Nur unter großer Anstrengung konnte er das Keuchen unterdrücken, als er sagte: „Tut mir leid, aber meine Kamera ist kaputt.“
Der Monitor schwieg gerade lange genug, um O’Mara wissen zu lassen, daß er die Lüge zwar durchschaut hatte, im Augenblick aber nicht darauf eingehen wollte. Schließlich sagte er: „Gut, aber immerhin können Sie ja mich sehen“, und O’Maras Bildschirm flackerte auf.
Ein junger Mann mit kurzgeschnittenem Haar erschien auf dem Schirm, dessen Augen zwanzig Jahre älter als seine restlichen Gesichtszüge zu sein schienen. Auf der eleganten, dunkelgrünen Uniform trug er die Schulterklappen eines Majors und am Kragenansatz das Symbol eines Äskulapstabs.
Unter anderen Umständen hätte O’Mara diesen Mann wahrscheinlich sympathisch gefunden. „Ich muß noch etwas im Nebenraum erledigen. bin in einer Minute wieder zurück“, log er erneut.
Er begann damit, den Gravitationsgürtel an seinem Anzug auf zwei Ge Abstoßung einzustellen, wodurch die gegenwärtige Anziehung des Bodens exakt neutralisiert wurde, so daß er die Anziehungskraft auf vier Ge erhöhen könnte, ohne sich selbst zu überfordern. Danach wollte er den Gürtel auf drei Ge stellen, wodurch er für sich eine scheinbar normale Schwerkraft von ein Ge zurückerlangen würde.
Wenigstens hätte es eigentlich so funktionieren sollen.
Aber statt dessen produzierten der Gürtel oder die Bodengitter oder gar beide zusammen Halb-Ge-Schwankungen, und die Kabine spielte völlig verrückt. Es war wie in einem Hochgeschwindigkeitslift, der andauernd gestartet und wieder gestoppt wurde. Die Frequenz der Stoßwellen wuchs rasch an, bis O’Mara derart durchgeschüttelt wurde, daß bereits seine Zähne klapperten. Ehe er auf die Situation reagieren konnte, trat eine neue, noch gefährlichere Komplikation ein. Die Bodengitter arbeiteten mit unterschiedlicher Stärke nicht mehr im rechten Winkel zu ihrer Oberfläche und wichen auch noch nach Belieben zwischen zehn und dreißig Grad von der Vertikalen ab. Kein sturmgepeitschtes Schiff war jemals so grauenhaft ins Schaukeln und Stampfen geraten, und O’Mara taumelte hin und her. Er grapschte verzweifelt nach der Couch, griff aber daneben und wurde mit voller Wucht gegen die Wand geschleudert. Die nächste Stoßwelle warf ihn schlitternd an die gegenüberliegende Wand, bis es ihm endlich gelang, den Ge-Gürtel abzuschalten.
Schließlich herrschte im Raum wieder eine gleichmäßige Gravitation von zwei Ge.
„Wird das noch lange dauern?“ fragte plötzlich der Monitor.
O’Mara hatte den Major während der letzten hektischen Sekunden fast vergessen. Als er schließlich antwortete, gab er sich alle Mühe, seine Stimme so natürlich wie möglich klingen zu lassen und so zu tun, als würde er aus dem Nebenraum sprechen. „Kann sein. Könnten Sie sich später noch mal melden?“
„Ich warte lieber“, antwortete der Monitor.
In den folgenden Minuten versuchte O’Mara, die Blessuren zu vergessen, die er sich trotz des Schutzes, den der schwere Raumanzug bot, zugezogen hatte. Er konzentrierte sich darauf, einen Ausweg aus diesem erneuten Schlamassel zu finden, und begriff allmählich, was geschehen sein mußte.
Wenn zwei Schwerkraftgeneratoren mit gleicher Leistung und Frequenz dicht nebeneinander eingesetzt wurden, traten Interferenzen auf, wodurch die Stabilität beider Kraftfelder beeinflußt wurde. Die Schwerkraftgitter in O’Maras Unterkunft waren lediglich ein Provisorium und wurden von einem Generator gespeist, der dem in seinem Raumanzug glich, obwohl beide normalerweise auf unterschiedliche Frequenzen eingestellt waren, um eventuell auftretende Instabilitäten zu verhindern. Aber O’Mara hatte die letzten fünf Wochen andauernd an den Gittereinstellungen herumgespielt — vor allem jedesmal dann, wenn das Kind gebadet worden war —, so daß er versehentlich die Frequenz verändert haben mußte.
Vier Ge minus dreiviertel Ge ergeben etwas mehr als drei Ge. Und es sieht ganz so aus, dachte O’Mara grimmig, als müßte ich mich doch für die brutale Methode entscheiden…
V
O’Mara klappte schnell den Helm zu, dann schloß er das Mikrofon in seinem Raumanzug mit einem Kabel an den Kommunikator an. Auf diese Weise konnte er sprechen, ohne Caxton oder den Monitor merken zu lassen, daß er im Raumanzug steckte. Um für die erfolgreiche Durchführung seines Vorhabens genug Zeit zu haben, durften die beiden nicht ahnen, daß hier etwas Außergewöhnliches vor sich ging.
Zuletzt waren die restlichen Einstellungen am Luftdruckregulator und an den Schwerkraftgittern fällig. Binnen zwei Minuten hatte sich der atmosphärische Druck in beiden Kabinen versechsfacht, und die momentane Schwerkraft betrug vier Ge — tatsächlich also der größte Näherungswert, den O’Mara erreichen konnte, um „normale Umweltbedingungen“ für einen Hudlarer zu schaffen. Als er die unglaublich schwere und träge Masse, zu der sein Arm geworden war, aus der Vertiefung für die Bedienungselemente der Schwerkraftgitter zog, krachte seine Schultermuskulatur unter der Anstrengung — weil sein Gürtel nur dreiviertel Ge der im Raum herrschenden vier Ge Anziehungskraft neutralisierte —, dann wälzte er sich schwerfällig auf den Rücken.
Er hatte das Gefühl, als säße das Baby auf seinem Brustkorb und große schwarze Flecke hingen pulsierend vor seinen Augen. Durch sie hindurch konnte er verschwommen einen Teil der Decke erkennen und in einem völlig verdrehten Blickwinkel den Bildschirm. Das Gesicht darauf begann ungeduldig zu werden.
„Ich bin wieder da, Major“, keuchte O’Mara, wobei er darum kämpfte, kontrolliert zu atmen, damit seine Stimme nicht zu gepreßt klang. „Ich nehme an, Sie wollen meine Schilderung des Unfalls hören, stimmt’s?“
„Nein“, entgegnete der Monitor. „Ich hab die Aufnahme gehört, die Caxton gemacht hat. Was mich wirklich interessiert, ist, aus welchen Motiven Sie eigentlich hierhergekommen sind. Ich hab Nachforschungen angestellt, und es gibt da etwas, das mir nicht ganz schlüssig vorkommt und.“37
Das Gespräch wurde durch einen donnernden Lärmausbruch abrupt unterbrochen. Trotz der durch den steigenden Luftdruck tieferen Tonlage wußte O’Mara, was das Signal zu bedeuten hatte: Baby war wieder mal unzufrieden und hatte Hunger.
Mit gewaltiger Anstrengung wälzte er sich auf die Seite, dann stemmte er sich auf den Ellbogen hoch. Eine Weile verharrte er in dieser Lage, um Kräfte zu sammeln, schließlich versuchte er, sich auf Händen und Knien abzustützen. Als ihm das gelungen war, mußte er feststellen, daß seine Arme und Beine so stark angeschwollen waren, als würden sie im nächsten Augenblick vom Druck des dort angesammelten Bluts zerbersten. Stöhnend legte er sich wieder flach auf die Brust. Plötzlich schoß das Blut nach vorn in seinen Körper, und ihm wurde schwarz vor Augen.
Er konnte weder auf allen vieren kriechen, noch sich auf dem Bauch vorwärts robben, und bei drei Ge war es ihm unmöglich, aufzustehen und zu gehen. Welche Möglichkeiten gab es also noch?
Er rollte sich wieder auf die Seite und dann auf den Rücken. Dieses Mal stemmte er sich aber auf den Ellbogen ab. Die Nackenstütze des Raumanzugs gab seinem Kopf Halt, aber die Innenseiten der Ärmel waren nur sehr schwach gepolstert, und seine Ellbogen schmerzten. Allein die Anstrengung, auch nur einen Teil seines Körpers hochzuhalten, der jetzt dreimal schwerer als sonst war, verursachte bereits Herzrasen. Am schlimmsten war, daß er wieder Ohnmachtsanfälle bekam.
Aber irgendeine Möglichkeit mußte es doch geben, die Druckverhältnisse in seinem Körper auszugleichen oder wenigstens so zu verteilen, um bei Bewußtsein zu bleiben und sich bewegen zu können. O’Mara versuchte, sich die Form der Beschleunigungsliegen in Erinnerung zu rufen, die in Raumschiffen eingesetzt worden waren, bevor es künstliche Schwerkraft gegeben hatte. Auf einmal fiel ihm ein, daß man darin in nicht völliger Bauchlage mit angezogenen Knien gelegen hatte.
Zentimeter um Zentimeter schob er sich auf Ellbogen, Gesäß und Füßen vor und näherte sich so im Schneckentempo der Schlafkabine. Sein fast beschämender Reichtum an Muskelkraft war nun sicherlich von Nutzen -