Dr. Mannons Stimme klang plötzlich verbittert, als er sagte: „Ich glaube, ich weiß es. Und ich rate Ihnen, ein paar von den Spritzen zu behalten, weil Sie selbst welche benötigen werden.“ Dann wandte er sich abrupt ab und eilte davon, wobei er vor sich hin murmelte, daß er sein Band schnell löschen lassen müsse, bevor man ihn auch noch rufen würde.
Raum siebenundachtzig war der Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter der Unfallstation. Als Conway dort ankam, saßen auf sämtlichen Tischen und Stühlen Monitore und auf dem größten Teil des Fußbodens hatten sich sogar welche lang ausgestreckt. Einige von ihnen besaßen nicht einmal mehr die Energie, den Kopf anzuheben, als er hereinkam. Einer stand unter großen Anstrengungen von seinem Stuhl auf und wankte auf ihn zu. Wie O’Mara trug er das Rangabzeichen eines Majors auf der Schulter und den Äskulapstab am Kragen.
„Fangen Sie mit mir an, und zwar die maximale Dosis“, keuchte er, wobei er sich die Uniform abschüttelte.
Conway sah sich im Raum um. Es mußten an die hundert Leute sein, die sich allesamt in einem Zustand äußerster Erschöpfung befanden und deren Gesichter diese aufschlußreiche aschgraue Farbe angenommen hatten. Zwar war Conway auf Monitore noch immer nicht gut zu sprechen, aber hier handelte es sich in gewisser Weise um Patienten, und ihm war klar, was er zu tun hatte.
„Als Arzt rate ich Ihnen entschieden davon ab“, sagte er ernst. „Ganz offensichtlich haben Sie bereits Aufputschspritzen erhalten, und zwar viel zu viele. Was Sie brauchen, ist Schlaf.“
„Schlaf?“ bemerkte von irgendwoher eine Stimme. „Was ist das?“
„Ruhig, Teirnan“, sagte der Major kraftlos. Dann wandte er sich wieder an Conway. „Als Arzt ist mir das Risiko durchaus bekannt. Deshalb schlage ich vor, daß wir jetzt keine Zeit mehr verlieren.“
In aller Eile und mit Routine bereitete Conway alles vor, um jedem Patienten eine Spritze geben zu können. Die Männer, die sich vor ihm in einer Reihe aufstellten, schienen Blei in den Knochen zu haben und die Augen kaum noch aufhalten zu können. Doch nur fünf Minuten später verließen sie den Raum federnden Schrittes, wobei ihre Augen vor künstlicher Vitalität nur so sprühten. Kaum hatte er seine Arbeit beendet, als sein Name erneut aufgerufen wurde. Diesmal sollte er sich zur Schleuse sechs begeben, dort würde er weitere Instruktionen erhalten. Wie er wußte, war Schleuse sechs einer der Nebeneingänge zur Unfallstation.
Während er sich in aller Eile auf den Weg machte, stellte Conway auf einmal fest, wie müde und hungrig er war. Aber er kam erst gar nicht dazu, sich darüber lang Gedanken zu machen, denn plötzlich wurden sämtliche Assistenzärzte aufgerufen, sich auf der Unfallstation zu melden. Außerdem gab es Anweisungen, die Patienten aus angrenzenden Stationen wenn möglich in andere Krankenzimmer zu verlegen. Diese Ansage wurde zwischendurch immer wieder von irgendwelchem Aliengebrabbel unterbrochen, wobei offensichtlich anderen Spezies ähnliche Instruktionen erteilt wurden.
Anscheinend sollte die Unfallstation erweitert werden. Aber warum und woher kamen all die Verletzten? Conway verstand die Welt nicht mehr.
Bei der Schleuse sechs war gerade ein tralthanischer Diagnostiker mit zwei Monitoren in ein angeregtes Gespräch vertieft. Als Conway sah, daß sich eins der bedeutendsten Geschöpfe mit zwei der minderwertigsten Exemplaren so freundschaftlich unterhielt, war er empört. Aber eigentlich konnte ihn hier im Orbit Hospital langsam nichts mehr überraschen, dachte er verbittert. Neben dem Fenster, das einen direkten Blick in den Weltraum bot, standen zwei weitere Monitore.
„Hallo, Doktor“, begrüßte ihn einer der beiden freundlich und nickte in Richtung des Sichtfensters. „In Schleuse acht, neun und elf wird gerade ausgeladen. Unser Kontingent wird uns gleich zugeteilt.“
Hinter der großen transparenten Scheibe bot sich ein fjrchteinflößender Anblick. An die fünfzig silberne Nadeln — von Zehn-Mann-Vergnügungsschiffen bis hin zu den riesigen Transportern des Monitorkorps — strickten in— und umeinander herum ein kompliziertes Muster, während sie auf Erlaubnis zum Andocken und Entladen warteten.
„Eine ganz schön knifflige Angelegenheit“, stellte der Monitor fest, und Conway stimmte ihm zu. Die Repulsionsfelder, durch die die Schiffe vor Kollisionen mit jedweder Form kosmischen Abfalls geschützt wurden, erforderten viel Platz. Meteoritenschirme mußten wenigstens acht Kilometer vom zu schützenden Schiff entfernt errichtet werden, wenn sie große oder kleine Himmelskörper erfolgreich abstoßen sollten — bei größeren Kreuzern sogar noch weiter. Aber die Schiffe draußen waren höchstens ein paar hundert Meter voneinander entfernt und besaßen außer der Routine ihrer Piloten, die zur Zeit Schwerstarbeit leisteten, keinen Kollisionsschutz.
Conway blieb nur wenig Zeit, sich diesem einmaligen Schauspiel zu widmen. Zunächst stießen drei terrestrische Medizinalassistenten und kurz darauf zwei DBDGs mit rotem Pelz und ein raupenartiger DBLF zu ihnen, die alle medizinische Abzeichen trugen.
Plötzlich war ein lautes metallisches Kratzen zu hören, die Kontrollampen der Schleuse sprangen von Rot auf Grün um und zeigten so an, daß das Schiff jetzt ordnungsgemäß angedockt war, und kurz darauf strömten die Patienten heraus.
Sie wurden von Monitoren auf Bahren getragen. Es handelte sich nur um zwei Arten: DBDGs der menschlichen Spezies und DBLF-Raupen. Conways Aufgabe und die der anderen anwesenden Ärzte bestand nun darin, eine Voruntersuchung vorzunehmen und die Verletzten dann zur eigentlichen Behandlung an die jeweils zuständige Abteilung der Unfallstation weiterzuleiten.
Er machte sich an die Arbeit, wobei ihm ein Monitor namens Williamson assistierte, der mit Ausnahme des medizinischen Abzeichens sämtliche charakteristischen Merkmale eines ausgebildeten Krankenpflegers aufwies.
Der Anblick des ersten Patienten verursachte bei Conway einen Schock — nicht nur wegen der Schwere der Verletzungen, sondern auch wegen deren Charakter. Beim dritten Patienten mußte er innehalten, so daß ihn sein Assistent fragend ansah.
„Was für ein Unfall war das?“ fragte Conway aufgebracht. „Mehrfache Löcher, aber die Wunden sind am Rand kauterisiert. Ausgefranste Löcher, als rührten sie von herumfliegenden Splittern nach einer Explosion her. Wie konnte das.?“
„Wir haben es natürlich nicht an die große Glocke gehängt“, unterbrach ihn der Monitor. „Ich hatte allerdings erwartet, daß es sich zumindest bis hier herumsprechen würde.“ Er preßte die Lippen zusammen und nahm jetzt immer mehr einen Gesichtsausdruck an, an dem Conway sämtliche Monitore zu erkennen glaubte. „Die meinten wohl, sich unbedingt bekriegen zu müssen“, fuhr Williamson fort, wobei er mit dem Kopf in Richtung der Menschen und DBLFs um sie herum nickte. „Leider war schon alles etwas außer Kontrolle geraten, bevor wir einschreiten konnten.“
Ein Krieg…! dachte Conway betroffen. Menschen von der Erde oder von einem für sie nutzbar gemactrtenPlaneten haben tatsächlich versucht,
Mitglieder jener Spezies zu töten, die so viel mit ihnen gemeinsam hatte. Zwar hatte er davon gehört, daß so etwas hin und wieder vorkam, hatte aber nie wirklich geglaubt, daß irgendeine intelligente Spezies derart den Verstand verlieren konnte. Und dann all diese Verwundeten.
Obwohl er nur noch Abscheu und Ekel für dieses schreckliches Geschehen empfand, entging ihm nicht die für ihn äußerst merkwürdige Tatsache, daß sich im Gesicht des Monitors seine eigenen Gefühle widerspiegelten! Falls Williamson genauso wie er über Krieg dachte, dann war es vielleicht an der Zeit, seine Ansicht über das Monitorkorps grundsätzlich zu überdenken.
Durch einen plötzlichen Tumult ein paar Meter rechts von ihm wurde er von seinen Gedanken abgelenkt. Ein terrestrischer Patient wehrte sich energisch gegen den DBLF-Medizinalassistenten, der ihn untersuchen wollte, wobei sich der Mensch nicht gerade gewählt ausdrückte. Der DBLF zeigte sich betroffen und verwirrt zugleich — obwohl der Patient wahrscheinlich nicht ausreichendes Wissen über seine Physiognomie hatte, um das zu erkennen — und versuchte, den Menschen mit Worten zu beruhigen, die allerdings durch die Übersetzung ausdruckslos und somit wenig einfühlsam klangen.