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Was sie nicht vor dem Schwerthieb bewahrte, mit dem Horus sie empfing.

Sie war nicht gänzlich unvorbereitet, und Horus nicht im Vollbesitz seiner Kräfte, sodass es ihr gelang, ihre Waffe im letzten Moment hochzureißen und den Hieb abzufangen, aber er hatte alle Kraft, die er noch besaß, in diesen einen Angriff gelegt, und seine schiere Wucht reichte, ihr das Schwert aus der Hand zu prellen und sie hilflos nach hinten stolpern zu lassen. Mit verzweifelt rudernden Armen kämpfte sie um ihr Gleichgewicht, und Horus setzte ihr nach und versetzte ihr einen Tritt, der sie noch weiter nach hinten stolpern ließ, bis ihr Fuß plötzlich ins Leere stieß. Mit einem erschrockenen Keuchen kippte sie nach hinten, stürzte rücklings die Treppe hinunter und schlug mit so grausamer Wucht auf den steinernen Stufen auf, dass ihr übel wurde.

Trotzdem verlor sie nicht das Bewusstsein. Alles drehte sich um sie, und plötzlich war der Geschmack ihre eigenen Blutes in ihrem Mund, aber sie sah dennoch, wie Horus ihr abermals nachsetzte und das Schwert mit beiden Händen hoch über den Kopf riss.

Verzweifelt warf sie sich herum, zerrte Abberlines Revolver unter dem Mantel hervor und schoss.

Die erste Kugel verfehlte Horus und grub eine armlange Narbe in den Verputz der Wand, die zweite traf seine Schulter und riss ihn wie ein Faustschlag herum. Horus keuchte vor Schmerz, torkelte zurück und fiel seinerseits auf den Rücken, halb auf dem Treppenabsatz, halb auf den Stufen liegend.

Bast kämpfte mir aller Willenskraft gegen den hämmernden Schmerz in ihrem Schädel und die roten Schlieren vor ihren Augen, die die Welt verschlingen wollten. Den Kampf gegen die blutigen Nebel gewann sie, den gegen das Hämmern in ihrem Hinterkopf nicht, aber das spielte keine Rolle. Mühsam und ununterbrochen blinzelnd wälzte sie sich herum, verlor den Halt und schlitterte ein weiteres halbes Dutzend Stufen die Treppe hinab, bis es ihr gelang, ihren Sturz abzufangen und so zum Liegen zu kommen, dass sich ihre Füße nicht mehr oberhalb ihres Kopfes befanden. Sie fuchtelte noch immer wild mit dem Revolver herum, ohne sich ernsthaft einzubilden, irgendetwas treffen zu können.

Nicht, dass es noch irgendetwas zu treffen gegeben hätte. Horus war offenbar vor ihr wieder auf die Füße gekommen, aber er hatte die Gelegenheit nicht genutzt, um sie abermals anzugreifen, sondern die Flucht anzutreten. Bast registrierte verschwommen, wie die Tür über ihr ins Schloss fiel, rappelte sich mit zusammengebissenen Zähnen hoch und musste sich mit der freien Hand an der Wand abstützen, um nicht gleich wieder zu fallen. In ihrem ganzen Körper schien kein einziger Muskel zu sein, der nicht auf die eine oder andere Weise wehtat.

Aber sie war nicht wirklich verletzt. Sie spürte keine Knochenbrüche oder Schlimmeres. Ein paar Augenblicke Ruhe, und sie konnte ihre Verfolgung fortsetzen.

Sie gönnte sie sich; nicht nur ein paar Augenblicke, sondern geschlagene fünf Minuten, in denen sie mit geschlossenen Augen an die Wand gelehnt dastand, an nichts zu denken versuchte und ihrem Körper Gelegenheit gab, sich zu regenerieren. Natürlich würde auch Horus diese Zeit nutzen, um wieder zu Kräften zu kommen und seine Flucht fortzusetzen - aber wohin wollte er schon gehen? Über ihnen waren nur noch zahllose Stufen und eine weitere Galerie, und dann der Himmel. Wenn Horus nicht mittlerweile gelernt hatte, ebenso wie sein Wappentier zu fliegen, dann saß er in der Falle.

Sie überprüfte die Trommel ihres Revolvers - noch drei Kugeln, und vielleicht sollte sie bei passender Gelegenheit einmal darüber nachdenken, ihre Einstellung Schusswaffen gegenüber zu überdenken -, schob ihn unter den Gürtel und ging mit schleppenden Schritten die Stufen hoch, um ihr Schwert aufzuheben. Das Gewicht der Waffe schien sich mindestens verzehnfacht zu haben, und es kostete sie schon Mühe, die Tür zu öffnen, die Horus hinter sich zugeschlagen hatte. Sie konnte nur hoffen, dass es Horus genau so erging.

Zumindest lauerte er diesmal nicht mehr auf der anderen Seite. Bast erblickte nichts als die Fortsetzung der Treppe, auch wenn sie jetzt wesentlich steiler zu sein schien und der Treppenschacht enger und in weitaus schlechterem Zustand. Von Abberline wusste sie, dass die Kuppel von St. Paul's weit über dreihundert Fuß hoch war - dreihundertfünfundsechzig, um genau zu sein, einen für jeden Tag des Jahres, wie er ihr voller Stolz verkündet hatte -, und das bedeutete, dass es gut und gerne fünfhundert Stufen waren, wenn Horus bis ganz nach oben floh ...

Sie würde ihn für jede einzelne Stufe bezahlen lassen, das nahm sie sich fest vor.

Um nicht ganz die Orientierung zu verlieren, zählte sie die Stufen, kam aber bald durcheinander und gab dieses ohnehin sinnlose Vorhaben gleich wieder auf. Und wie sich zeigte, musste sie auch nicht bis ganz nach oben. Nach weiteren hundert Stufen verspürte sie einen neuerlichen, kühlen Luftzug und stand schließlich vor einer schmalen Tür, die auf eine weitere, diesmal außen gelegene Galerie hinausführte. Sie war so ratlos wie vorhin - Horus konnte dort draußen sein und hoffen, dass sie an seinem Versteck vorbeilief, oder auch nur ein Dutzend Stufen über ihr auf der Treppe, gerade außerhalb ihrer Sichtweite. Noch eine Eins-zu-eins-Chance. Diesmal wählte sie die andere Option und trat auf die Galerie hinaus.

Der Anblick traf sie so unerwartet, dass sie im ersten Moment wankte und ganz instinktiv nach dem Geländer vor sich griff. Die Galerie war gut acht Fuß breit und wurde von einem massiven schmiedeeisernen Gitter begrenzt, über das man allerhöchstens dann versehentlich stürzen konnte, wenn man mindestens drei Meter groß war, aber die Architekten hatten ein weiteres, diesmal optisches Wunder vollbracht: Sobald man aus der Tür trat, hatte man das Gefühl, vollkommen frei hoch über den Dächern der Stadt in der Luft zu schweben. Es gab, wenigstens auf dieser Seite der Kuppel, kein Gebäude und keinen Kirchturm, der sie überragt oder ihre Höhe auch nur annähernd erreicht hätte, sodass sie praktisch ganz London überblicken konnte, einen gewaltigen Ozean aus Schatten und schimmernden weißen und gelben Lichtern, über dem ein feiner Dunst zu liegen schien, der dem Bild etwas noch Unwirklicheres und fast schon Gespenstisches gab.

Etwas berührte sie eisig und unendlich sanft im Gesicht, und Bast begriff, dass der Dunst in Wahrheit pulverfeiner Schnee war, den der Wind vor sich her trieb. Als sie sich bewegte, knirschte es unter ihren Füßen. Und als sie sich herumdrehte, sah sie Horus.

Überrascht zog sie die Brauen zusammen. Sie hatte damit gerechnet, dass er sich längst auf den Weg zur anderen Seite der Kuppel gemacht und einfach darauf gesetzt hätte, dass er schneller war oder in die falsche Richtung lief, aber er hatte sich nur wenige Schritte weit entfernt und saß mit dem Rücken gegen den weißen Stein der Kuppel gelehnt und angezogenen Knien da. Die kaum fingerdicke Schneedecke, auf der er saß, war dunkel verklumpt von seinem Blut, und sein Gesicht - oder was noch davon übrig war - bot einen grauenerregenden Anblick. Die Kugel hatte nicht nur sein Auge ausgelöscht, sondern ihm auch die halbe Schläfe weggerissen. Das zerstörte Gewebe begann sich schon wieder zu regenerieren, und es sah aus, als begänne sein Fleisch zu kochen und Blasen zu werfen. Trotzdem würde es noch Stunden dauern, bis sein Gesicht auch nur halbwegs geheilt sein würde, und vielleicht Tage, bevor sein Auge wieder sehen könnte. Noch vor wenigen Stunden hätte Bast bei diesem Anblick nichts als Schmerz und Mitleid empfunden. Jetzt empfand sie ... nichts.

»Du hast dich also endlich daran erinnert, dass du einmal ein Mann warst«, sagte Bast, »und rennst nicht mehr davon.«

Horus hob mühsam den Kopf und sah sie aus seinem verbliebenen Auge an. Bast musste fast all ihre Kraft aufwenden, um dem schrecklichen Anblick standzuhalten. Trotzdem lachte er; oder gab immerhin ein Geräusch von sich, das er für ein Lachen hielt. »Ich dachte, du wüsstest ziemlich gut, dass ich ein Mann bin.«