Er beobachtete Waring stumm, während dessen Gesicht immer röter wurde. Waring war ein hagerer junger Mann, zartbesaitet, nicht sehr kräftig, aber durchaus aus dem Stoff, aus dem Helden gemacht werden.
Nach O’Maras Ankunft jedenfalls hatte man ihn umgehend mit den Heldentaten dieses Traktorstrahlentechnikers überschüttet. So hatte es beim Probelauf eines Kernreaktors einen Zwischenfall gegeben, wobei Waring in einem Abschnitt festgesessen hatte, der nicht ausreichend gegen Strahlung abgeschirmt gewesen war. Aber er hatte damals einen klaren Kopf behalten und es geschafft, nach Instruktionen, die ihm von draußen durch einen Ingenieur per Funk vermittelt worden waren, eine langsame Atomexplosion abzuwenden, die sonst sämtlichen Mitarbeitern in seiner Sektion das Leben gekostet hätte. Dabei soll ihm die ganze Zeit durchaus bewußt gewesen sein, daß die Strahlendosis, der er ausgesetzt gewesen war, ausgereicht hätte, ihn in wenigen Stunden zu töten.
Aber die Abschirmung hatte sich als wirksamer erwiesen, als man erwartet hatte, und Waring war am Leben geblieben. Dennoch hatte der Unfall seine Spuren bei ihm hinterlassen, wie man O’Mara erzählte. Seither hatte er Blackouts, stotterte, und sein Nervensystem war in Mitleidenschaft gezogen worden. Außerdem, so sagte man, gäbe es noch andere Dinge, die O’Mara schon selbst feststellen würde und die er auf keinen Fall beachten sollte. Schließlich habe Waring ihrer aller Leben gerettet und verdiene deshalb, besonders behandelt zu werden. Deshalb ließ man ihn auch überall gewähren, egal, wo er auftauchte. Man ließ ihn sämtliche Prügeleien gewinnen, jeden Streit, jejd|ps Spiel, jede Wette, und behandelte ihn stets so, als sei er in einen Kokon aus hochempfindlicher Verbandwatte gewickelt.
Und deshalb führte sich Waring heute unerträglich und affektiert wie ein verhätscheltes Muttersöhnchen auf.
O’Mara mußte grinsen, als er jetzt Warings weiß angelaufene Lippen und seine geballten Fäuste sah. Wenn er es irgendwie anstellen konnte, ließ er Waring bei jeder Gelegenheit den kürzeren ziehen. Als sich der Traktorstrahlentechniker zum erstenmal auf einen handgreiflichen Streit mit ihm eingelassen hatte, war das auch zugleich das letztemal gewesen. Zwar hatte O’Mara ihn dabei nicht verletzt, hatte aber genug Durchschlagskraft an den Tag gelegt, um ihm zu demonstrieren, daß es keine so gute Idee war, sich mit jemandem wie ihm anzulegen.
„Jetzt sehen Sie schon endlich nach“, sagte O’Mara schließlich gelangweilt. „Tun Sie, was Ca-Ca-Caxton Ihnen befohlen hat.“
Sie gingen gemeinsam hinein, warfen auf den schwach mit seinen Tentakeln zuckenden kleinen Hudlarer einen kurzen Blick und kamen wieder heraus. Waring stammelte, er müsse nun gehen, und steuerte bereits auf die Luftschleuse zu. Wie O’Mara wußte, stotterte Waring seit einiger Zeit eigentlich kaum noch, aber wahrscheinlich hatte er gerade Angst, die Geschichte mit dem Unfall könnte zur Sprache kommen.
„Einen Moment noch“, rief O’Mara ihm hinterher. „Mir geht das Nahrungspräparat aus, könnten Sie mir etwas davon holen und.“
„Ho-ho-holen Sie es sich doch selbst!“
O’Mara starrte ihn so lange an, bis Waring beiseite sah, dann fuhr er leise fort: „Beides auf einmal kann ich nicht machen, auch nicht für Caxton. Da man sich um diesen Kleinen so gründlich kümmern muß, daß mir nicht einmal gestattet ist, ihn im luftleeren Raum zu füttern oder aufzubewahren, würde ich fahrlässig handeln, wenn ich ihn hier einige Stunden allein zurückließe, nur um Essen zu holen. Sicherlich sehen Sie das ein. Gott allein weiß, was dem Kleinen alles zustoßen könnte, wenn man ihn allein läßt. Man hat mich für das Wohlergehen dieses Sprößlings verantwortlich gemacht, und deshalb bestehe ich dauf daß Sie.“
„A-a-aber ich will ni-ni.“
„Das heißt lediglich, daß Sie alle zwei, drei Tage etwa eine Stunde Ihrer Freizeit opfern müssen“, unterbrach O’Mara ihn scharf. „Und jetzt hören Sie endlich auf, hier herumzunörgeln. Und stottern Sie gefälligst nicht so. Sie sind alt genug, um anständig zu reden.“
Waring knirschte vor Wut mit den Zähnen. Er atmete tief ein und bebte am ganzen Körper. Dann stieß er die Luft durch die noch immer fest zusammengepreßten Kiefer aus, wobei das Geräusch an ein aufgebrochenes Luftschleusenventil erinnerte. Schließlich zischte er: „Das. kostet. mich. meine. nächsten beiden Pausen. Die FROB-Unterkünfte werden samt Lebensmittellager übermorgen an die Hauptsektion angeschlossen. Also müßte das Nahrungspräparat schon vorher geholt werden.“
„Sehen Sie, so einfach ist das, wenn man sich Mühe gibt“, sagte O’Mara grinsend. „Am Anfang haben Sie noch etwas gestammelt, aber ich hab jedes Wort verstanden. Sie machen das schon ganz prima. Ach, und noch etwas, wenn Sie die Essensbehälter vor der Luftschleuse stapeln, würden Sie bitte darauf achten, leise zu sein, damit unser Kleiner nicht aufwacht?“
Die nächsten zwei Minuten schleuderte Waring O’Mara Schimpfwörter an den Kopf, ohne sich auch nur einmal wiederholen oder stottern zu müssen.
„Ich hab doch gesagt, daß Sie das schon ganz prima machen“, bemerkte O’Mara mit gönnerhafter Miene. „Aber müssen Sie denn gleich so angeben?“
III
Nachdem Waring gegangen war, dachte O’Mara über die Abtrennung der hudlarischen Unterkünfte nach. Mit Gravitationsgittern, die auf vier Ge eingestellt waren, und einigen anderen speziellen Einrichtungen, derer sie bedurften, hatten die FROBs bislang einen der wichtigsten Abschnitte bewohnt. Wenn es nun an der Zeit war, diesen an die Hauptsektion anzugliedern, dann konnte es bis zur Fertigstellung des gesamten Hospitalkomplexes nur noch fünf bis sechs Wochen dauern. Wie O’Mara wußte, würde die Schlußphase sehr aufregend sein: So bewegten Traktorstrahlentechniker bei ihren umsichtigen Manövern Lasten durchs All, die Tausende von Tonnen wogen, führten sie langsam zusammen — die Vertiefungen der Verbindungsstücke mußten genau aufeinander passen —, während Monteure die Ausrichtung kontrollierten, gegebenenfalls veränderten und die sich allmählich schließenden Stirnseiten für die Ankopplung vorbereiteten. Viele von ihnen würden die Warnleuchten bis zum letztmöglichen Moment nicht beachten und fast unvorstellbare, haarsträubende Risiken eingehen, nur um sich die Zeit und die Mühe zu ersparen, die Sektionen für ein erneutes Kopplungsmanöver noch einmal voneinander trennen zu müssen.
Natürlich hätte O’Mara viel lieber draußen im All an dieser Endmontage teilgenommen, anstatt hier drinnen als Babysitter Dienst tun zu müssen!
Der Gedanke an den Kleinen brachte all die Sorgen zurück, die er vor Waring so erfolgreich verheimlicht hatte. So lange wie jetzt hatte das Alienbaby zuvor noch nie geschlafen. Seit es eingeschlafen war — beziehungsweise von O’Mara mit Tritten in den Schlaf befördert worden war — mußten mittlerweile zwanzig Stunden vergangen sein. Sicher, FROBs waren widerstandsfähige Wesen, aber konnte es nicht durchaus möglich sein, daß der Kleine gar nicht schlief, sondern vielmehr bewußtlos war oder vielleicht sogar eine Gehirnerschütterung hatte.?
O’Mara nahm das Buch, das Pelling ihm hatte bringen lassen, und stöberte darin herum.
Es war zähflüssig geschrieben und schwer zu lesen, aber trotzdem wußte er nach zwei Stunden etwas mehr über die Pflege hudlarischer Babies, und dieses Wissen löste bei ihm Erleichterung und Verzweiflung zugleich aus. Offenbar waren sein Wutanfall und die darauffolgenden Hiebe und Tritte für das Baby genau das richtige gewesen — FROB-Babies bedurften steter Liebkosungen, und wenn man kurz hochrechnete, welche Kraft ein erwachsener Hudlarer aufwandte, um seinem Nachwuchs einen sanften Klaps zu verabreichen, wurde einem klar, daß O’Maras blindwütige Attacken tatsächlich nichts anderes als ein zärtliches Streicheln gewesen waren. Aber das Buch warnte auch vor den Gefahren des Überfütterns, und was diesen Punkt betraf, hatte er sich eindeutig falsch verhalten. Offenbar wäre es richtig gewesen, das Baby während der Wachphasen etwa alle fünf bis sechs Stunden zu füttern, und sobald es unruhig wurde oder immer noch hungrig war, es mit Streicheleinheiten — also mit ein paar kräftigen Tritten — zu besänftigen. Zudem schienen kleine FROBs recht häufig gebadet werden zu müssen.