelte. »Dann kommen Sie doch morgen gegen Mittag zur Pension«, sagte sie. »Ich bin das erste Mal in London, und ich kenne hier niemanden, also werde ich Sie sicher brauchen. Wenn wir uns auf einen angemessenen Preis einigen, kann ich Sie vielleicht für die ganze Zeit meines Aufenthalts hier mieten. Eine Woche, vielleicht sogar zwei.«

»Das wird sicher gehen«, antwortete er überrascht - und fast ein bisschen ungläubig.

Bast öffnete ihren Beutel, um ihn für die Fahrt hierher zu entlohnen, aber er schüttelte rasch den Kopf und hob zusätzlich abwehrend die Hand.

»Das ist nicht nötig, Miss. Ich meine: Wir können das morgen erledigen.«

»Wie Sie wünschen.«

Arthur griff mit beiden Händen nach den Zügeln, knallte aber noch nicht damit, sondern wandte sich noch einmal an sie und machte zugleich eine Kopfbewegung auf das nächstgelegene Lokal, einen winzigen Pub auf der anderen Straßenseite, durch dessen offen stehende Tür rotes Licht auf den Gehsteig fiel. »Wenn Sie schon hier Ihre Erkundigungen einholen müssen, Miss, gehen Sie dorthin«, sagte er. »Das ist zwar auch kein anständiges Lokal, aber am ehesten noch das, in das eine Lady allein gehen kann.« Sein Tonfall machte mehr als klar, dass eine Lady seiner Meinung nach in kein Lokal allein gehen konnte - wenigstens nicht, wenn sie wirklich eine Lady war -, aber Bast spürte die gute Absicht dahinter und schenkte ihm nur noch ein dankbares Lächeln, und endlich griff er wirklich nach seinen Zügeln und fuhr davon.

Sie sah ihm nach, bis der Wagen am Ende der Straße angelangt und verschwunden war. Beiläufig registrierte sie, dass sie anscheinend die Einzige war, die darauf achtete. Die Straße erweckte zwar nicht den Eindruck, aber der Anblick einer Mietdroschke, aus der ein nobel gekleideter Fahrgast stieg, schien hier absolut nichts Besonderes zu sein.

Dafür gewahrte sie nach einem Moment etwas, womit sie hier zuallerletzt gerechnet hatte: einen leibhaftigen englischen Bobby in seinem schwarzen Rock mit den schimmernden Messingknöpfen, dem hohen Hut und einer Trillerpfeife, die an einer weißen Kordel um seinen Hals hing. Bast hatte schon viel von diesen Polizisten gehört und sah ihn ganz unverhohlen neugierig an. Der Mann schlenderte fast gemächlich in ihre Richtung, wobei sein Blick unentwegt, aber offenbar ohne allzu großes Interesse über die Türen der Lokale und die Menschen davor glitt. Er schien weder an der lauten Musik noch an den Betrunkenen oder den in eindeutiger Absicht dastehenden Frauen Anstoß zu nehmen.

Dennoch war Bast nicht wirklich überrascht, als der Polizist mit einem plötzlichen Stirnrunzeln die Richtung änderte und geradewegs auf sie zusteuerte. Flüchtig fragte er sich, wozu er überhaupt hier war und wen er eigentlich vor wem beschützen sollte, verzichtete aber darauf, diesen Gedanken bis zu seinem konsequenten Ende zu verfolgen. Der Bobby war längst nicht der Einzige, der sie ganz unverhohlen anstarrte. Aber was hatte sie erwartet? In ihrer nachtschwarzen Kleidung, dem roten Turban und mit ihrer außergewöhnlichen Größe stach sie hier hervor wie der sprichwörtliche bunte Hund - oder der wehe Daumen, wie die Engländer sagten. Seltsamerweise kamen die negativsten Schwingungen, die sie auffing, ausnahmslos von Frauen.

Sie widerstand nur mit Mühe der Versuchung, einigen von ihnen zu demonstrieren, wie man sich fühlte, wenn man wirklich vom bösen Blick getroffen wurde und geduldete sich, bis der Bobby näher kam und unmittelbar vor ihr stehen blieb. Die Art, auf die er sie maß, gefiel ihr noch sehr viel weniger als seine bisherige Interesselosigkeit, aber sie schluckte auch dazu jede Bemerkung herunter. Sie war nicht hier, um sich mit der Obrigkeit anzulegen.

»Guten Abend, Miss«, sagte er.

Bast nickte schweigend und sah ihn scheinbar verständnislos an. Sollte er ruhig erst einmal glauben, dass sie seiner Sprache nicht mächtig war.

»Sprechen Sie unsere Sprache?«, fuhr er auch prompt fort.

»Ja«, antwortete sie. Etwas in ihr ... regte sich. Stärker als bisher. Bast lauschte in sich hinein und stellte ohne die mindeste Überraschung fest, dass es der Bobby war, auf den sie so heftig reagierte. So lange, wie sie diesen niemals endenden Kampf nun schon führte, erkannte das Ungeheuer in ihr die Art von Beute, auf die sie es manchmal loslassen musste, mittlerweile sicherer als sie selbst und zerrte nun an seinen Ketten, um seine Gier zu stillen. Es kostete sie immer größere Mühe, es zu bändigen.

»Das macht die Sache einfacher«, fuhr der Polizist fort. Sein Blick irrte noch einmal leicht irritiert über ihr Gesicht, das sich nahezu eine Handspanne über dem seinigen befand, und glitt dann nach unten, um für einen eindeutig zu langen Moment dort hängen zu bleiben, wo sich ihr Kleid über ihren Brüsten spannte.

Schließlich räusperte er sich. »Würden Sie mir bitte Ihren Ausweis zeigen, Miss?«

»Wozu?«, erkundigte sich Bast.

Sein Blick wurde um etliche Grade kühler. »Weil ich es Ihnen sage«, antwortete er scharf. »Also zeigen Sie mir jetzt Ihre Papiere - falls Sie welche besitzen -, bevor Sie wirklich Ärger bekommen!«

»Nein«, antwortete Bast. »Die gehen Sie nichts an.«

Zorn flackerte für einen Moment in seinem Blick auf und erlosch wieder. »Ganz wie Sie meinen«, sagte er in leicht verwundertem Ton, als wäre er sich selbst nicht ganz darüber im Klaren, warum er das überhaupt sagte. Was der Wahrheit ziemlich nahekam.

Basts Mitleid mit ihm hielt sich in Grenzen, und erst jetzt, wo sie sich unmittelbar gegenüberstanden, sah sie auch, dass er tatsächlich keine Waffe trug, ganz wie man es ihr erzählt hatte; nicht einmal einen Schlagstock. Obwohl sie es gewusst hatte, kam ihr diese Tatsache mehr als seltsam vor - dass ausgerechnet eine Nation, die ihren gewaltigen Militärapparat rücksichtslos einsetzte, um ein weltweites Imperium zu errichten, so stolz darauf war, dass die Polizeibeamten in ihrem Heimatland unbewaffnet waren.

Der Bobby sah sie immer noch mit einer Mischung aus Verwirrung und allmählich aufkeimender Panik an, und Bast sah endlich ein, wie albern das war, was sie tat, und gab seinen Willen behutsam wieder frei. Er atmete hörbar auf und machte ganz instinktiv einen Schritt zurück.

»Aber wenn Sie schon einmal da sind, Konstabler«, fuhr sie fort, als wäre in der Zwischenzeit rein gar nichts geschehen, »können Sie mir vielleicht helfen. Ich bin fremd in dieser Stadt und suche eine bestimmte Adresse.« Sie zwang ein angedeutetes Lächeln auf ihre Lippen und versuchte die Blicke zu ignorieren, die sie mittlerweile aus allen Richtungen trafen. »Der Kutscher war so freundlich, mich in die richtige Straße zu fahren, aber bei der Hausnummer musste er passen.«

»Die Häuser hier haben keine Nummern«, antwortete er lahm. »Jedenfalls sind sie nicht angeschlagen. Was suchen Sie denn?«

»Nummer neunzehn«, antwortete Bast, ohne dass sie den Zettel zu Hilfe nehmen musste, den sie vorhin Arthur gezeigt hatte, und der überraschte Ausdruck auf dem Gesicht des Konstablers erklärte ihr, dass ihm diese Nummer nicht nur durchaus etwas sagte, sondern es sich auch nicht unbedingt um ein ganz gewöhnliches Haus zu handeln schien.