Etwas schlug mit solcher Wucht gegen seinen Rücken, daß es ihm den Atem verschlug. Eine Schrecksekunde später glaubte er, daß seine Sauerstoffbehälter und sein Raumanzug aufgeplatzt waren und er bereits wie ein Wahnsinniger nach Luft rang. Aber sein von schierer Angst bestimmtes Einatmen trieb ihm doch Sauerstoff in die Lunge. Nie hätte er geahnt, daß konservierte Luft so gut schmecken konnte.
Der Tentakel des AACL hatte ihn nur gestreift, und seine Wirbelsäule war nicht gebrochen. Lediglich das Funkgerät war zerstört worden.
„Alles in Ordnung?“ fragte Conway ängstlich, nachdem er Williamson in das obere Stockwerk in Sicherheit gebracht hatte. Dabei mußte er seinen Helm gegen den des Monitors halten, da er sich anders nicht mehr verständlich machen konnte.
Eine ganze Weile erhielt er keine Antwort, dann war in unmittelbarer Nähe wieder dieses matte, schmerzgeplagte Flüstern zu hören.
„Meine Arme tun weh. Ich bin müde“, sagte die Stimme stockend. „Aber wenn Sie mich. wenn man mich ins Hospital bringt. werde ich’s schon schaffen.“ Williamson hielt inne, seine Stimme schien von irgendwoher Kraft sammeln zu müssen, dann fuhr er fort: „Das heißt, falls es bis dahin im Hospital überhaupt noch einen Überlebenden gibt, der mich behandeln kann. Wenn Sie unseren Freund da unten nicht sofort aufhalten, dann.“
Conway kochte vor Wut. „Verdammt noch mal, geben Sie denn nie auf?“ brauste er auf „Merken Sie sich ein für allemal, daß ich ein intelligentes Lebewesen niemals töten werde! Mein Funkgerät ist kaputt, also brauche ich mir wenigstens das Gezeter von Lister und Mannon nicht mehr anzuhören. Und um Sie zum Schweigen zu bringen, brauche ich bloß meinen Helm wegzunehmem.“
Die Stimme des Monitors klang jetzt noch schwächer, als er sagte: „Ich kann Mannon und Lister immer noch hören. Sie sagen gerade, jetzt seien die Stationen in Abschnitt acht betroffen — das ist der andere Sektor mit geringer Schwerkraft. Patienten und Ärzte sind praktisch am Boden festgenagelt. MSVKs sind alles andere als Schwerathleten, aber das wissen Sie ja selbst.“
„Hören Sie endlich auf!“ brüllte Conway und wandte sich verärgert ab.
Als sich seine Wut einigermaßen gelegt hatte, stellte er fest, daß sich die Lippen des Monitors nicht mehr bewegten. Williamsons Augen waren geschlossen. Sein Gesicht war blaß und schweißüberströmt, und er schien nicht mehr zu atmen. Durch das chemische Trockenmittel in seinem Helm konnte das Sichtfenster nicht beschlagen, so daß Conway nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, ob der Monitor tot war oder nicht. Aber bei seiner nur durch die wiederholte Gabe von Aufputschspritzen übertünchten Erschöpfung und den hinzugekommenen Verletzungen hatte er Williamsons Tod schon lange befürchtet.
Aus einem unerfindlichen Grund brannten Conway plötzlich die Augen. Er hatte in den vergangenen Stunden so viele tote und zerstückelte Körper gesehen, daß seine Mitleidensfähigkeit an dem Punkt angelangt war, wo er nur noch wie eine medizinische Maschine reagierte. Bei der schmerzhaften Trauer, die er nun um diesen Monitor empfand, mußte es sich um ein vorübergehendes Wiederaufleben dieser Fähigkeit handeln. Eins wußte er jedoch ganz genau: niemand würde diese medizinische Maschine dazu bringen, einen Mord zu begehen. Zwar wußte er jetzt, daß das Monitorkorps die Verantwortung für weit mehr Gutes als Schlechtes trug, aber er war nun mal kein Monitor.
O’Mara und Lister jedoch waren beides, sowohl Ärzte als auch Monitore, und einer von ihnen genoß sogar in der ganzen Galaxis hohes Ansehen. Bist du etwa ein besserer Mensch als diese beiden? fragte ihn eine innere Stimme. Und jetzt bist du völlig auf dich allein gestellt, fuhr sie fort. Das Hospital ist kurz vor dem Zusammenbruch, und wegen dieses einen Wesens da unten müssen alle anderen sterben. Was glaubst du, wie hoch deine Überlebenschancen sind? Der Weg, auf dem du gekommen bist, ist mit Wrackteilen verstopft und niemand kann dir zu Hilfe kommen. Also wirst auch du sterben müssen, oder nicht?
Conway versuchte verzweifelt, an seinem Entschluß festzuhalten und sich dahinter wie unter einem Panzer zu verstecken. Aber diese unnachgiebige, angsterfüllte Stimme in seinem Kopf durchbrach diesen Panzer. Umso größere Erleichterung verspürte er, als er sah, daß sich Williamsons Lippen wieder bewegten, und er legte sofort seinen Helm gegen den des Monitors.
„…als Arzt fällt Ihnen das natürlich schwer“, hörte er den Monitor sagen, „aber Sie müssen es tun. Stellen Sie sich einfach vor, Sie wären das Wesen da unten, vor Angst und Schmerz halb wahnsinnig. Und in einem kurzen lichten Moment hören Sie jemanden sagen, was Sie getan haben, was Sie angerichtet haben und wie viele Leben Sie dadurch vernichtet haben.“ Williamsons Stimme schwankte, versagte kurz, dann kehrte sie zurück. „Würden Sie dann nicht auch lieber sterben wollen, anstatt weiterhin Unschuldige zu töten?“
„Aber ich kann nicht.!“
„Würden Sie an seiner Stelle nicht lieber sterben wollen?“
Conway merkte, wie sein Panzer abzubröckeln begann. In einem letzten verzweifelten Versuch, standhaft zu bleiben oder wenigstens die schreckliche Entscheidung hinauszuschieben, sagte er: „Nun, vielleicht. aber selbst wenn ich wollte, könnte ich das Wesen nicht töten. Es würde mich bereits in Stücke reißen, bevor ich mich ihm überhaupt genähert hätte.“
„Ich hab eine Pistole“, sagte der Monitor.
Conway konnte sich nicht erinnern, wie er die Waffe entsichert, ja nicht einmal, wie er sie aus dem Halfter des Monitors gezogen hatte. Sie lag jetzt fest in seiner Hand und war auf den AACL gerichtet. Er fühlte sich elend und fror, aber noch hatte er Williamsons Wunsch nicht ganz nachgegeben. In Reichweite war eine Spraydose mit schnell trocknendem Plastik, das bei umgehender Anwendung jemandem das Leben retten konnte, wenn dessen Anzug ein Loch bekommen hatte. Conway hatte vor, das Wesen zu verwunden, es nur bewegungsurfäjLg3Zü machen und dann dessen Anzug mit dem Plastik wieder zu versiegeln. Sicher war das eine heikle Angelegenheit und auch für ihn selbst äußerst riskant, aber er konnte den Alien nun einmal nicht vorsätzlich töten.
Er nahm die Spraydose in die linke Hand, und mit der rechten zielte er auf das krakenartige Geschöpf. Dann drückte er ab.
Als er die Pistole absetzte, war von dem Wesen nicht mehr viel übrig — außer den zerstückelten und zuckenden Tentakeln, die über den ganzen Raum verteilt waren. Conway wünschte sich jetzt, er hätte mehr von Waffen verstanden und gewußt, daß die Pistole Explosivgeschosse enthalten hatte und auf automatisches Feuer eingestellt gewesen war.
Williamsons Lippen bewegten sich wieder. Zwar fühlte sich Conway jetzt jenseits von Gut und Böse und war wie gelähmt, aber wie automatisch horchte er am Helm des Monitors.
„…schon gut, Doktor“, stammelte der Monitor. „Sie müssen sich um den Alien keine Sorgen machen, es.“
„Jetzt muß ich mir um ihn allerdings keine Sorgen mehr machen“, stimmte Conway ihm abfällig zu. Er untersuchte die Waffe des Monitors und hoffte, daß sie nicht leer war. Wenn auch nur eine einzige Kugel übrig geblieben wäre, wüßte er genau, was er damit getan hätte.
„Wir wissen genau, wie schwer Ihnen das gefallen ist“, sagte Major O’Mara. Seine Stimme klang jetzt nicht mehr gereizt, und seine stahlgrauen Augen strahlten Mitgefühl und sogar so etwas wie Stolz aus. „Gewöhnlich muß ein Arzt eine solch folgenschwere Entscheidung erst treffen, wenn er älter und ausgeglichener ist und eine gewisse Reife erlangt hat. Sie sind, oder besser, Sie waren ein übermäßig idealistischer Mensch, dabei etwas blasiert und vielleicht ein wenig selbstgerecht. Und Sie wußten nicht einmal, was ein Monitor wirklich ist.“
O’Mara lächelte. Seine großen, festen Hände ruhten in einer merkwürdig väterlichen Geste auf Conways Schultern. Er fuhr fort: „Durch Ihre Überwindung zu diesem Schritt hätten Sie sich sowohl Ihren beruflichen Werdegang als auch Ihre innere Ausgeglichenheit ruinieren können. Aber egal, Sie haben sich jedenfalls nichtSjV9rzüwerfen. Es war gut so.“