Ihrer Ansicht nach konnte es Wasti nicht schaden, wenn sie ihn einer Krauter- und Wurzelkur unterzogen. Seit einigen Wochen probierten sie Großmutters Vorräte an ihm aus: auf gut Glück zwar, doch streng nach dem ABC.
Mit Anispulver hatten sie angefangen. Dann hatten sie Wasti getrocknete Arnikawurzeln verabreicht, dann Baldriantee, dann Basilienkraut, dann mit Honig gesüßten Bitterklee, dann gemahlene Chinarinde, dann Eibischblätter, dann Enzian – und so fort bis zum heutigen Tage, an dem sie ihm einen Absud von Huflattich eingeflößt hatten.
Leider war die Behandlung vorläufig ohne Erfolg geblieben.
Das Einzige, was sie damit erreicht hatten, war, dass sich Wasti seit vorletztem Donnerstag standhaft weigerte Fleisch zu fressen. Stattdessen legte er eine erstaunliche Vorliebe für Salat an den Tag; auch Grünkohl, Tomaten, Radieschen und Zwiebeln verschmähte er keineswegs – und auf Salzgurken war er besonders erpicht: Die verschlang er wie Knackwürste.
„Armer Wasti!", seufzte Frau Schlotterbeck. „Nun bist du zu allem Unglück auch noch ein vegetarisches Krokodil geworden! – Ich weiß nicht, ob die Behandlung richtig ist. Wenn er nun eines Tages plötzlich zu krähen anfängt? Oder zu meckern? Oder i-ah zu schreien? Nicht auszudenken, was alles mit ihm geschehen könnte, wenn ihr so weitermacht!"
„Ebenso gut", sagte Kasperl, „könnte er eines Tages wieder zu einem Dackel werden."
Und Seppel meinte: „Das sollten Sie nicht vergessen, Frau Schlotterbeck!"
Aber Frau Schlotterbeck hatte heut ihren schlechten Tag. Statt den Freunden zu antworten, fing sie zu weinen an. Jammernd rang sie die Hände und während ihr dicke Tränen auf die Zigarre tropften, schluchzte sie:
„Ich bin schuld an dem ganzen Elend, mit Wasti – ja, ich bin schuld daran!"
Kasperl und Seppel versuchten sie zu beschwichtigen, doch umsonst. Einmal ins Heulen gekommen, heulte Frau Schlotterbeck weiter: Und wie es den Anschein hatte, gedachte sie nicht so bald wieder aufzuhören.
Da aßen die beiden Freunde rasch ihre Brote auf. Sie tätschelten Wasti zum Abschied den Rücken, dann sagten sie Lebewohl, überließen Frau Schlotterbeck ihrem Kummer und gingen nach Hause.
War da nicht noch was?
Kasperl und Seppel waren gerade vor Großmutters Gartentür angekommen, da hörten sie eine Fahrradklingel – und als sie sich umdrehten, sahen sie den Herrn Polizeihauptwachtmeister Alois Dimpfelmoser in voller Fahrt um die nächste Ecke biegen. Während er mit der linken Hand gleichzeitig lenkte und klingelte, strich er sich mit der rechten den Schnurrbart. Die Silberknöpfe an seinem Rock blinkten in der Sonne, Stiefel und Leibriemen waren auf Hochglanz gewichst, der ganze Herr Dimpfelmoser machte den Eindruck, als habe ihn jemand frisch eingefettet und aufpoliert.
Kasperl und Seppel waren sofort im Bilde. Großmutter hatte ihnen beim Frühstück laut aus der Zeitung vorgelesen, dass man Herrn Dimpfelmoser mit Wirkung vom letzten Ersten außer der Reihe zum Hauptwachtmeister befördert habe – und es gab sicherlich niemanden im ganzen Städtchen, der ihm das nicht gegönnt hätte.
„Hallo, Herr Dimpfelmoser!"
Die Freunde winkten, der eine mit seiner Zipfelmütze, der andere mit dem Seppelhut.
„Herzlichen Glückwunsch, Herr Dimpfelmoser! Wir gratulieren!"
„Danke sehr, danke vielmals!" Herr Dimpfelmoser hielt an, dass die Reifen quietschten und schwang sich vom Rad. „Demnach wisst ihr es also schon?"
„Ja", sagte Kasperl.
„Und wie gefällt er euch?"
„Wer?", fragte Seppel.
Herr Dimpfelmoser deutete stolz mit dem Zeigefinger auf seinen Kragen.
„Der dritte Stern da. Frau Pfundsmichel, meine Zimmerwirtin, hat ihn mir vorhin angenäht."
„Nett von ihr", sagte Kasperl; und Seppel beteuerte, dass sich Herr Dimpfelmoser gewiss keinen schöneren Stern hätte annähen lassen können. „Auch Großmutter wird sich freuen, wenn sie ihn sieht", meinte Kasperl.
Herr Dimpfelmoser lehnte das Fahrrad gegen den Gartenzaun, strich sich den blauen Rock glatt und rückte den Helm gerade. Dann folgte er Kasperl und Seppel zu Großmutters Häuschen. Die Tür war nicht abgeschlossen, das Küchenfenster stand offen – von Großmutter keine Spur.
„Möglich, dass sie im Garten ist", sagte Kasperl. „Oder vielleicht im Waschhaus."
Die Freunde erschraken nicht schlecht, als sie Großmutter fanden. Stocksteif lag die alte Dame im Gras: mit geschlossenen Augen und spitzer Nase, die Arme von sich gestreckt.
„Großmutter! Großmutter!" Kasperl und Seppel beugten sich über sie. „Sag doch was, Großmutter! Kannst du nicht antworten?"
„Nein", sagte Großmutter matt. „Ich bin ohnmächtig."
Seppel rannte um eine Gießkanne, Kasperl holte den Gartenschlauch. Großmutter kam ihren Wiederbelebungsversuchen um Haaresbreite zuvor: Als Kasperl das Wasser andrehen wollte, schlug sie die Augen auf.
„Kasperl!", rief sie. „Und Seppel! Wie gut, dass ihr da seid!"
Dann erst bemerkte sie auch Herrn Dimpfelmoser.
„Sie müssen entschuldigen, dass ich Sie fast übersehen hätte", bat sie mit schwacher Stimme. „Man fällt ja nicht alle Tage in Ohnmacht, nicht wahr?"
Sie zupfte an ihrer Schürze und legte die Stirn in Falten, als dächte sie angestrengt über etwas nach.
„Da war doch was", meinte sie, „was ich mit Ihnen besprechen wollte, Herr Dimpfelmoser – etwas ganz Wichtiges ... Aber was war das bloß?"
Kasperl und Seppel machten ihr heimlich Zeichen. Der eine fasste sich an den Kragen, der andere spreizte drei Finger und deutete auf Herrn Dimpfelmoser.
„Was habt ihr denn?", fragte Großmutter. „Immerzu müsst ihr Faxen machen!"
Weil Großmutter nicht begriff, musste Kasperl deutlich werden.
„Wolltest du nicht Herrn Dimpfelmoser zu seiner Beförderung gratulieren?", fragte er rundheraus.
„Das auch, das natürlich auch."
Großmutter holte den Glückwunsch nach, dann versank sie aufs Neue in tiefes Grübeln.
„Da war noch was anderes", murmelte sie. „Da war noch etwas ..."
Weiter kam sie nicht, denn mit einem Mal polterte jemand von innen gegen die Tür des Waschhauses.
„Aufmachen!", ließ eine raue Männerstimme sich laut und mit Nächdruck vernehmen. „Man hat mich hier unberechtigterweise eingesperrt! Schließen Sie endlich die Tür auf, zum Donnerwetter!"
Mit Stempel und Unterschrift
Kasperl und Seppel, Herr Dimpfelmoser und Großmutter waren so verdattert, als hätten sie eins mit der Feuerpatsche aufs Dach bekommen. Es verging eine ganze Weile, bis sie imstande waren etwas zu unternehmen.
Herr Dimpfelmoser machte den Anfang, indem er tief Luft holte und den Säbel zog.
„Hotzenplotz!", rief er mit Donnerstimme. „Sie sind umzingelt! Kommen Sie augenblicklich heraus da – und leisten Sie keinen Widerstand! Haben Sie mich verstanden?"
„Das schon", sagte Hotzenplotz hinter der Tür. „Bloß – hinauskommen kann ich nicht: Kasperls Großmutter hat mich hier eingesperrt."
„Kasperls Großmutter?"
Großmutter fasste sich an den Kopf.
„Richtig, Herr Dimpfelmoser – jetzt ist es mir wieder eingefallen!" Sie blickte voll Stolz in die Runde. „Das hätten Sie mir vermutlich nicht zugetraut, wie?"
„Es ist jedenfalls eine tolle Sache."
Herr Dimpfelmoser steckte den Säbel weg, zückte den Bleistift und schlug das Notizbuch auf.