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Plötzlich herrschte Schweigen, dann fragte der Major gefaßt: „Wozu brauchen Sie denn die sechs Stunden?“

O’Mara versuchte den Kopf zu schütteln, um wieder klare Gedanken fassen zu können, aber da sein Schädel jetzt das Dreifache wog, verrenkte er sich lediglich den Hals. Als er sich umsah, fragte er sich selbst, wozu er diese sechs Stunden eigentlich noch brauchte, denn sowohl die Spritzpistole als auch der mit ihr verbundene Wasserbehälter waren durch den von der Decke fallenden Flaschenzug demoliert worden. Also konnte er das Baby weder füttern oder waschen, noch konnte er es unter den herabgestürzten Trümmern überhaupt sehen. Folglich blieb ihm nichts anderes übrig, als sechs Stunden lang auf ein Wunder zu warten.

„Ich mach mich jetzt auf den Weg“, beharrte Caxton.

„Sie bleiben hier, Caxton!“ befahl der Major im höflichen, aber bestimmten Ton. „Ich will der Sache auf den Grund gehen. Sie warten jetzt draußen, bis ich mit O’Mara allein gesprochen hab. Also, O’Mara, schießen Sie los! Was… geht…bei… Ihnen… vor?“

Wieder flach auf dem Rücken liegend, kämpfte O’Mara darum, genug Atem zu bekommen, um ein ausgedehntes Gespräch führen zu können. Er hatte sich entschieden, dem Monitor am besten die ganze Wahrheit zu sagen und ihn dann zu bitten, ihm auf die einzig mögliche Weise zu helfen, durch die das Kind gerettet werden könnte — nämlich ihn sechs Stunden lang allein zu lassen. Aber während O’Mara erzählte, fühlte er sich im wahrsten Sinne des Wortes am Boden zerstört, und sein Blick war so verschwommen, daß er manchmal selbst nicht sagen konnte, ob seine Augenlider offen oder geschlossen waren. Er sah allerdings, wie jemand dem Major eine Nachricht übergab, die Craythorne aber erst las, als O’Mara zu Ende gesprochen hatte.

„Sie haben leider Pech“, sagte Craythorne schließlich, wobei er kurz so etwas wie Mitleid durchblicken ließ, dann aber wurde seine Stimme wieder strenger. „Normalerweise würde ich mich gezwungen sehen, Ihrem Vorschlag zu folgen und Ihnen die sechs Stunden zu bewilligen. Schließlich haben Sie das Buch und sind deshalb besser unterrichtet als wir. Aber die Lage hat sich in den letzten Minuten schlagartig geändert. Ich bin gerade unterrichtet worden, daß zwei Hudlarer eingetroffen sind, von denen einer Arzt ist. Sie sollten lieber aufgeben, O’Mara. Sie haben wirklich alles versucht, aber jetzt überlassen Sie es bitte den Fachleuten, die Situation zu retten. um des Kindes willen“, fügte er hinzu.

Mittlerweile waren drei Stunden vergangen. Caxton, Waring und O’Mara saßen dem Monitor, der gerade hereingekommen war, am Tisch gegenüber.

„Die nächsten Tage hab ich eine Menge um die Ohren, also lassen Sie uns die Angelegenheit rasch klären“ sagte Craythorne geschäftig. „Zuerst der Unfall. O’Mara, Ihr Fall hängt allein von der Aussage Warings ab. Ihrerseits scheint es da einige sehr fragwürdige Gedankengänge zu geben. Ich hab Warings Zeugenaussage bereits gehört, aber um meine eigene Neugier zu befriedigen, möchte ich gern wissen, was er Ihrer Meinung nach gesagt hat.“

„Er hat meine Aussage bestimmt bestätigt“, sagte O’Mara gleichgültig. „Schließlich hatte er gar keine andere Wahl.“ Er blickte auf seine Hände und mußte immer noch an das schwerkranke Baby denken, das er in seinem Quartier zurückgelassen hatte. Immer wieder versuchte er, sich einzureden, für die Vorkommnisse nicht verantwortlich zu sein, aber tief im Innern spürte er, daß das Kind jetzt wohlauf gewesen wäre, wenn er mehr geistige Flexibilität bewiesen und mit der Druckbehandlung früher begonnen hätte.

„Und warum glauben Sie, daß Waring keine andere Wahl hatte?“ drängte der Monitor.

Caxton saß mit offenem Mund da und wirkte verwirrt. Waring war schon die ganze Zeit O’Maras Blick ausgewichen und errötete jetzt.

„Als ich hierherkam“, begann O’Mara lustlos, „hab ich mich nach einer zweiten Aufgabe umgesehen, um meine Freizeit besser auszufüllen. Dabei kam heraus, daß ich mich an Warings Fersen geheftet hab. Er ist der Grund, weshalb ich hier so verhaßt bin. Auf der anderen Seite war das die einzige Möglichkeit, ihm zu helfen. Aber um das zu verstehen, müßte ich etwas weiter ausholen.

Wegen des Kernreaktorunfalls“, fuhr O’Mara fort, „standen alle Männer seines Abschnitts tief in Warings Schuld — wahrscheinlich kennen Sie mittlerweile die Einzelheiten. Waring selbst war übel dran. Körperlich war er am Ende. Ihm mußten Spritzen verabreicht werden, um sein Blutbild aufrechtzuerhalten, und physisch war er gerade noch kräftig genug, um an seinem Kontrollpult zu arbeiten. Ansonsten schwelgte er in Selbstmitleid. Seelisch war er ein Wrack. Trotz Pellings Versicherungen, die Spritzen seien nur noch ein paar Monate notwendig, war er davon überzeugt, unter bösartiger Anämie zu leiden. Außerdem hat er trotz gegenteiliger Aussagen des Arztes geglaubt, er sei zeugungsunfähig geworden. Und aus dieser Überzeugung heraus nahm er ein so merkwürdiges Verhalten an, daß man als normaler Mensch eine Gänsehaut bekam — zumal alles nur auf Einbildung beruhte und ihm in dieser Hinsicht überhaupt nichts fehlte. Als ich mitbekam, wo der Hase lang lief, begann ich, ihn bei jeder sich mir bietenden Gelegenheit lächerlich zu machen und hab ihm gnadenlos nachgestellt. Deshalb hatte er meiner Meinung nach gar keine andere Wahl, als meine Darstellung der Ereignisse zu bestätigen — schon aus bloßer Dankbarkeit.“

„Langsam geht mir ein Licht auf“, warf der Major ein. „Aber erzählen Sie bitte weiter.“

„Wie gesagt, die Männer in Warings Umgebung standen tief in seiner Schuld“, fuhr O’Mara fort. „Aber anstatt ihn zu bremsen und sich vernünftig mit ihm zu unterhalten, überhäuften sie ihn mit Mitleid. Sie ließen ihn jeden Streit, jedes Kartenspiel und was sonst noch alles gewinnen und behandelten ihn ganz generell wie einen kleinen Gott. Ich hab da nicht mitgemacht. Jedesmal, wenn er lispelte oder stotterte oder sich sonst wie tölpelhaft aufführte, hab ich ihn gnadenlos heruntergemacht — egal, ob es sich dabei um eine sich selbst eingeredete psychische Behinderung handelte oder um eine körperliche, für die er nichts konnte. Vielleicht bin ich manchmal zu grob mit ihm umgegangen, aber bedenken Sie, daß ich als einzelner einen Schaden ungeschehen machen wollte, der von fünfzig Leuten angerichtet worden war. Natürlich konnte mich Waring auf den Tod nicht ausstehen, aber bei mir wußte er wenigstens immer genau, wo er dran war. Und ich hab ganz schön vom Leder gezogen. Bei den seltenen Gelegenheiten, wo er es schaffte, mich einmal unterzukriegen, hatte er trotz meines erbitterten Widerstands wirklich gewonnen, und das wußte er — ganz im Gegensatz zu seinen Freunden, die sich von ihm in allem schlagen ließen, wodurch seine vermeintliche Überlegenheit völlig bedeutungslos wurde. Dabei brauchte er aber gerade jemanden, der ihn schikanierte, ihn aber auch als Gleichberechtigten behandelte und keinerlei Zugeständnisse machte. Als dann diese schlimme Geschichte passierte“, schloß O’Mara, „war ich mir ziemlich sicher, er würde — bewußt wie auch unbewußt -

allmählich kapieren, was ich für ihn getan hab, und neben der Tatsache, daß er im Grunde ein anständiger Kerl ist, aus bloßer Dankbarkeit keine Beweise zurückhalten, die meine Unschuld untermauern. Hab ich recht behalten?“

„Ja“, bestätigte der Major. Er hielt kurz inne, um auf Caxton beschwichtigend einzuwirken, der protestierend aufgesprungen war, und fuhr dann fort: „Wobei wir bei dem kleinen FROB wären. Offenbar hat sich Ihr Baby eine der leichten, aber seltenen Krankheiten eingefangen, die nur auf seinem Heimatplaneten erfolgreich behandelt werden können.“ Craythorne grinste plötzlich. „Jedenfalls wurde das bis vor ein paar Stunden von unseren hudlarischen Freunden so angenommen. Jetzt aber haben die beiden verlauten lassen, daß die richtige Behandlung von Ihnen bereits eingeleitet worden ist und sie nur noch ein paar Tage abzuwarten brauchen, bis das Kind wieder völlig gesund sein wird. Aber die beiden sind auch ziemlich sauer auf Sie, O’Mara“, fuhr der Monitor fort. „Die Hudlarer behaupten, Sie hätten irgendein spezielles Gerät zusammengebastelt, um das Kind streicheln und besänftigen zu können. Sie sollen das aber viel öfter getan haben, als es zu wünschen gewesen wäre. Das Baby sei schrecklich verwöhnt und zudem überfüttert, sagen die beiden, und zwar in einem solchen Ausmaß, daß es derzeit Menschen den Angehörigen seiner eigenen Spezies vorzieht.“