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Wenn sie es in ihrer eigenen Gestalt tut, vermutlich, dachte Bast bitter. Aber das wird sie nicht. Laut sagte sie: »Beten Sie, dass das nicht geschieht, Inspektor, denn dann werden Sie ein Haus voller Leichen vorfinden.«

Abberline setzte dazu an, zu widersprechen ... aber dann machte er nur ein betroffenes Gesicht. Wahrscheinlich erinnerte er sich wieder daran, was er gerade mit eigenen Augen gesehen hatte.

Sie waren da. Der Wagen kam mit einem Ruck zum Stehen, der Bast nicht nur abermals die Tränen in die Augen trieb, sondern ihr auch klarmachte, wie lächerlich schon der bloße Gedanke war, Isis aufhalten zu wollen. Abberline sprang aus der Tür und drehte sich in der gleichen Bewegung herum, um ihr die Hand entgegenzustrecken. Ganz gegen ihre normale Gewohnheit nahm Bast das Angebot nicht nur an, sondern stützte sich auch schwer auf seinen Arm und trat äußerst vorsichtig aus dem Wagen. Es ging besser, als sie gedacht hatte, aber besser als gedacht bedeutete keineswegs gut.

Mit zusammengebissenen Zähnen und schwer auf die Schulter eines Mannes gestützt, der ganz so aussah, als könne er sich selbst kaum mehr auf den Beinen halten, humpelte sie auf den Eingang zu. Einer der beiden Bobbys, die bisher mit versteinerten Gesichtern davor Wache gehalten hatten, wollte ihnen den Weg vertreten und eine Frage stellen, doch Abberline fuhr ihn so wütend an, dass er fast schon entsetzt zurückprallte und den Weg freigab - was aber ganz offensichtlich nicht in Abberlines Sinn war. »Kommen Sie her!«, befahl er barsch. »Beide! Helfen Sie ihr!«

Bast wollte sich ganz instinktiv sträuben, doch die beiden Männer waren viel zu perplex, um irgendetwas anderes zu tun, als Abberlines Befehl ganz automatisch Folge zu leisten, viel zu schnell, als dass Bast auch nur ein Wort des Protestes herausbekommen hätte, ergriffen sie bei den Armen und führten sie die kurze Treppe hinauf. Abberline eilte voraus, aber nur, um die Tür aufzureißen und ihnen aufzuhalten.

Der Eingangsbereich des Yard schien sich nicht im Geringsten verändert zu haben, seit sie das letzte Mal hier gewesen war. Selbst die Beamten an ihren Schreibtischen und Pulten schienen nicht nur dieselben zu sein, sondern in exakt derselben Position dazusitzen und herumzustehen.

Aber diese Ähnlichkeit hörte schlagartig auf, als Bast und ihre Begleiter eintraten und Abberline sich herumdrehte, sodass jedermann sehen konnte, in welchem Zustand er war. Fast ein halbes Dutzend Männer sprangen gleichzeitig auf die Füße oder gleich in Abberlines Richtung, als befürchteten sie ernsthaft, dass er im nächsten Augenblick zusammenbrechen würde. Stimmen riefen erschrocken durcheinander, bis Abberline mit einem laut gebrüllten »Ruhe!« für Stille sorgte. Der Tumult legte sich genau so schnell, wie er entstanden war. Beinahe jedenfalls.

»Jetzt nicht«, fügte Abberline etwas leiser hinzu. »Für Erklärungen ist keine Zeit. Ist Mr Monro im Hause?«

Die Ratlosigkeit auf den meisten Gesichtern nahm eher noch zu, aber die Männer bewiesen auch, dass sie ihr Handwerk verstanden. Niemand stellte auch nur eine einzige Frage, und der Abberline am nächsten stehende Mann trat vor und sagte knapp: »Oben, Sir.«

»Dann kommen Sie mit!« Abberline deutete auf den Mann neben sich. »Und Sie auch! Der Rest bleibt hier! Lassen Sie Waffen ausgeben! Hier kommt niemand rein, haben Sie das verstanden? Niemand, und wenn es die Königin persönlich sein sollte! Und keine Fragen!«

Der Schock hätte kaum größer sein können, hätte er seine Waffe gezogen und ohne Vorwarnung auf den nächstbesten Mann geschossen. Aber auch diesmal protestierte keiner der Männer oder versuchte gar, ihn aufzuhalten, als er zusammen mit den beiden Beamten, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinaufstürmte. Bast sah ihm mit einer Mischung aus Neid und stiller Resignation nach. Ihr war nicht wohl dabei, Abberline allein zu lassen, aber im Augenblick konnte sie sein Tempo einfach nicht mithalten.

Zwei Männer verschwanden durch eine schmale Seitentür - Bast vermutete, um die Waffen zu holen, nach denen Abberline verlangt hatte -, und mit einem Mal hatte sie das Gefühl, dem Funktionieren eines präzise ablaufenden Uhrwerks zuzusehen. Auf den allerersten Blick schien sich der Raum in ein einziges Chaos zu verwandeln, alle rannten und stürzten scheinbar kopflos durcheinander, aber das schien eben nur so. In Wahrheit wusste jeder einzelne Mann, was er zu tun hatte.

Sie wurde zu einer schmalen Bank an der gegenüber liegenden Wand geführt und - scheinbar - allein gelassen. Niemand stellte auch nur eine einzige Frage, aber natürlich entgingen ihr weder die zum Teil neugierigen, zum Teil aber auch furchtsamen Blicke, noch das verstohlene Tuscheln und Gestikulieren. Einige der Männer erinnerten sich offensichtlich auch an sie und machten sich entsprechende Gedanken.

Bast war es vollkommen egal. Erschöpft ließ sie sich zurücksinken, lehnte den Kopf gegen die holzvertäfelte Wand und versuchte, an nichts zu denken.

Als sie die Augen wieder öffnete - es konnten kaum mehr als eine oder zwei Minuten vergangen sein -, bot sich ihr ein völlig veränderter Anblick. Nahezu alle Männer waren jetzt bewaffnet, die meisten mit Revolvern, einige aber auch mit martialisch anmutenden, großkalibrigen Büchsen, ein trotz allem ungewohnter und irritierender Anblick. Der Raum hatte vorher eher wie ein Kontor gewirkt, in dem die Angestellten nur ganz zufällig schwarze Uniformen trugen. Jetzt schien er sich in eine uneinnehmbare Festung verwandelt zu haben. Der Anblick hätte sie beruhigen müssen, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Vielleicht, weil sie sich - eindeutig gegen ihren Willen - eine simple Frage stellte: Hätte sie all das hier aufhalten können?

Ganz bestimmt nicht.

Sie versuchte weiter mit aller Macht an nichts zu denken, und es funktionierte auch weiter nicht. Immerhin gelang es ihr, die Schmerzen in ihren Beinen gänzlich auszuschalten, und sie spürte auch, wie sich ihr Körper nun rasch erholte.

Sie würde einen hohen Preis dafür bezahlen müssen, einen Heilungsprozess, der normalerweise mindestens einen Tag dauerte, in weniger als einer Stunde erzwungen zu haben. Sie spürte bereits jetzt, wie die Kräfte, die sie sich gestern genommen hatte, wie trockenes Laub in einem Feuersturm vergingen. Vielleicht würde sie sich in wenigen Minuten schon wieder vollkommen normal bewegen können - aber dann würde sie kaum noch kräftiger als irgendeiner der Männer hier im Raum sein.

Endlich, nachdem genug Zeit verstrichen war, um aus Basts bangem Gefühl erste echte Sorge werden zu lassen, kam Abberline zurück, einen äußerst aufgebrachten Monro im Schlepptau und zu Basts maßloser Überraschung begleitet nicht nur von den beiden Beamten, die ihn nach oben begleitet hatten, sondern auch von Kapitän Maistowe und Gloria Walsh.

Sie kam nicht einmal dazu, ihrem Erstaunen Ausdruck zu verleihen, denn kaum hatte Monro sie gesehen, da verdüsterte sich sein Gesicht noch einmal um mehrere Grade, und er hielt im Sturmschritt auf sie zu.

»Das nenne ich den Gipfel der Unverfrorenheit!«, polterte er los. »Sie besitzen tatsächlich die Dreistigkeit, hier aufzutauchen! Was sind Sie eigentlich - unbeschreiblich frech oder einfach nur dumm?«

Für einen Mann, der so viel Wert auf gepflegte Umgangsformen und tadellose Manieren legte wie Monro, fand Bast, war das ein geradezu ungeheuerlicher Zornesausbruch. Und er war noch nicht vorbei.

»Und was ist hier überhaupt los?«, polterte er weiter. »Sind jetzt hier alle verrückt geworden? Was soll dieser Unsinn? Sind wir hier im Kindergarten oder im Schmierentheater?«

»Faye«, sagte Bast einfach.

Abberline wollte antworten, aber Monro kam ihm wieder zuvor. »Ihrer kleinen Freundin geht es gut, nur keine Sorge. Die Frage ist, ob es Ihnen bald noch so gut geht wie jetzt.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte Bast verwirrt. Sie versuchte zuerst Maistowes und dann Mrs Walshs Blick einzufangen, aber beide wichen ihr aus.