An einer Stelle, wo sich zwei Gänge kreuzten, traf er auf einen FGLI, den er kannte — einen tralthanischen Medizinalassistenten, der seinen elefantenähnlichen Körper auf sechs schwammigen Füßen vorwärtsschleppte. Die untersetzten Beine schienen noch gummiartiger als gewöhnlich, und der kleine OTSB, der in einer Symbiose mit dem Alien lebte, lag praktisch im Koma.
„Guten Morgen“, begrüßte Conway ihn strahlend.
Als übersetzte und deshalb zwangsläufig emotionslos klingende Antwort erhielt er nur: „Laß mich bloß in Ruhe!“
Conway grinste.
In und um die Unfallaufnahme herum hatte es gestern viel Wirbel gegeben. Zwar war Conway nicht gerufen worden, aber es sah ganz so aus, als hätte der Tralthaner seither keine einzige ruhige Minute mehr gehabt.
Einige Meter weiter begegnete er einem anderen Tralthaner, der langsam neben einem kleinen Wesen herging,5das wie er selbst ein DBDG war, sich allerdings von ihm wesentlich unterschied. DBDG war nur die Obergruppenklassifikation, mit der die physischen Eigenschaften einer Spezies — die Anzahl der Arme, Köpfe, Beine und so weiter — allgemein bestimmt wurden. Die Tatsache, daß dieses Wesen siebenfingrige Hände hatte, nur ein Meter zwanzig groß war und wie ein extrem plüschiger Teddybär aussah, wurde erst deutlich, wenn man die Klassifikation auf zwei oder drei Untergruppen ausdehnte. Conway hatte zwar das Sternsystem vergessen, aus dem das Wesen stammte, erinnerte sich aber, gehört zu haben, daß es von einem Planeten kam, auf dem plötzlich eine Eiszeit ausgebrochen war. Aus diesem Grund hatte dessen am weitesten fortgeschrittene Lebensform gleichzeitig Intelligenz und einen dicken roten Pelz entwickelt. Der DBDG hielt die Hände hinter dem Rücken verschränkt und starrte geistesabwesend zu Boden. Sein enorm großer Begleiter zeigte ähnliche Anzeichen der Konzentration, zog aber wegen der verschiedenartigen Lage der Sehorgane die Decke vor. Beide trugen ihre Berufsbezeichnung an goldenen Armbändern, was in diesem Fall bedeutete, daß es sich um keine Geringeren als um Diagnostiker handelte, die sich häufig etwas blasiert gaben. Conway hütete sich davor, die beiden zu begrüßen, und schlich auf Zehenspitzen an ihnen vorbei.
Möglicherweise waren sie gerade in irgendein medizinisches Problem vertieft, dachte Conway, oder aber, was ebenso wahrscheinlich war, sie hatten sich gerade gestritten und ignorierten ostentativ die Gegenwart des anderen. Diagnostiker waren eigentümliche Leute. Um es vorwegzunehmen: Sie waren zwar nicht direkt verrückt, aber ihr Beruf zwang ihnen eine gewisse Schrulligkeit regelrecht auf…
An jeder Kreuzung gab es fortwährend Lautsprecherinformationen in einem unverständlichen Alienkauderwelsch, die Conway im Vorübergehen bislang nur halb wahrgenommen hatte. Aber als plötzlich eine Durchsage auf terranisch durchgegeben wurde und zu seiner Überraschung sein Name aufgerufen wurde, blieb er wie angewurzelt stehen.
„…sofort zur Einlaßschleuse zwölf“, wiederholte die Stimme monoton. „Klassifikation VTXM-23. Doktor Conway, bitte begeben Sie sich sofort zur Einlaßschleuse zwölf. Klassifikation VTXM-23.“
Conways erster Gedanke war, daß unmöglich er gemeint sein konnte. Aber tatsächlich deutete alles darauf hin, als wollte man ihn zu einem Fall hinzuziehen, und zwar zu einem großen, denn die „23“ hinter dem Klassifikationscode bezog sich auf die Anzahl der zu behandelnden Patienten. Die Klassifikation VTXM war ihm allerdings völlig fremd. Natürlich wußte er, was die Buchstaben bedeuteten, aber er hätte nie geglaubt, sie jemals in dieser Kombination anzutreffen. Nach allem, was er wußte, mußte es sich um irgendeine Art telepathischer Spezies handeln, die Strahlungsenergie direkt umwandeln konnte und gewöhnlich als eng zusammenhängende Gruppe oder als sogenannte „Gestalt“ existierte. Das V an erster Stelle der Klassifikation deutete darauf hin, daß extrasensorische Kräfte ihr allerwichtigstes Merkmal, der gesamte Körperbau hingegen absolut zweitrangig war. Während Conway sich noch fragte, ob er einem solchen Fall bereits gewachsen war, hatte er bereits auf dem Absatz kehrtgemacht und eilte wie automatisch zur Schleuse zwölf.
Dort wurde er schon von seinen Patienten in einem Metallbehälter erwartet, der rundum mit Bleiplatten abgedeckt war und bereits auf einer mit einem Fahrersitz versehenen Elektrobahre lag. Ein Pfleger berichtete Conway in kurzen Worten, daß sich die Wesen selbst als „Telfigestalt“ bezeichneten. Außerdem lasse eine vorläufige Diagnose die Benutzung des Strahlungsoperationssaals als notwendig erscheinen, der schon vorbereitet worden sei. Zudem könne er infolge der leichten Transportfähigkeit seiner Patienten Zeit sparen, indem er sie zum Schulungsraum mitnahm und draußen warten ließ, während er sich mit Hilfe eines Schulungsbandes über die Physiologie der Telfi unterrichten würde.
Conway bedankte sich mit einem Nicken, sprang auf den Wagen und setzte ihn in Bewegung, wobei er vor dem Pfleger den Eindruck zu erwecken versuchte, es handle sich für ihn lediglich um einen ganz alltäglichen Routinefall.
Sein angenehmes, aber durchaus arbeitsreiches Leben, das ihm eine so außergewöhnliche Einrichtung wie das Orbit Hospital bot, hatte nur einen einzigen bitteren Beigeschmack, den er beim Betreten des Schulungsraums wieder einmal zu spüren bekam: ein Monitor hatte Dienst. Conway verabscheute Monitore. Die Gegenwart einer solchen Person wirkte sich auf ihn mehr aus als die unmittelbare Nähe eines Überträgers einer ansteckenden Krankheit. Und wenn er auch stolz darauf war, daß er als ein kultivierter und mit hohen moralischen Werten ausgestatteter Mensch es niemals über sich bringen würde, irgend etwas oder irgend jemanden zu hassen, so verabscheute er Monitore doch aus tiefstem Herzen. Natürlich wußte er, wie einige Wesen manchmal durchdrehen konnten und daß es jemanden geben mußte, der die notwendigen Gegenmaßnahmen ergreifen konnte, um den Frieden zu wahren. Aber allein wegen seiner Abscheu vor Gewalt in jedweder Form konnte er Leute, die solche Sanktionen vornahmen, einfach nicht mögen.
Und was hatten Monitore überhaupt in einem Hospital zu suchen?
Als er den Raum betrat, drehte sich die Gestalt, die in einem engen, dunkelgrünen Overall vor dem Schulungskontrollpult saß, schnell herum. Conway bekam einen zweiten Schock. Der Monitor trug nicht nur das Rangabzeichen eines Majors auf der Schulter, sondern zusätzlich den Äskulapstab der ärztlichen Zunft am Kragen!
„Guten Tag, mein Name ist O’Mara“, begrüßte ihn der Major mit freundlicher Stimme. „Ich bin der Chefpsychologe in diesem Irrenhaus. Ich nehme an, Sie sind Doktor Conway, stimmt’s?“ fügte er lächelnd hinzu.
Conway erwiderte das Lächeln, wußte aber, wie gezwungen es wirken mußte und daß dies seinem Gegenüber nicht verborgen geblieben war.
Etwas weniger entgegenkommend fuhr O’Mara fort: „Sie brauchen also das Telfiband. Nun, Doktor, Sie haben sich diesmal etwas sehr Ausgefallenes aufhalsen lassen. Sobald Sie Ihre Arbeit erledigt haben, sollten Sie das Band so schnell wie möglich wieder aus Ihrem Gedächtnis löschen. Glauben Sie mir, Sie werden die Informationen bestimmt nicht behalten wollen. Also gut, geben Sie mir bitte hier Ihren Daumenabdruck, und dann setzen Sie sich dort hinüber.“
Während Conway mit dem SchuJungsgerät durch ein Stirnband und Elektroden verbunden wurde, war er bemüht, gleichgültig dreinzuschauen und den festen und geschickten Händen des Majors nicht mit dem Kopf auszuweichen.
O’Maras kurzgeschnittenes Haar war metallisch grau, und seine Augen hatten die durchdringende Wirkung von blauen Stahlbohrern. Conway wußte, daß diese Augen jede seiner Reaktionen genau beobachtet hatten und ein genauso scharfer Verstand nun seine Schlußfolgerungen daraus zog.