„So, das war’s“, sagte O’Mara, als endlich alles vorbei war. „Bevor Sie gehen, Doktor, wollte ich Ihnen noch sagen, daß wir dringend einen kleinen Plausch miteinander halten müssen. Lassen Sie es uns eine Art Neuorientierungsgespräch nennen. Allerdings nicht jetzt, schließlich haben Sie noch zu tun, aber sobald Sie mit Ihrer Aufgabe fertig sind.“
Als Conway hinausging, spürte er, wie sich die stahlblauen Augen in seinen Rücken bohrten.
Wie ihm geraten worden war, hätte er sich jetzt durch nichts ablenken lassen sollen, damit sich das neu eingeprägte Wissen in aller Ruhe setzen konnte. Aber seine Gedanken drehten sich nur noch darum, daß im Orbit Hospital ein Monitor ein ranghohes Mitglied des Mitarbeiterstabs war — und ein Arzt noch dazu. Wie ließen sich diese beiden Berufe überhaupt miteinander vereinbaren?
Conway betrachte nachdenklich seine Armbinde, auf der der tralthanische schwarz-rote Kreis, die flammende Sonne der chloratmenden Illensaner und die sich um den Stab windende Schlange der Erde abgebildet waren — all die in hohen Ehren gehaltenen medizinischen Symbole der drei bekanntesten Spezies der galaktischen Union. Und jetzt tauchte da dieser Dr. O’Mara auf, dessen Kragenansatz behauptete, er stehe im Dienste der Heilkunst, dessen Schulterklappen aber verrieten, daß er etwas ganz anderes war.
Eins jedenfalls stand jetzt für Conway fest: Er würde sich erst dann wieder hier wirklich wohl fühlen, sobald er herausgefunden hatte, weshalb der Chefpsychologe des Hospitals ein Monitor war.
II
Es war Conways erste Erfahrung mit einem Schulungsband über die Physiologie von Aliens, und mit Interesse bemerkte er, wie er in zunehmendem Maße in Gedanken doppelt zu sehen begann — ein eindeutiges Indiz dafür, daß das Band seine Wirkung nicht verfehlt hatte. Als er den Strahlungsoperationssaal betrat, hatte er das Gefühl, als verkörpere er zwei Lebewesen in einem — einen Menschen namens Conway und die beeindruckende und in diesem Fall sogar aus fünfhundert Einheiten bestehende Telfigestalt, die zuvor nachgebildet worden war, um sämtliches bekanntes Wissen über die Physiologie dieser Spezies mental weitervermitteln zu können. Dieses Schulungssystem hatte allerdings auch einen Nachteil, wenn es denn überhaupt einer war: Während des „Unterrichts“ wurde nicht nur Wissen vermittelt, es wurden auch die verschiedenen Persönlichkeitsstrukturen der Wesen übertragen, die dieses Wissen einst besessen hatten. Somit ist es alles andere als ein Wunder, daß die Diagnostiker, die zeitweilig bis zu zehn Schulungsbänder im Kopf gespeichert hatten, oft ein wenig überdreht wirkten.
Ein Diagnostiker erfüllte die wichtigste Aufgabe in einem Hospital, dachte Conway, während er den Strahlenschutzpanzer anlegte und seine Patienten für die Voruntersuchung vorbereitete. Hin und wieder, wenn er sich etwas selbstbewußter als gewöhnlich fühlte, spielte er selbst mit dem Gedanken, irgendwann einmal Diagnostiker zu werden. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, grundsätzliche Arbeit in der xenologischen Medizin und Chirurgie zu leisten, wobei sie ihren mit Informationen vollgestopften Verstand als Ausgangsbasis benutzten. Außerdem mußten sie sich der Notfälle annehmen, für die es keine Schulungsbänder gab, um eine Diagnose zu stellen und die vorläufige Behandlung einzuleiten.
So etwas Banales wie leichte Verletzungen und Krankheiten fielen nicht in ihren Aufgabenbereich. Bevor sich ein Diagnostiker einem Patienten widmete, mußte dieser bereits zu drei Viertel tot sein, mußte es sich also um einen einzigartigen und fast hoffnungslosen Fall handeln. Sobald sich allerdings ein Diagnostiker eines Patienten annahm, war dieser so gut wie geheilt — mit geradezu monotoner Regelmäßigkeit vollbrachten sie regelrechte Wunder.
Wie Conway nur zu gut wußte, unterlagen rangniedrigere Ärzte immer wieder der Versuchung, den Inhalt eines Bandes zu behalten, anstatt ihn zu löschen. Sie hofften, auf diese Weise irgendeine wichtige Entdeckung zu machen, die ihnen zu Ruhm und Anerkennung verhelfen könnte. Bei praktisch veranlagten und ausgeglichenen Menschen wie ihm würde es allerdings bestimmt nur bei einer Versuchung bleiben.
Um seine Patienten wirklich sehen zu können, hätte Conway eine komplizierte Vorrichtung aus Bleiplatten und Spiegeln aufbauen müssen. Dennoch konnte er jeden einzeln untersuchen; das Schulungsband hatte ihn nämlich praktisch zu einem von ihnen gemacht, und deshalb wußte er, wie sie sowohl von innen als auch von außen aussahen. Diese Kenntnisse, verbunden mit seinen eigenen Untersuchungsergebnissen und der ihm zuvor mitgeteilten Krankheitsgeschichte, verrieten Conway alles, was er wissen mußte, um die Behandlung einleiten zu können.
Als Bestandteile einer Telfigestalt hatten seine Patienten zur Besatzung eines interstellaren Kreuzers gehört, auf dem in einem der Kernreaktoren ein Unfall passiert war. Die kleinen, käferähnlichen und teilweise sehr dummen Wesen absorbierten radioaktive Strahlung, aber diese Explosion war selbst für sie zuviel gewesen. Ihr Leiden konnte man als einen besonders schlimmen Fall von Übersättigung bezeichnen, verbunden mit einer zu langen Überstimulation der sensorischen Systeme, insbesondere der Schmerzzentren. Wenn er sie einfach in einem abgeschirmten Behälter ließ und ihnen radioaktive Strahlung vorenthielt — eine Behandlungsmethode, die auf ihrem hochradioaktiven Raumschiff unmöglich war —, konnte man davon ausgehen, daß sich etwa siebzig Prozent von ihnen innerhalb weniger Stunden selbst kurieren würden. Diese siebzig Prozent hatten Glück, und Conway konnte sogar sagen, welche von ihnen zu dieser Kategorie gehörten. Auf die anderen wartete eine Tragödie. Selbst wenn sie nicht direkt sterben würden, wäre ihr Schicksal fast noch schlimmer: Sie würden die Fähigkeit verlieren, sich mit der Telfigestalt geistig zu verbinden, und das war für ein Telfi dasselbe wie ein Dasein als unheilbar kranker Krüppel.
Nur jemand, der am Verstand, an der Persönlichkeit und den Instinkten eines Telfi teilhaben konnte, wußte um die Bedeutung einer solchen Tragödie.
Das war sehr bedauerlich, zumal die Krankheitsgeschichte nachwies, daß es genau diese Individuen gewesen waren, die sich nach der unerwarteten Explosion sofort zur Umstellung gezwungen hatten. Die wenigen Sekunden, die zum Verstreuen und Neutralisieren der Reaktorteile benötigt worden waren, waren sie aktiv geblieben, um ihr Schiff vor der völligen Vernichtung zu retten. Jetzt hatte sich ihr Stoffwechsel auf die dreifache Energiemenge eingestellt, die ein Telfi normalerweise aufnehmen konnte. Falls diese Energieaufnahme für eine längere Zeitspanne unterbrochen wurde, angenommen noch ein paar Stunden, würden die Kommunikationszentren ihres Gehirns in Mitleidenschaft gezogen werden. Behielt man aber andererseits diese überhöhte Energiezufuhr bei, würden sie sich binnen einer Woche praktisch selbst verbrennen.
Für diese bedauernswerten Wesen gab es nur noch eine einzige angebrachte Behandlungsmethode. Während Conway die Geräte für den bevorstehenden Eingriff vorbereitete, bekam er immer mehr das Gefühl, daß es sich dabei um eine höchst unbefriedigende Methode handelte — denn sie war nichts anderes als ein kalkuliertes Risiko, eine nüchterne medizinische Statistik, ein Vorgang, den er durch nichts beeinflussen konnte, und er kam sich allenfalls wie ein etwas besserer Mechaniker vor.
Da er schnell vorankam, konnte er schon bald feststellen, daß sechzehn seiner Patienten an der telfischen Entsprechung einer akuten Verdauungsstörung litten. Diese Telfi separierte er in abgeschirmte, hitzeabsorbierende Flaschen, damit die radioaktive Strahlung ihrer noch immer „heißen“ Körper den „Aushungerungsprozeß“ nicht verlangsamte. Die Flaschen stellte er in einen kleinen Reaktorofen, der auf normale Telfi Strahlung eingestellt war. In jeder Flasche befand sich ein Detektor, der dafür sorgte, daß die Abschirmung abgestoßen wurde, sobald die überschüssige Radioaktivität abgebaut war. Die anderen sieben Telfi benötigten eine Spezialbehandlung. Conway brachte die restlichen sieben in einem Reaktorofen unter, den er gerade auf die fast exakt gleichen Bedingungen einstellte, die während des Unfalls im Schiff geherrscht hatten, als der Kommunikator summte. Erst als er mit seiner Arbeit fertig war und noch einmal alles überprüft hatte, meldete er sich.