Conway atmete langsam ein und wieder aus. Offensichtlich spielte O’Mara mit ihm wieder einmal Rätselraten — er hatte nichts gegen solche Spielchen, vorausgesetzt, man gab 1hm eine faire Chance, auf die richtige Antwort zu kommen. Schließlich blickte er wieder nach draußen auf den umgewandelten Transporter und grübelte nach.
Der Einbau von Hyperantriebsgeneratoren in diesen Schiffskoloß mußte eine Menge Geld gekostet haben und die nicht unerheblichen baulichen Veränderungen noch eine ganze Menge mehr.
„Ich hab’s!“ sagte Conway schließlich grinsend. „Ein neues Versuchsexemplar für uns, das wir sezieren und untersuchen sollen.“
„Um Himmels willen, nein!“ fuhr O’Mara erschreckt auf, wobei er einen fast ängstlichen Blick auf eine kleine Plastikkugel warf, die von einigen Büchern auf seinem Schreibtisch halb verdeckt wurde. Dann fuhr er in ernstem Ton fort: „Die ganze Geschichte ist auf höchster Ebene entschieden worden — und zwar von niemand Geringerem als einer Sonderkommission des galaktischen Rates. Was das Ganze genau zu bedeuten hat, weiß weder ich noch sonst jemand im Orbit Hospital. Möglicherweise wird Ihnen der Arzt, der den Patienten begleitet und betreut, das eines Tages sagen.“ — O’Maras Tonfall verriet, daß er diesbezüglich starke Zweifel hegte — „…aber alles, was man vom Hospital und von Ihnen erwartet, ist hilfreiche Zusammenarbeit.“
Wie O’Mara weiter ausführte, gehörte das Wesen — in diesem Falle der Arzt — anscheinend einer Spezies an, die erst kürzlich entdeckt worden war und die man vorläufig als VUXG eingestuft hatte. Das hieß, es handelte sich um eine Lebensform, die gewisse Psifähigkeiten und die Eigenschaft besaß, praktisch jede Substanz für den physischen Bedarf in Energie zu verwandeln und sich jeder x-beliebigen Umwelt anpassen zu können. Diese Wesen waren sehr klein und nahezu unzerstörbar.
Der VUXG-Arzt besaß zwar telepathische Fähigkeiten, aber ethische Grundsätze und die Achtung vor der Privatsphäre seines Gegenüber verboten ihm, diese zur Kommunikation mit für Telepathie unempfängliche Spezies einzusetzen, auch wenn die Gehirnströme der Menschen innerhalb seines beeinflußbaren Frequenzbereichs lagen. Dieser Arzt gehörte einer Spezies an, die als Individuum sehr lange leben konnte und eine weit in die Vergangenheit reichende überlieferte Geschichte hatte, während der es nie Kriege gegeben hatte.
Es handle sich dabei um eine alte, weise und ausgesprochen selbstgenügsame Spezies, schloß O’Mara. Sie sei derartig bescheiden, daß sie dazu neige, auf diejenigen Lebewesen herabzusehen, die nicht so bedürfnislos waren. Conway müsse sehr taktvoll vorgehen, weil man diese extreme, fast anmaßende Bescheidenheit leicht als Überheblichkeit auslegen könne.
Conway musterte O’Mara genau. War da nicht in diesen hellwachen, stahlgrauen Augen eine Spur von Häme zu erkennen? Und war dieser bewußt neutrale Ausdruck auf diesem kantig geschnittenen Gesicht nicht ein wenig zu gekonnt?
Als könnte er seine Gedanken lesen, zwinkerte O’Mara ihm plötzlich zu. Doch ohne sich seine Verwirrung anmerken zu lassen, sagte Conway nur: „Diese Spezies scheint mir etwas hochnäsig zu sein.“
Er sah, wie O’Maras Lippen zuckten. Dann unterbrach urplötzlich eine andere Stimme diese Besprechung. Es war eine ausdruckslose Translatorstimme, die durch den Raum dröhnte: „Der Sinn der letzten Bemerkung ist mir nicht klar. Wir sind also hochnäsig. und wie hoch ist unsere Nase? Ich hab sie nämlich noch nie gesehen.“ Es entstand eine kurze Pause, dann fuhr die Stimme fort: „Zwar räume ich gern ein, daß meine eigenen geistigen Fähigkeiten äußerst begrenzt sind, möchte aber gleichzeitig in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, daß der Fehler hinsichtlich meines Nichtverstehens Ihrer Äußerung nicht allein bei mir liegt, sondern in gewissem Maße auch der bedauernswerten Tendenz junger und weniger praktisch denkender Spezies wie der Ihren zuzuschreiben ist, sinnlose Laute oder Äußerungen von sich zu geben, obwohl es überhaupt nicht nötig wäre, eine solche Bemerkung fallen zu lassen.“
Conway sah sich verstört nach allen Seiten um, dann blieb sein Blick auf der Plastikkugel haften. Als er sie jetzt genauer in Augenschein nahm, konnte er erkennen, daß sie mit verschieden langen Gurten versehen war, unter denen sich die charakteristischen Umrisse eines Translators abzeichneten. Innerhalb dieses Behälters befand sich also dieses Etwas… „Doktor Conway, darf ich Ihnen Doktor Arretapec, Ihren neuen Chef, vorstellen?“ sagte O’Mara trocken, und kopfschüttelnd fügte er leise hinzu: „Sie und Ihr großes Mundwerk.“
Das Ding in der Plastikkugel, das noch am ehesten einer schrumpligen Backpflaume in einem Klumpen Sirup glich, war also dieser VUXG-Arzt! Conways Gesicht lief puterrot an. Zu seinem Glück übertrug der Translator nur Wörter, nicht aber deren emotionalen, in diesem Fall abfälligen Beiklang, sonst wäre er jetzt in einer höchst peinlichen Lage.
„Da eine äußerst enge Zusammenarbeit erforderlich ist“, fuhr O’Mara schnell fort, „und Doktor Arretapec sehr leicht ist, werden Sie ihn im Dienst bei sich tragen.“ Gleich darauf setzte er seine Worte in die Tat um und schnallte Conway geschickt die Plastikkugel um die Schulter. Als er damit fertig war, fügte er hinzu: „Sie können jetzt gehen, Doktor Conway. Genauere Anweisungen werden Sie, falls nötig, von nun an von Doktor Arretapec direkt erhalten.“
So etwas kann auch nur hier passieren, dachte Conway spöttisch, als er hinausging. Da stand er nun. mit einem ET-Arzt im Gepäck, der nicht viel mehr als ein schwabbeliger, durchsichtiger Pflaumenknödel war, und mit einem gesunden und stämmigen Dinosaurier als Patienten — und Zweck der ganzen Geschichte war etwas, das ihm sein Kollege nicht verraten wollte. Conway hatte schon mal etwas von „blindem Gehorsam“ gehört, aber „blinde Zusammenarbeit war ein neuer und seiner Ansicht nach ziemlich dämlicher Begriff.
Auf dem Weg zu Schleuse siebzehn, der Stelle, wo das Schiff mit dem Riesenpatienten an Bord ans Hospital angekoppelt war, versuchte Conway, dem extraterrestrischen Arzt die Organisation des Orbit Hospitals zu erklären. Dabei stellte Dr. Arretapec von Zeit zu Zeit sachliche Fragen, war also wahrscheinlich an diesem Thema interessiert.
Obwohl Conway nichts anderes erwartet hatte, war er doch von der schier unfaßbaren Größe des umgebauten Innenraums von dem Transporter schockiert. Mit Ausnahme der zwei Decks direkt an der Außenhaut des Schiffs, wo sich je die Generatoren für die künstliche Schwerkraft befanden, hatten die Ingenieure des Moni-torkorps alles entfernt, um einen großen, kugelförmigen, leeren Raum mit einem Durchmesser von fast einem Kilometer zu schaffen. Die Innenoberfläche dieser Kugel war ein einziges feuchtes und schlammiges Durcheinander. Unmengen herausgerissener Pflanzen waren zu kunterbunten Stapeln angehäuft und größtenteils wieder in den Schlamm getrampelt worden. Zudem fiel Conway auf, daß die meisten davon ausgedörrt waren oder bereits verfaulten.
Nach der glitzernden, fast aseptischen Sauberkeit, die Conway aus dem Hospital gewohnt war, zerrte dieser Anblick an seinem Nervenkostüm, und aufgeregt begann er, sich nach dem Patienten umzuschauen.
Dabei schweifte sein Blick über die riesigen, freien Flächen aus Schlamm und zertrampelter Vegetation. Hoch über seinem Kopf auf der entgegengesetzten Seite der Kugel ging die Schlammwüste in einen kleinen, tiefen See über, unter dessen Oberfläche schattenhaft Bewegungen und Wasserwirbel zu sehen waren. Plötzlich durchbrach ein winziger Kopf, der auf einem großen, schlangenartigen Hals saß, die Oberfläche, sah sich nach allen Seiten um und tauchte wieder mit einem gewaltigen Platschen unter.
Conway schätzte die Entfernung zum See und die Oberflächenbeschaffenheit des Terrains dazwischen ab und sagte: „Zu Fuß ist das ein ganzes Stück. Ich werde lieber einen G-Gürtel holen.“
„Das wird nicht nötig sein“, meinte Arretapec, und gleich darauf verschwand der Boden unter ihnen, und sie sausten auf den entfernten See zu.