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Bast war vollkommen verwirrt. Sie fühlte sich hilflos, durcheinander und so verstört wie schon seit langer Zeit nicht mehr, und in ihrem Kopf schien plötzlich nur noch Leere zu herrschen. Was ging hier vor?

Sie setzte dazu an, etwas zu sagen, brachte aber nur ein hilfloses Schulterzucken zustande und drehte sich halb herum. Bei dem Anblick, der sich ihr bot, erschien es ihr beinahe selbst wie ein kleines Wunder, dass hier unten überhaupt noch jemand am Leben war.

Der Drache hatte aufgehört zu toben. Er bewegte sich noch, aber nur schwach, und aus seinem Maul lief immer mehr dunkles, zähflüssiges Blut. Monro und Abberline lagen beide am Boden, bewusstlos, vielleicht auch tot. Kapitän Maistowe blutete aus einer großen Platzwunde am Kopf; auch er rührte sich nicht. Einzig Mrs Walsh schien mehr oder weniger mit dem Schrecken davongekommen zu sein, auch wenn Bast nicht ganz sicher war, dass sie dabei wirklich einen guten Tausch gemacht hatte. Sie hockte mit angezogenen Knien nur ein kleines Stück neben Faye an der Wand und hatte die Fingernägel so fest in den Stoff ihres Kleides gekrallt, dass Blut zu Boden tropfte. Ihre Augen waren leer.

So mühsam, als müsse sie gegen unsichtbare Ketten ankämpfen, wandte sie sich wieder zu Isis um und las nichts als Spott in deren Augen.

»Nun verschwinde schon«, sagte Isis. »Nimm das Mädchen und bring es in Sicherheit. Ich sorge hier schon für Ordnung, keine Angst.«

Bast starrte sie an. »Du lässt uns ... gehen?«, murmelte sie ungläubig.

»Natürlich - was hast du denn erwartet, Dummerchen?« Isis streckte die Hand aus und ließ sich mit zusammengebissenen Zähnen auf die Beine helfen. Sie schwankte leicht, aber Bast spürte, dass sie sich rasch erholte.

»Aber ich dachte, du wärst gekommen, um ...«, murmelte Bast hilflos, schüttelte den Kopf und setzte von neuem an. Horus hatte gesagt, sie wäre unterwegs hierher, um das Mädchen zu töten.

»Und da hast du natürlich sofort geschlossen, dass er von mir gesprochen hat!« Isis hatte ihre Gedanken gelesen. »Ich dachte eigentlich, dass du mich besser kennst.«

»Wen sollte er sonst gemeint haben?« Sie fühlte sich nicht wohl dabei, diese Frage zu stellen, und sie ahnte, dass sie im Begriff stand, Isis wirklich zu verletzen ... aber alles war so verwirrend. Plötzlich schien nichts mehr einen Sinn zu ergeben.

»Warum findet du es nicht heraus?«, sagte Isis böse. »In solchen Dingen warst du doch immer schon besser als ich.« Sie lachte, ohne allzu viel echten Humor, und deutete auf den sterbenden Drachen. »Warum hebst du nicht einfach seinen Schwanz hoch und siehst nach, ob er vielleicht eine Sie ist?«

Bast war nicht nach Scherzen zumute. »Horus ist tot«, murmelte sie schließlich.

Jetzt war es Isis, die sie anstarrte, lange.

»Hast du ihn getötet?«

»Ja«, antwortete Bast, hob die Schultern und fügte hinzu: »Es tut mir leid. Er hat mir keine Wahl gelassen ... aber wenn Horus dich nicht gemeint hat, was suchst du dann hier?«

»Deine Dankbarkeit ist immer wieder herzerfrischend.« Isis schnaubte. »In Whitechapel geschieht nicht viel, von dem ich nichts mitbekomme. Ich wollte einfach nur sichergehen, dass deinen neuen Freunden nichts zustößt.« Sie machte eine Kopfbewegung auf Mrs Walsh und ließ erneut dieses abfällige Schnauben hören. »Wo dein Herz doch so sehr an ihnen hängt.«

»Es tut mir leid«, sagte Bast erneut. Es sollte eine Entschuldigung sein, aber es klang nicht so, und sie war auch ziemlich sicher, dass es bei Isis auch nicht so ankam. Sie fühlte sich elend. Sie konnte sich doch nicht so geirrt haben!

»Ich wusste immer, dass es ein schlimmes Ende mit Horus nimmt«, seufzte Isis. »Aber dass du es sein würdest ...«

»Wegen Horus ...«

»Wenn du es nicht getan hättest, hätte ich ihn wohl irgendwann selbst umgebracht«, fiel ihr Isis ins Wort. Sie gab sich einen sichtbaren Ruck. »Ihr solltet jetzt gehen, bevor Monros Leute die Tür aufbrechen und nachsehen, wo er so lange bleibt.« Sie zog seufzend die Augenbrauen zusammen. »Das ist wieder mal typisch. Ihr habt euren Spaß, und ich kann hinter euch aufräumen.«

Ein leises Stöhnen erklang, und Bast drehte erschrocken den Kopf. Es war Abberline, der unsicher die Augen aufschlug und sich benommen hochzustemmen versuchte, aber sofort und mit einem schmerzhaften Zusammenpressen der Zähne wieder zurücksank. »Mein Bein«, stöhnte er. »Ich kann mein Bein ... nicht bewegen.«

»Gloria«, sagte Bast. Im ersten Moment reagierte sie gar nicht, dann aber hob sie mühsam den Kopf und sah zu ihr hoch. »Bitte kümmern Sie sich um Frederick, okay?«, bat Bast. Ganz gleich was, Mrs Walsh musste irgendetwas tun, um der lodernden Furcht in ihren Augen Einhalt zu gebieten.

Während Mrs Walsh sich mühsam aufrappelte und zu Abberline hinüberhumpelte, wandte sich Bast wieder an Isis. »Kommst du mit dem Drachen allein zurecht?«

Isis maß das sterbende Ungeheuer mit einem abschätzenden Blick. »Ich denke schon ... wenn du mir erlaubst, so lange zu warten, bis er endgültig tot ist. Diese Biester sind unberechenbar.« Sie lachte. »Aber ich bin sicher, Monro und seine Leute werden mir dabei helfen, sollte ich es nicht allein schaffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er wild darauf ist, das alles hier seinen Vorgesetzten zu erklären oder gar der Presse - nicht wahr - Faye, Schätzchen?«

Sie brach mitten im Wort ab. Ihre Augen wurden groß vor ungläubigem Staunen, während sie sich auf einen Punkt irgendwo hinter Bast fixierten, dann ertönte ein dumpfer, sonderbar weicher Knall, und Isis' Kopf und Schultern wurden nach hinten gerissen und gegen die Wand geschmettert. Zwischen ihren Augen, vielleicht zwei Finger breit über ihrer Nasenwurzel, war plötzlich ein kreisrundes dunkles Loch von der Größe einer Pennymünze, und der so erstaunte, durch und durch ungläubige Ausdruck blieb in ihrem Blick, obwohl sie schon tot sein musste, noch bevor ihr Körper an der Wand hinab zusammenzusacken begann.

Als Bast sich herumdrehte, blickte sie in die rauchende Mündung des Revolvers, den Mrs Walsh aus Abberlines Jacke genommen hatte. In der anderen Hand hielt sie ein Rasiermesser, dessen Klinge sie von hinten so fest gegen Fayes Kehle presste, dass Blut am Hals des Mädchens herunterrann und sie sich vermutlich selbst die Luftröhre durchschneiden würde, wenn sie versuchte, sich loszureißen.

»Mrs Walsh?«, murmelte sie ungläubig. »Aber was ...?«

»Schweigen Sie, Sie verruchte Person!«, fuhr Mrs Walsh sie an. »Sie wollen gehen? Ich fürchte, das kann ich nicht zulassen!« Der Revolverlauf deutete weiter drohend auf Basts Gesicht. In Mrs Walshs schmaler Hand sah die Waffe riesig und schwer aus, aber sie zitterte nicht um einen Millimeter, und Bast hatte vor wenigen Sekunden erlebt, wie ausgezeichnet Mrs Walsh damit umzugehen verstand. Trotzdem hätte sie es riskiert - sie war verletzt und erschöpft, aber sie war immer noch schnell -, wäre Faye nicht gewesen. Mrs Walsh stand halb hinter ihr und benutzte ihren schlanken Körper als Deckung, und so, wie sie das Rasiermesser hielt, musste einfach alles, was sie tat, zu ihrem Tod führen.

Und sie verstand immer noch nicht, was sie sah.

»Mrs Walsh«, murmelte sie noch einmal. »Aber ... warum ... warum tun Sie das?«

Mrs Walsh lachte, ein hässlicher, schriller Laut wie das Quietschen von Fingernägeln auf einer Schiefertafel, der Bast einen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ. »Das fragen Sie noch? Ich hatte Sie für klüger gehalten. Glauben Sie tatsächlich, ich lasse Sie und dieses verruchte Weibsstück gehen, damit Sie Ihr lästerliches Leben fortsetzen und weitere Männer vom rechten Pfad abbringen?«

Es vergingen noch einmal endlose, lange Sekunden, aber dann begriff Bast endlich. »Sie?«, hauchte sie. »Sie sind ... Jack the Ripper?«

»Ein lächerlicher Name, ich gebe es zu«, sagte Mrs Walsh, »aber gut genug, um lächerliche Polizisten auf die falsche Spur zu lenken - nicht wahr, Frederick?« Sie schoss Abberline in die Brust, lächelnd und ohne mit der Wimper zu zucken und so beiläufig, dass die Revolvermündung schon wieder auf Basts Stirn wies, ehe sie auch nur richtig begriff, was geschah. Abberline sackte mit einem Ächzen in sich zusammen, und Faye gab einen erschrockenen Laut von sich und versuchte sich aus Mrs Walshs Griff zu winden, mit dem einzigen Ergebnis allerdings, dass der Schnitt an ihrem Hals nur heftiger blutete.