Mehrere Stunden verbrachten sie in gespannter Erwartung. Frau Schlotterbeck kochte Tee und bewirtete sie mit Käseplätzchen und Zwiebelkuchen. Es dunkelte schon im Walde, als Hotzenplotz endlich wieder zum Vorschein kam.
Gähnend verließ er die Räuberhöhle. Er nahm eine Prise Schnupftabak, rieb sich die Nase und nieste ein paarmal. Dann holte er einen Spaten aus dem Gestrüpp, den schulterte er – und sie ließen ihn nicht aus den Augen, bis er vor einem großen Ameisenhaufen stehen blieb.
Ein Glück, dass der Mond schien!
So konnten sie trotz der Dunkelheit deutlich erkennen, dass es ein künstlicher Ameisenhaufen war, an dem sich der Räuber nun mit dem Spaten zu schaffen machte.
Er legte zwei Pulverfässer und eine mit Blech beschlagene Kiste frei.
Der Kiste entnahm er ein Dutzend Pistolen und mindestens sieben Messer, die steckte er alle in einen großen Sack.
Dann schob eine schwarze Wolke sich vor den Mond, das Bild in der Kugel verfinsterte sich – und mehr war an diesem Abend beim besten Willen nicht zu beobachten.
Die Räuberfalle
Kasperl und Seppel, Frau Schlotterbeck und Herr Dimpfelmoser hatten genug gesehen: Nun waren sie felsenfest überzeugt davon, dass Hotzenplotz nicht im Traum daran dachte sein Leben zu ändern.
„Friedliche Bürger brauchen kein Schießpulver", sagte Herr Dimpfelmoser. „Und was er mit seinen Messern und den Pistolen im Sinn hat, kann man sich an zwei Fingern ausrechnen. Es ist höchste Gefahr im Verzug! Morgen Vormittag werde ich alles schriftlich zu Protokoll nehmen – und am Nachmittag lege ich fest, welche weiteren Maßnahmen gegen ihn zu ergreifen sind. Der Kerl soll sein blaues Wunder erleben!"
Er setzte den Helm auf, dann richtete er das Wort an die Witwe Schlotterbeck:
„Könnten Sie wohl die Güte haben und morgen früh, wenn es draußen hell wird, die Überwachung des Räubers fortsetzen? Das ist wichtig, damit er uns nicht durch die Lappen geht."
„Ihnen zuliebe", versprach ihm Frau Schlotterbeck, „werde ich mir den Wecker auf vier Uhr früh stellen."
Kasperl und Seppel waren nicht übermäßig begeistert davon, dass Herr Dimpfelmoser den nächsten Schritt gegen Hotzenplotz frühestens morgen Nachmittag unternehmen wollte. Der Räuber war schwer bewaffnet – was konnte er in der Zwischenzeit alles anstellen!
Während sie miteinander heimgingen, legten die beiden sich einen Plan zurecht, wie sie Hotzenplotz fangen wollten.
„Zweimal haben wir ihn auf eigene Faust geschnappt", sagte Kasperl. „Da schaffen wir's auch ein drittes Mal!"
Sie schlichen am anderen Morgen vor Tau und Tag von zu Hause weg: Kasperl mit einem Sack voll Sand auf dem Rücken, Seppel mit Großmutters Wäscheleine unter dem Arm.
Im Morgengrauen eilten sie durch den Wald, überquerten den Moosbach und huschten am Alten Steinkreuz vorbei. Kurz vor der Räuberhöhle machten sie Halt. Dort standen zwei mächtige alte Buchen neben dem Pfad, eine links, eine rechts davon: Dies war die Stelle, die sich für eine Räuberfalle am besten eignete.
„Fangen wir an!", sagte Kasperl.
Mit Seppels Hilfe erkletterte er die linke Buche und schwang sich auf einen Ast, der über den Pfad hinausragte. Vorsichtig rutschte er auf dem Ast entlang, bis der Fußweg genau unter ihm lag. Nun musste ihm Seppel das eine Ende von Großmutters Wäscheschnur zuwerfen.
„Hast du sie?"
„Danke schön", sagte Kasperl. „Ich lasse sie auf der anderen Seite wieder hinunter, damit du den Sack voll Sand daran festbinden kannst. Ist das klar?"
„Klar wie Zwetschgenmus."
Kasperl rutschte zurück und ließ sich am Stamm der Buche hinabgleiten.
„Fertig?"
„Moment", sagte Seppel. „Ich mache zur Sicherheit einen Extraknoten ... Wenn der nicht hält, will ich Mops heißen."
Sie zogen den Sack mit vereinten Kräften bis zu dem Ast empor. Das freie Ende der Wäscheleine schlangen sie um den Stamm der Buche, die auf der rechten Seite des Pfades stand. Den Rest spannte Kasperl als Stolperschnur über den Weg.
„Und du meinst, dass es klappen wird?", fragte Seppel. „Wer sagt uns denn überhaupt, dass Hotzenplotz hier entlangkommt?"
Kasperl war zuversichtlich.
„Es gibt keinen anderen Weg, der zu seiner Höhle führt."
„Und der Sack mit dem Sand? Ob er wirklich herunterfällt?"
„Das ließe sich ausprobieren."
„Ist gut", sagte Seppel. „Nehmen wir also an, dass Hotzenplotz hier vorbeikommt und dass er den Stolperstrick nicht entdeckt. Er stößt mit dem Fuß dagegen: ganz leicht nur, wie ich jetzt dagegenstoße – und dann?"
Seppels Befürchtungen waren grundlos gewesen.
Er hatte den Stolperstrick kaum mit dem großen Zeh berührt – da plumpste der Sandsack herunter. Er plumpste ihm auf den Hut, und Seppel verdrehte die Augen.
„Uff!"
Damit sank er in sich zusammen und sagte für eine Weile gar nichts mehr.
„Seppel!", beschwor ihn Kasperl. „Aufwachen, Seppel!" Er zupfte ihn an den Haaren, er rieb ihm die Ohren, er zwickte ihn in die Nase – vergebens. Da ließ eine raue Männerstimme sich hören:
„Den scheint's ja ganz schön erwischt zu haben, hö-höh!" Und als Kasperl erschrocken aufblickte, sah er – dem Räuber Hotzenplotz ins Gesicht.
„Seppel!", rief Kasperl. „Was hast du, um Himmels willen? Steh auf, Seppel!"
Seppel lag da wie vom Blitz getroffen, er gab keinen Laut von sich.
Feuerwerk
Kasperl brachte vor Schreck keinen Ton heraus. Durfte er Seppel jetzt einfach im Stich lassen? – nie und nimmermehr! Mochte der Räuber mit ihnen tun, was er wollte!
„Na, ihr zwei Oberkünstler?"
Hotzenplotz hockte sich neben Kasperl nieder und fühlte Seppel den Puls.
„Wollen versuchen ihn wieder wach zu kriegen." Er holte aus seiner Hosentasche die Schnupftabaksdose hervor. „Das Zeug, musst du wissen, wirkt manchmal Wunder."
„Meinen Sie?"
Hotzenplotz stopfte Seppel die Nase mit Schnupftabak voll.
„Pass mal auf, wie das hilft!"
Es dauerte keine zwei Sekunden und Seppel brach in ein fürchterliches Geniese aus. Er nieste und nieste, als wollte es ihn von innen heraus in Stücke reißen.
Kasperl packte ihn an den Schultern und rüttelte ihn.
„Haptschü", machte Seppel und japste nach Luft. „Ich muss einen grässlichen Schnupfen erwischt haben, Kasperl – haptschi, haptschiii!"
Kasperl lieh ihm sein Taschentuch. Seppel schnauzte sich aus und rieb sich die Augen. Dann erst bemerkte er Hotzenplotz: „Sie sind das?"
„Ich, wenn du nichts dagegen hast. Und nun sagt mir gefälligst, was da passiert ist!"
„Ach", druckste Kasperl herum, „das wissen wir eigentlich selbst nicht. Ein Zufall, verstehen Sie – nichts wie ein dummer Zufall, Herr Hotzenplotz ..."
„Und der Sack voll Sand? Und der Stolperstrick?" Der Räuber tat Kasperls Antwort mit einem verächtlichen Grunzen ab. „Ich habe euch nämlich beobachtet, eine ganze Weile schon – und ich finde, das solltet ihr lieber bleiben lassen."
„Was?", fragte Kasperl so unschuldig, wie er nur konnte.
„Dass ihr mir Fallen stellt! Erstens kann das ins Auge gehen ..."
„Ins Auge ist gut", meinte Seppel. „Es ist auf den Hut gegangen. – Und zweitens?"
„Zweitens, beim Teufel und seiner Großmutter, wiederhole ich hiermit, dass ich seit gestern ein friedlicher Bürger bin! Wozu dann der Sandsack, den ihr mir auf den Kopf fallen lassen wolltet – auf meinen guten, alten, ehemaligen Räuberkopf?"