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»Zieht das jetzt die Blutrache der ganzen Familie nach sich?«, fragte Abberline.

Bast begriff zwar, dass er sich in schwarze Ironie rettete, um irgendwie mit dem unerträglichen Druck fertig zu werden, der auf ihm lastete, aber sie fand die Bemerkung trotzdem unpassend und ignorierte sie. »Sie sind der erste Sterbliche, dem das gelungen ist«, sagte sie ernst. »Jedenfalls seit sehr langer Zeit.«

»Ich hatte ein wenig Hilfe«, antwortete Abberline. Er hustete, verzog das Gesicht und griff sich an den Hals und zog eine noch heftigere Grimasse. »Sie haben mir das Leben gerettet, Bast. Eine Sekunde später ...«

»Bilden Sie sich nur nicht zu viel ein«, sagte Bast grimmig. »Es war die einzige Chance, die ich hatte, um ihn zu besiegen. Wäre ich ihm in einem fairen Kampf gegenübergetreten, hätte er mich in Stücke geschnitten.«

Abberline sah sie zweifelnd an, und auch Bast war nicht ganz sicher, ob ihre Worte tatsächlich der Wahrheit entsprachen. Was das in Stücke schneiden anging sicher - aber sie hatte gar nicht darüber nachgedacht, sondern einfach nur begriffen, dass Abberline in einer tödlichen Gefahr schwebte und ganz instinktiv gehandelt.

Bast drehte sich mit zusammengebissenen Zähnen auf die Seite, um Horus' Leichnam zu begutachten; etwas, das sie bisher fast krampfhaft vermieden hatte; als fürchte ein Teil von ihr immer noch, dass sich Horus plötzlich neben ihr aufrichten und nach seinem Schwert greifen könnte.

Aber Horus war tot, tatsächlich und unwiderruflich. Sein kopfloser Torso lag in einer sich ausbreitenden Blutlache. Sein Schädel lag gute zehn Fuß entfernt, aber ein gnädiges Schicksal wollte es, dass sich sein Turban halb gelöst und der schwarze Stoff wie ein barmherziger Schleier über sein Gesicht ausgebreitet hatte. Dennoch jagte ihr der Anblick einen eisigen Schauer über den Rücken. Abberline hatte vollkommen recht: Vielleicht hatte er das Schwert geführt, das Horus enthauptete, aber letzten Endes hatte er nur zu Ende gebracht, was sie angefangen hatte. Streng genommen hatte sie Horus getötet, und sie sollte irgendetwas empfinden; zumindest einen Hauch von Schuld.

Aber der Anblick ließ sie vollkommen kalt. Es war vorbei, so einfach war das.

»Herzlichen Glückwunsch, Inspektor«, sagte sie matt. Abberline blickte fragend, und Bast fuhr mit einer deutenden Geste auf Horus' Körper fort: »Sie sollten hier vielleicht ein bisschen aufräumen, und wie Sie es Ihren Vorgesetzten erklären, überlasse ich Ihrer Fantasie ... aber wie es aussieht, haben Sie Jack the Ripper erwischt.«

Abberline sah sie auf eine Weise an, die ihr nicht gefiel.

»Auf jeden Fall hört es jetzt auf«, fügte sie hinzu.

»Ich fürchte, es ist noch nicht vorbei«, antwortete Abberline ernst. »Glauben Sie, dass Sie aufstehen können?«

»Warum?«, fragte Bast alarmiert.

Abberline deutete auf Horus hinunter. »Er hätte mir die Kehle durchgeschnitten, wenn Sie nicht im letzten Moment aufgetaucht wären. Aber zuvor hat er mir noch etwas ins Ohr geflüstert. Er hat gesagt, dass alles umsonst war und er sich darauf freut, Ihnen das zu sagen, bevor er Sie tötet.«

»Das was umsonst war?«

»Das Mädchen«, antwortete Abberline. »Faye. Er hat mir gesagt, dass sie in diesem Moment unterwegs sei, um Faye zu töten.«

Der Wagen schoss so schnell über die nächtlichen Straßen, dass die Lichter der Stadt nur so vorüberzufliegen schienen, aber davon nahm Bast kaum etwas wahr. Sie war noch immer wie vor den Kopf geschlagen, und trotz der Zeit, die inzwischen vergangen war, weigerte sie sich einfach, zu glauben, was sie gehört hatte. Sie? Isis? Das war vollkommen unmöglich! Es konnte nicht sein, ganz einfach, weil es nicht sein durfte! Nicht Isis!

Und doch ergab alles einen schrecklichen Sinn - oder hätte ihn ergeben, wäre sie bereit gewesen, es zuzugeben. Sowohl Horus als erst recht Sobek hätten nicht die geringsten Hemmungen gehabt, Menschen einfach nur so zu töten, aus einem beliebigen oder auch gar keinem Grund, aber warum hätten sie Kate und Liz töten sollen? Für sie wären dies nur zwei zufällige Morde gewesen, an zwei Menschen, die ein gemeinsames Schicksal verband. Nein, es musste jemand gewesen sein, der die beiden Frauen gekannt hatte, der sie getötet hatte aufgrund dessen, wer sie waren. Was sie waren. Wie hatte sie das nur übersehen können? Wie hatte sie auch nur eine Sekunde lang so dumm sein können?

Und doch weigerte sie sich immer noch, es zu glauben.

Nicht Isis.

Nicht Isis!

»Wir sind gleich da«, drang Abberlines Stimme in ihre Gedanken. »Noch eine Minute, oder zwei.«

Bast streifte ihn mit einem flüchtigen Blick und zwang sich dann, noch einmal aus dem Fenster zu sehen, um sich zu orientieren. Sie hatten Whitehall bereits erreicht, und der Wagen schoss regelrecht seinem Ziel entgegen.

Bast spürte jeden einzelnen Hufschlag der beiden Pferde, die der Kutscher unbarmherzig mit seiner Peitsche antrieb; und jedes einzelne Schlagloch, durch das der Wagen sprang. Als sie das erste Mal hier gewesen war, war ihr die Straße glatt und in perfektem Zustand erschienen, jetzt hatte sie das Gefühl, über den Hang eines noch nicht erloschenen Vulkans zu stolpern, der mit weiß glühenden Rasierklingen gespickt war. Jede einzelne Erschütterung jagte rote Schmerzpfeile durch ihre Unterschenkel, und sie schmeckte schon wieder ihr eigenes Blut, weil sie sich ein paar Mal heftig auf die Zunge gebissen hatte, um einen Schmerzlaut zu unterdrücken. Sie konnte den verbissenen Kampf fühlen, der in ihrem Inneren tobte. Ihr Körper versuchte mit aller Macht, die Verletzungen zu heilen, die er erlitten hatte, als spüre er selbst, wie furchtbar wenig Zeit ihr noch blieb; aber selbst ihr phantastischer Metabolismus benötigte Zeit, um zertrümmerte Knochen und zerrissene Muskelstränge und Sehnen zu heilen ... und Zeit war genau das, was sie nicht hatte. Abberline hatte sie aus der Kathedrale getragen, da sie aus eigener Kraft nicht mehr dazu imstande gewesen war zu gehen, und seither waren erst wenige Minuten vergangen. Hätte sie auch nur eine Stunde gehabt ...

Aber die hatte sie nicht.

»Glauben Sie, dass Sie laufen können?«, fragte Abberline.

Bast setzte dazu an, zu nicken, schon weil sie auf derartige Fragen immer mit einem Nicken antwortete, aber dann beließ sie es bei einem zaghaften Heben der Schultern. Sie würde vermutlich laufen können, wenn auch nur vorsichtig und unter Schmerzen, aber das allein nutzte ihr überhaupt nichts. Wenn Isis tatsächlich auf dem Weg zum Yard oder bereits da war, hatte sie keine Chance, sie aufzuhalten. Nicht in ihrem Zustand.

Isis.

Allein der bloße Gedanke, Isis mit dem Schwert in der Hand gegenübertreten zu sollen, war absurd. Es war unmöglich!

Und doch war es so.

Es war die ganze Zeit über so gewesen.

»Ich kann ein paar Männer rufen, die Ihnen helfen«, schlug Abberline vor. Anscheinend hatte ihn ihre Antwort nicht unbedingt überzeugt.

Bast zwang sich, wenigstens für einen Moment nicht an Isis zu denken und sah ihn an. Bei dem Anblick, den Abberline bot, konnte er vermutlich froh sein, wenn man ihn in den Yard ließ, statt ihn auf der Stelle zu verhaften oder ins Irrenhaus zu stecken. Sein Gesicht war nicht mehr blass, sondern grau, seine Haare verschwitzt und mit eingetrocknetem Blut verkrustet, und in seinen Augen flackerte etwas, das ihn fast wie einen Wahnsinnigen aussehen ließ. Er hatte einen Streifen aus seinem Hemd gerissen und einen schmalen Verband um seinen Hals damit improvisiert. Die Tatsache, dass er noch nahezu weiß war, bewies, dass die Wunde aufgehört hatte zu bluten, aber sein Hemd war nass und dunkelrot, und auch seine Hände waren blutbesudelt.

»Machen Sie sich keine Sorgen«, fuhr er fort, als er auch jetzt keine Antwort bekam. »Monro ist vielleicht ein skrupelloses Schwein, aber er ist kein Narr. Er wird Faye wie seinen Augapfel bewachen. Ihre Schwester wird ihr nicht einmal nahe kommen. Sie wird verhaftet, sobald sie den Yard auch nur betritt.«