„Ja, das ist sie!"
Frau Schlotterbeck brach in Tränen aus.
„Darauf wäre ich nie im Leben gekommen, hu-huuu, dass Wasti, mein liebes Wastihundchen ..."
„Er muss sie für einen Kürbis gehalten haben", erklärte Kasperl. „Das dürfen Sie ihm nicht übel nehmen."
„Wie könnte ich!", schluchzte Frau Schlotterbeck. „Was für ein Glück, dass er nicht versucht hat sie aufzufressen! Er hätte sich sämtliche Zähne ausbeißen können, mein armer Schnuckiputz!"
Prüfend hielt sie die Kugel gegen das Sonnenlicht.
„Kein Sprung, wie ich sehe und keine Schramme ... Bloß eingetrübt hat sie sich durch und durch, seit Wasti sie aus der Stube gerollt hat. Es wird ein paar Tage dauern, bis man sie wieder verwenden kann – aber das nehme ich gern in Kauf."
Frau Schlotterbeck trocknete sich mit dem Saum des Morgenrockes die Lider.
„Es steht also fest", sagte Kasperl, „dass Hotzenplotz
weder Frau Schlotterbecks Kugel gestohlen hat – noch Großmutters Kürbisse. Das wird selbst die Polizei nicht bezweifeln können!"
„Und deshalb", rief Seppel, „sollten wir Hotzenplotz schleunigst aus seinem Versteck herausholen! Lang genug hat er im Kartoffelkeller gesessen."
„Wo?", fragte Großmutter.
Kasperl und Seppel berichteten, was sie mit Hotzenplotz gestern und heute erlebt hatten: Wie er sie überzeugt hatte, dass es ihm mit den guten Vorsätzen ernst war – und wie sie versucht hatten ihn vor Herrn Dimpfelmoser zu schützen.
„Dann aber nichts wie los!", rief Großmutter. „Wenn ich mir vorstelle, dass er seit heute Morgen im Keller hockt – das ist fast so schlimm wie im Spritzenhaus!"
Kasperl und Seppel rannten den alten Damen voraus. Das hintere Gartentürchen stand offen, es fiel ihnen in der Eile nicht weiter auf. Sie stürmten ins Haus und riefen:
„Herr Hotzenplotz! Alles in schönster Ordnung, Sie können rauskommen!"
Vor der Tür zum Kartoffelkeller machten sie Halt. Das Schloss war herausgebrochen, von innen musste sich jemand dagegengeworfen haben.
„Verflixt!", meinte Kasperl. „Das sieht nicht gut aus ..." Sie stolperten Hals über Kopf in den Keller, sie blickten sich um.
„Hören Sie uns, Herr Hotzenplotz?"
Keine Antwort.
„Sie brauchen sich nicht zu fürchten – wir sind das!"
Kasperl und Seppel warfen die leeren Kartoffelsäcke beiseite. Sie schauten in alle Ecken, in jeden Winkeclass="underline" Der Keller war leer.
Da entdeckten sie an der Wand eine Inschrift.
Mit einem Stück Kohle hingekritzelt, stand da in großen, unbeholfenen Buchstaben:
HAABEMIRS ÜBERLEGT. WERDE GOLDSUCHER IN AMERIKA.
SEID NICH BÖSE, ES PLEBTMIER NIX ANDERES ÜHPRIK
HODSENBLODZ
Hierher, Wasti!
Kasperl und Seppel lasen die Inschrift einmal, sie lasen sie zweimal und dreimal – es blieb dabei. Was da geschrieben stand: Hotzenplotz hatte es tatsächlich hingekritzelt, mit eigener Hand.
Eine schöne Bescherung!
„Was mag er sich bloß gedacht haben?", fragte Seppel. „Wo wir ihm doch versprochen haben, dass wir ihm helfen wollten!"
„Weit kann er noch nicht sein", meinte Kasperl. „Wir müssen ihm nach um ihn zur Vernunft zu bringen! Jetzt kommt es auf jede Minute an!"
Sie sausten die Kellertreppe hinauf. Fast hätten sie Großmutter und Frau Schlotterbeck, die gerade das Haus betraten, über den Haufen gerannt.
„Was ist denn in euch gefahren? Könnt ihr nicht aufpassen?"
Kasperl hielt sich nicht lange mit einer Erklärung auf.
„Hotzenplotz!", rief er. „Er will nach Amerika!"
Großmutter und Frau Schlotterbeck blickten den Freunden kopfschüttelnd nach.
„Ob sie jemals gescheit werden, diese beiden? Es ist schon ein Kreuz mit ihnen – das lassen Sie sich von mir gesagt sein, Frau Schlotterbeck!"
Wohin sollten Kasperl und Seppel sich wenden? Drei Landstraßen gab es, die aus dem Städtchen ins Weite führten, nach Süden, Norden und Osten – und mehr als ein Dutzend Feldwege.
„Zählen wir's an den Knöpfen ab", meinte Seppel. „Man kann ja nicht riechen, wohin er gegangen ist."
„Riechen ist gut!", sagte Kasperl.
„Wir müssen sofort in den Wald zu Herrn Dimpfelmoser und Wasti holen – dann sollst du mal sehen, wie rasch er uns auf die Spur führt!"
Um in den Wald zu kommen, mussten sie durch das halbe Städtchen laufen. Neben dem Eingang zur Polizeiwache hatte Herr Dimpfelmoser sein Fahrrad abgestellt.
„Mensch!", sagte Kasperl. „Das Ding kommt uns wie gerufen – damit gewinnen wir eine Menge Zeit!"
Das Rad war am Ständer festgebunden.
Wenn schon! Wozu hatte Kasperl ein Taschenmesser?
Ritsch-ratsch, war der Bindfaden durchgeschnitten.
Nun brausten sie los wie die wilde Jagd: Kasperl im Sattel, Seppel auf dem Gepäckträger.
„Acht geben, dass du nicht runterfällst!"
Sie fuhren ein paarmal die Waldstraße auf und ab. Kasperl betätigte mit der Linken die Fahrradklingel, bis ihm der Daumen weh tat – und beide schrien aus voller Kehle:
„Herr Dimpfelmoser! Herr Dimpfelmoserl Kommen Sie! Kommen Sie!" – Ob Herr Dimpfelmoser sie hörte?
Sie wurden vom vielen Schreien allmählich heiser, da ließ sich von ferne ein Hund vernehmen: „Waff-waff!", scholl es durch den Wald.
„Das muss Wasti sein!"
Kasperl pfiff auf zwei Fingern, Seppel rief:
„Hierher, Wasti! Zu uns her!"
Rasch kam das Bellen näher. Schon hörten sie Zweige knacken, schon rauschte es in den Büschen am Straßenrand: Wasti kam aus dem Dickicht hervorgeprescht.
Hechelnd sprang er an Kasperl und Seppel hoch – dann ließ er von ihnen ab und brach in ein jämmerliches Gewinsel aus.
„Was hast du denn?", fragte Kasperl.
„Wa-huuu!", jaulte Wasti. „Wa-huuu, wa-huuuh!"
Er klemmte den Schwanz ein, er lief ein paar Schritte von ihnen weg – in die Richtung, aus der er gekommen war. Dann machte er kehrt, kam zurückgelaufen und jaulte aufs Neue los.
Das Spiel wiederholte sich etliche Male.
Kasperl und Seppel konnten sich nicht erklären, was es bedeuten sollte – bis ihnen etwas auffiel, was sie bisher übersehen hatten:
Die Hundeleine!
Wasti schleifte sie auf dem Waldboden hinter sich her.
Da ging Kasperl ein Licht auf.
„Wo hast du Herrn Dimpfelmoser gelassen? Ist ihm was zugestoßen?"
„Waff-waff!", bellte Wasti, als habe er nur auf Kasperls Frage gewartet. „Waff-waffwaffwaff!"
Rettung aus höchster Not
Die Freunde schoben das Fahrrad hinter den nächsten Haselstrauch. Kasperl ergriff die Hundeleine und Wasti zerrte ihn durch den Wald: an der Räuberhöhle vorbei, über Stock und Stein, an den Rand des Moores.
Draußen im Moor stand Herr Dimpfelmoser und schrie um Hilfe.
Er fuchtelte mit den Armen, der Helm war ihm über die Ohren gerutscht, sein Gesicht war von Angst gerötet.
„Heda!", rief Kasperl. „Was ist denn mit Ihnen los?"
„Seht ihr nicht, dass ich im Dreck stehe? Helft mir raus da, sonst ist es um mich geschehen!"
Auf der Suche nach Hotzenplotz musste Wasti die Spur von gestern erwischt haben.
Das war Kasperl und Seppel klar.
Und Herr Dimpfelmoser?
Er hatte vermutlich im Eifer den Weg verfehlt; da genügte ein halber Schritt und man saß in der Patsche.
„Warten Sie bitte – wir kommen, so rasch es geht!"