Conway seilte sich vorsichtig ab und näherte sich der zusammengekauerten Gestalt. Als er in den Einflußbereich des Gitters geriet, umfaßte er das Seil fast krampfartig, lockerte aber wieder den Griff, denn er bemerkte, daß die Schwerkraft höchstens anderthalb Ge betrug. Bei jetzt gleichbleibender Gravitation, die ihn in Richtung des Monitors hinabzog, seilte sich Conway Hand über Hand ab. Um die Anziehungskraft auszugleichen, hätte er natürlich den G-Gürtel benutzen und einfach hinuntergleiten können, aber auch das barg ein gewisses Risiko. Wäre er nämlich zufällig aus dem Einflußbereich des Gitters geraten, hätte ihn der in diesem Fall auf Abstoßung eingestellte G-Gürtel wieder nach oben katapultiert, was vermutlich fatale Folgen nach sich gezogen hätte.
Der Monitor war noch immer bewußtlos, als Conway ihn schließlich erreichte. Obwohl er es nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, zumal Williamson einen Raumanzug trug, schien sich der Monitor beide Arme mehrfach gebrochen zu haben. Während er den schlaffen Körper behutsam von den ihn umgebenden Wrackteilen befreite, wurde ihm schlagartig klar, daß Williamson Hilfe brauchte, und zwar sofortige Hilfe, mit allen Mitteln, die dem Hospital zur Verfügung standen. Ihm war nämlich plötzlich eingefallen, daß der Monitor eine Unmenge Aufputschspritzen erhalten hatte und seine Kraftreserven allmählich erloschen sein mußten. Sollte Williamson überhaupt jemals die Besinnung wiedererlangen, könnte er einen tödlichen Schock erleiden.
Conway wollte gerade Hilfe herbeirufen, als ein Klumpen aus scharfkantigem Metall knapp an seinem Helm vorbeiflog. Er drehte sich um und konnte noch rechtzeitig einem anderen Wrackteil ausweichen, das auf ihn zuschwebte. Erst dann erkannte er in etwa zehn Meter Entfernung die Umrisse einer extraterrestrischen Gestalt in einem Raumanzug, die teilweise von einem Gewirr aus Metall verdeckt wurde. Der Alien warf mit Gegenständen nach ihm!
Das Bombardement wurde allerdings sofort eingestellt, als der Alien erkannte, daß der Terrestrier ihn bemerkt hatte. Im Glauben, den unbekannten Überlebenden gefunden zu haben, durch dessen Schusseligkeit das Gravitationssystem durcheinandergebracht worden war, eilte Conway auf den Fremden zu. Doch er mußte sich geirrt haben, denn dieser Alien war nicht einmal mehr in der Lage, sich zu bewegen. Er wurde von zwei schweren Stahlelementen gegen den Boden gepreßt, wobei er wie durch ein Wunder unverletzt geblieben war. Gerade versuchte er vergeblich, sich mit einem seiner Gliedmaßen auf den Rücken zu langen.
Conway stutzte für einen Moment, dann sah er, daß sich von dem Funkgerät, das dem Alien auf dem Rücken geschnallt war, das Verbindungskabel gelöst hatte. Mit einem normalen Pflaster reparierte er den Schaden, und gleich darauf war die übersetzte Stimme des Aliens in seinem Kopfhörer zu vernehmen.
Es handelte sich um den PVSJ, der schon vor ihnen losgeschickt worden war, um das Unfallgebiet nach Überlebenden zu durchsuchen. Er war in dieselbe Falle wie der bedauernswerte Monitor geraten, hatte aber noch den G-Gürtel auf Abstoßung einstellen und somit den plötzlichen Sturz mindern können. Zwar war der Aufprall verhältnismäßig glimpflich verlaufen, hatte aber einige locker sitzende Wrackteile gelöst, von denen der Alien schließlich eingekeilt und das Funkgerät beschädigt worden war.
Der PVSJ — ein chloratmender Illensaner — war unter den Wrackteilen fest eingeklemmt, und Conways Bemühungen, ihn davon zu befreien, waren vergeblich. Während dieses Versuchs erblickte er die auf den Raumanzug des Aliens gedruckte Berufsbezeichnung. Die tralthanischen und illensanischen Symbole sagten Conway überhaupt nichts, aber das dritte — eine möglichst nahe Umschreibung der Tätigkeit des Aliens nach terrestrischen Begriffsvorstellungen — war ein Kruzifix. Der PVSJ war also so etwas wie ein Geistlicher.
Vielleicht hatte er deshalb so viel Glück gehabt, dachte Conway.
Aber jetzt hatte er es nicht mehr mit nur einem, sondern gleich mit zwei bewegungsunfähigen Fällen zu tun. Er drückte auf die Sprechtaste seines Funkgeräts und räusperte sich. Noch bevor er etwas sagen konnte, dröhnte ihm die eindringliche Stimme von Dr. Mannon in den Ohren.
„Doktor Conway! Monitor Williamson! Bitte melden Sie sich endlich!“
„Das wollte ich gerade tun“, sagte Conway und schilderte in Kürze die bisher aufgetretenen Probleme. Als er schließlich um sofortige Hilfe für den Monitor und den PVSJ-Geistlichen bat, schnitt ihm Mannon das Wort ab.
„Tut mir leid, Conway“, sagte er hastig, „aber wir können Ihnen nicht helfen. Die Gravitationsschwankungen sind hier noch stärker geworden und müssen im Tunnel über Ihnen eine Verschüttung verursacht haben. Er ist nämlich mittlerweile vollständig von Wrackteilen verstopft. Wartungsmonteure und Ingenieure haben bereits mit allen Mitteln versucht durchzukommen, aber.“
„Lassen Sie mich mal mit ihm reden“, fuhr eine andere Stimme dazwischen, und Conway vernahm das übertrieben verstärkte, polternde Geräusch, das verursacht wird, wenn jemandem das Mikrofon aus der Hand gerissen wird. „Doktor Conway, hier spricht Doktor Lister. Ich muß Ihnen leider sagen, daß das Wohlergehen der beiden Verunglückten nur von zweitrangiger Bedeutung ist. Ihre Aufgabe ist es, dieses Wesen im Gravitationskontrollraum ausfindig zu machen und es vor allem zu stoppen. Schlagen Sie ihm notfalls den Schädel ein, aber halten Sie es auf! Es ist dabei, das gesamte Hospital zu zerstören!“
Conway schluckte, dann sagte er nur: „Ja, Sir“, und sah sich nach einer Möglichkeit um, weiter durch dapoGewirr von Metall um ihn herum vorzudringen. Aber die Lage schien hoffnungslos.
Plötzlich spürte er, wie er zur Seite gezogen wurde. Er schnappte nach dem nächsten stabil wirkenden Gegenstand und klammerte sich verzweifelt daran fest. Durch den Stoff seines Raumanzugs hindurch nahm er das entsetzlich quietschende und laut scheppernde Geräusch von sich bewegendem Metall wahr. Die Wrackteile verlagerten sich schon wieder! Dann verschwand die Kraft, die ihn zur Seite gedrückt hatte, genauso schnell, wie sie gekommen war, und im selben Augenblick war ein eigenartiger, bellender Schrei von dem PVSJ zu hören. Conway drehte sich um und sah, daß an der Stelle, wo vorher noch der Illensaner gewesen war, jetzt ein klaffendes Loch ins Nichts führte.
Zwar kostete es ihn einige Überwindung loszulassen, doch die Anziehungskraft, die sich auch auf ihn ausgewirkt hatte, rührte von einer nur kurzfristigen Aktivierung eines Schwerkraftgitters irgendwo in der Tiefe her. Falls sie allerdings erneut auftreten würde, während er ungeschützt nach unten schwebte. Conway traute sich erst gar nicht, darüber nachzudenken.
Die Verlagerung der Wrackteile hatte sich auf Williamson nicht ausgewirkt — er lag noch immer in derselben Position wie zuvor —, aber den PVSJ schien es in die Tiefe gerissen zu haben.
„Sind Sie denn okay?“ erkundigte sich Conway ängstlich.
„Ich denke, schon“, antwortete der PVSJ. „Bin nur noch etwas benommen.“
Conway schwebte vorsichtig durch die neu entstandene Öffnung und schaute nach unten. Dort befand sich ein sehr großer Raum, der durch irgendeine seitliche Lichtquelle gut ausgeleuchtet wurde. In etwa zwölf Metern Tiefe konnte Conway nur den Boden sehen — die Wände befanden sich außerhalb seines Blickfeldes —, und dieser war fast vollständig mit einem dunkelblauen, röhrenartigem Gewächs mit knollenförmigen Blättern bedeckt. Sinn und Zweck dieser Räumlichkeit stellten Conway zunächst vor ein Rätsel, bis ihm klar wurde, daß er auf den AUGL-Tank schaute, allerdings ohne das Wasser. Dasojichte, schwammige Bodengewächs diente den AUGL-Patienten gleichzeitig als Nahrung und Innendekoration. Der PVSJ hatte sehr viel Glück gehabt, eine solch elastische Unterlage als Landefläche gehabt zu haben.
Nicht mehr zwischen Wrackteilen eingeklemmt, meinte der PVSJ, sich nun fit genug zu fühlen, Conway bei der Suche nach dem Wesen im Gravitationskontrollraum behilflich zu sein. Als sie im Begriff waren, ihren Abstieg fortzusetzen, blickte Conway in Richtung der Lichtquelle, die ihm zuvor nur am Rande aufgefallen war, und ihm stockte plötzlich der Atem.