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Was immer noch an Leben in ihm war, es reichte, um ihn sich aufbäumen und seine gewaltigen Kiefer um Glorias Oberschenkel zuschnappen zu lassen. Glorias gellender Schrei ging im Grollen der Bestie und dem Geräusch von brechenden Knochen und zerreißendem Fleisch unter.

So mühelos, als wöge sie rein gar nichts, schleuderte der Drache Gloria in die Höhe, warf sich herum und schüttelte sein schreiendes Opfer wie ein Terrier, der eine Ratte gefangen hatte, bevor sich seine mächtigen Kiefer endgültig schlossen und ihr beinloser Torso zu Boden fiel, schrecklich verstümmelt, aber immer noch am Leben, immer noch schreiend.

So lange, bis der Drache zum zweiten Mal zuschnappte.

Bast ließ das Entsetzen, mit dem der furchtbare Anblick sie erfüllen wollte, nicht an sich heran, sondern bückte sich hastig nach der Waffe, die Gloria fallen gelassen hatte, nahm sie an sich und eilte erst dann zu Abberline, um neben ihm auf die Knie zu fallen. Sie erwartete, Abberline tot oder sterbend vorzufinden, aber er lebte, und sie erkannte sofort, dass er ein geradezu unwahrscheinliches Glück gehabt hatte. Sein Bein war gebrochen, und die Kugel hatte sein Herz weit verfehlt und ein hässliches Loch in seine Schulter gestanzt, aber nichts davon würde ihn umbringen.

Bast wedelte mit der leer geschossenen Waffe. »Haben Sie Munition für das Ding dabei?«

»In meiner ... rechten Tasche«, antwortete Abberline mit zusammengebissenen Zähnen.

Bast griff in seine Rocktasche, fand eine Handvoll Patronen und verschwendete etliche wertvolle Sekunden damit, die simple Mechanik zu ergründen, mit der sie die Trommel des Revolvers herausklappen konnte, und noch einmal so viel Zeit, um die leeren Patronenhülsen heraus- und neue Munition hineinzunesteln. Erst danach fuhr sie in der Hocke herum und legte auf das Ungeheuer an.

Aber sie schoss nicht.

Der Nildrache schlang gerade seine Henkersmahlzeit herunter, Glorias Kopf und Glieder, und starrte sie aus seinen winzigen, bösartigen Augen an. Er blickte nicht nur in ihre Richtung oder musterte sie auf die Art eines Raubtieres, das seine Beute oder einen gefährlichen Feind maß. Er sah sie an, das, was sie wirklich war, tief in sich drinnen, und in seinen Augen stand purer, reiner Hass geschrieben, zu dem ein Tier eigentlich nicht fähig sein durfte.

Aber auch das Wissen, dass er starb.

Bast senkte die Waffe.

»Was ... was tun Sie da?«, presste Abberline hervor. »Knallen Sie ... das Mistvieh ab!«

Bast ließ den Revolver noch weiter sinken, zögerte noch einen letzten Moment und legte ihn schließlich ganz zu Boden. »Er stirbt doch sowieso«, sagte sie traurig.

Mit plötzlich mühsamen, schleppenden Bewegungen, als hätte der letzte Ausbruch auch noch seine allerletzten Kräfte verbraucht, drehte sich der Drache herum und kroch in die Zelle zurück, eine glitzernde Spur hinterlassend, in der sich schwarzes Blut mit dunkelrotem mischte. Isis' Schwert ragte noch immer aus seinem Nacken, und die Klinge schien seinen Hals zur Gänze durchdrungen zu haben, denn Bast hörte ein leises, metallisches Schleifen, das sein mühsames Vorwärtsschleppen und Kriechen begleitete. Unendlich langsam und immer wieder innehaltend, um neue Kräfte zu schöpfen, kroch der Drache durch die winzige Zelle und verschwand schließlich wieder durch die gewaltsam geschaffene Bresche, durch die er hineingekommen war.

»Warum haben Sie das getan?«, murmelte Abberline. »Jetzt wird es ... noch mehr Menschen umbringen.« Er versuchte sich aufzurichten, aber Bast drückte ihn mit sanfter Gewalt zurück und nahm ihm zugleich seine schlimmsten Schmerzen - oder versuchte es. Es ging nicht. Dieselbe Eins-zu-einer-Million-Möglichkeit, die ihn bisher nicht nur vor ihrer, sondern auch vor Horus' und Sobeks geistiger Macht beschützt hatte, hinderte sie nun daran, ihm wenigstens ein bisschen Linderung zu verschaffen.

»Er wird niemandem mehr etwas tun«, sagte sie. »Er stirbt. Vielleicht ist er schon tot.«

Abberline wirkte nicht überzeugt, aber Bast gab ihm keine Gelegenheit, eine weitere Frage zu stellen, sondern erhob sich rasch und folgte dem sterbenden Ungeheuer. Sie wich Glorias kopf- und gliederlosem Torso aus, so weit sie es nur konnte, und sie wich auch Maistowes Blicken aus. Vielleicht wäre das, was sie darin gesehen hätte, mehr gewesen, als sie im Moment ertragen konnte.

Hinter dem gewaltigen Loch in der Mauer begann eine steil in die Tiefe führende, vielleicht zwanzig Fuß lange Schutt- und Trümmerhalde, und an ihrem Ende lag der Drache. Bast näherte sich ihm vorsichtig, stieß ihn zwei- oder dreimal mit dem Fuß an - was eigentlich vollkommen überflüssig war. Sie spürte, dass in dem Ungeheuer kein Leben mehr war, aber sie hatte irgendwie das Gefühl, dass es einfach dazu gehörte - bevor sie den Schwertgriff mit beiden Händen umklammerte und die Waffe mit erheblicher Anstrengung aus dem Nacken des Ungeheuers zog. Sorgfältig wischte sie die Klinge an ihrem Mantel ab, bevor sie sie in die schmale Schlaufe an ihrem Gürtel schob. Isis' Schwert. Ihre Lieblingswaffe, eine Klinge von unvorstellbarem Wert, geschmiedet in den heiligen Feuern von Atlantis und beinahe so alt wie sie selbst. Und nun war sie alles, was von ihr geblieben war.

Sie lauschte. Vor ihr war nichts als vollkommene Dunkelheit, aber sie hörte das Geräusch von fließendem Wasser, und ein sachter, aber sehr unangenehmer Geruch drang in ihre Nase. Vielleicht, dachte sie, hätte der Polizeipräsident sich die Baupläne für seine neue Residenz ein wenig genauer ansehen sollen. Dann hätte er vielleicht gesehen, wie dünn die Mauern waren, die die Zellen vom Labyrinth der Kanalisation trennten. Es brauchte keinen Drachen, um sie nieder zu reißen.

Sie blieb lange so stehen und starrte in die Schwärze hinein, und ihre Gedanken wanderten auf Pfaden, die noch viel dunkler waren, die sie aber gar nicht kennen lernen wollte. Schließlich aber drehte sie sich herum und ging in den Zellentrakt zurück. Sie hatte das Gefühl, unendlich lange fort gewesen zu sein, aber wenn es so war, dann musste die Zeit hier oben wohl stehen geblieben sein, denn viel hatte sich nicht verändert. Monro lag noch immer lang ausgestreckt auf dem Gesicht und ohne Bewusstsein - Bast überzeugte sich rasch davon, dass er tatsächlich nur bewusstlos war und nichts Schlimmeres, aber sie ertappte sich dabei, ihm die grässlichsten Kopfschmerzen seines Lebens zu wünschen -, und Abberline hatte es immerhin geschafft, sich halb aufzurichten und mit Hinterkopf und Schultern gegen die Wand zu lehnen. Von weit her drangen ein dumpfes Hämmern und aufgeregte Stimmen an ihr Ohr. Anscheinend hatten Monros Männer endlich beschlossen, doch einmal nach dem Rechten zu sehen, und versuchten die Tür aufzubrechen. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit.

Der Einzige, der sich bewegt zu haben schien, war Maistowe. Er war zu Faye geeilt und hatte irgendwo einen Streifen Stoff aufgetrieben - vermutlich aus seinem Hemd gerissen -, mit dem er ebenso ungeschickt wie erfolglos versuchte, die stark blutende Wunde an Fayes Kinn zu verbinden. Das Mädchen weinte schluchzend und krampfhaft und versuchte instinktiv, Maistowes Hände abzuwehren, die ihr nur noch mehr Schmerzen zufügten.

Bast ging rasch hin, legte ihr die Hand auf die Stirn und löschte zuerst ihren Schmerz und dann ihr Bewusstsein aus. Faye blieb auf den Beinen, aber ihre Augen waren plötzlich leer.

»Bast, ich ...«, begann Maistowe, aber Bast unterbrach ihn mit einer sanften Geste und einem Kopfschütteln. »Ich weiß, was Sie sagen wollen, Jacob«, sagte sie. »Ich kann nicht bleiben. Nicht jetzt. Versprechen Sie mir, sich um Faye zu kümmern?«

Sie hätte Maistowe gezwungen, es zu tun, wäre es nötig gewesen, aber das war es nicht. Er nickte, und sie spürte, dass es ehrlich gemeint war. Mehr noch: Es mochte aussehen, als wäre Faye auf seine Hilfe angewiesen, aber in Wahrheit war es genau andersherum.

Wortlos ging sie weiter, wich geflissentlich Abberlines Blicken aus und ließ sich neben Isis auf die Knie fallen. Ihre Augen standen immer noch offen, und da war immer noch dieser Ausdruck maßlosen Erstaunens darin, als könne sie einfach nicht begreifen, wie simpel, wie grotesk einfach und beinahe schon lächerlich das Ende sein sollte. Nach allem, was sie überstanden und erlitten hatte, nach Jahrtausenden des Kampfes und unzähligen Siegen über vermeintlich unbesiegbare Feinde war es schließlich eine verbitterte alte Frau gewesen, die sie am Ende besiegt hatte.