Hotzenplotz nieste zum dritten Mal, Seppel hatte ihm rechtzeitig Kasperls Bettdecke über den Kopf geworfen.
„Du hörst ja, es lässt schon nach."
„Wie du meinst, Kasperl."
Großmutter wünschte ihm gute Besserung. Die Freunde warteten, bis sie die Treppe hinuntergestiegen war und die Wohnstubentür hinter sich geschlossen hatte; dann befreiten sie ihren Gast von der Decke.
„Das Schnupfen sollten Sie sich von jetzt an verkneifen, Herr Hotzenplotz!", sagte Kasperl. „Kein Mensch darf erfahren, dass Sie in diesem Haus sind – nicht einmal Großmutter!"
Hotzenplotz war zerknirscht.
„Von jetzt an", versprach er den Freunden, „sollt ihr mal hören, wie furchtbar leise ich sein kann, zum Donnerwetter!"
Er ballte die Faust – und wäre Seppel ihm nicht in den Arm gefallen, so hätte er zur Bekräftigung auf den Tisch gehauen.
„Gehen wir lieber schlafen!", schlug Kasperl vor.
Seppel und er krochen in die Betten, für Hotzenplotz war auf dem Sofa Platz.
„Es wird Ihnen hoffentlich nicht zu kurz sein?"
„Im Gegenteil! Nur meine Beine sind etwas zu lang dafür, aber das tut nichts. Bis morgen also!"
„Bis morgen, Herr Hotzenplotz!"
Eine unruhige Nacht
Kasperl machte das Licht aus. Er legte sich auf den Rücken, verschränkte die Arme im Nacken und dachte nach. Wenn sie versuchen wollten, Herrn Dimpfelmoser von Hotzenplotz' Unschuld zu überzeugen, mussten sie schleunigst herausbekommen, was mit der magischen Kugel geschehen war.
„Gleich nach dem Frühstück gehen wir zu Frau Schlotterbeck", nahm er sich vor. „Wenn wir Glück haben, finden wir etwas in ihrem Haus, das uns weiterhilft ..."
Über solchen Gedanken schlief Kasperl ein und begann zu träumen. Er sah sich im Traum durch Frau Schlotterbecks Garten gehen. Von Wasti begleitet, kam ihm die Witwe entgegengeschlurft: im Morgenrock und in Filzpantoffeln, mit Lockenwicklern im Haar und, wie konnte es anders sein, eine dicke Zigarre im Mund.
Sie paffte so wild drauflos, dass der Qualm immer dichter wurde, bis sie mit Wasti darin verschwand. Dann fegte ein Windstoß den Rauch davon – und o Wunder: Frau Schlotterbeck hatte sich in die Fee Amaryllis verwandelt! In all ihrer goldenen Pracht und Herrlichkeit stand sie vor Kasperl und winkte ihm mit der Hand.
Von Wasti war weit und breit nichts zu sehen.
Ein kleiner Feuer speiender Drache ringelte sich zu Füßen der Fee im Gras. Er blähte die Nüstern und rollte die Augen. Dann und wann brach er in ohrenbetäubendes Fauchen und Pfeifen aus.
Kasperl verschwendete keine Zeit darauf sich zu wundern.
„Das trifft sich ja ausgezeichnet!", rief er. „Sie wissen nicht zufällig, wer Frau Schlotterbecks Kugel gestohlen hat?"
Leider konnte die Fee ihm das auch nicht sagen.
„Ich weiß aber etwas anderes", meinte sie.
„Was denn?"
„Ich weiß, was ihr tun müsst, um Wasti von seiner Missgestalt zu erlösen."
„Im Ernst?", staunte Kasperl.
Die Fee Amaryllis nickte ihm freundlich zu.
„Gebt ihm von einem bestimmten Kraut – und alles wird gut sein."
„Von welchem Kraut?", wollte Kasperl wissen.
„Du kennst es, mein Lieber. Ich brauche dir bloß ein einziges Wort zu sagen – gib Acht ..."
Bevor sie den Satz vollenden konnte, schnaubte der Feuer speiende Drache so grässlich auf, dass Kasperl davon erwachte: Hotzenplotz schnarchte auf seinem Sofa, als wollte er einen ganzen Eichenwald kurz und klein sägen.
Großmutter, die einen leichten Schlaf hatte, kam an die Tür gelaufen und klopfte.
„Aufwachen, Kasperl! Willst du mich um den Verstand schnarchen?"
„Ich?", fragte Kasperl.
„Dann muss es der Seppel sein! Hast du ihn etwa mit deinem Schnupfen angesteckt?"
„Schon möglich, Großmutter. Wundert dich das vielleicht?"
„In diesem Hause wundert mich bald überhaupt nichts mehr", sagte Großmutter. „Kannst du mir bitte verraten, wie man bei dem Geschnarche schlafen soll?"
„Du könntest dir ja die Ohren mit Watte voll stopfen", meinte Kasperl. „Oder du nimmst ein Schlafmittel. Hast du nicht Baldriantropfen im Küchenschrank?"
„Baldriantropfen? – Gut, ich versuche es mal damit. Wenn es Seppel bis morgen nicht besser geht, muss der Doktor her."
Kasperl war froh, als er hörte, wie Großmutter sich entfernte. Auch er hätte Baldriantropfen nötig gehabt, denn Hotzenplotz schnarchte lustig weiter.
Worauf hatten Seppel und er sich da eingelassen!
Kasperl hielt sich die Ohren zu. Es glückte ihm mit der Zeit, wieder einzuschlafen – doch leider erschien ihm die Fee Amaryllis kein zweites Maclass="underline" Und er hätte doch gar zu gern noch von ihr gehört, welches Kraut sie gemeint hatte.
Gut versteckt
Es musste wohl an den Baldriantropfen liegen, weil Großmutter sich am anderen Morgen weder vom Rasseln des Weckers stören ließ, noch vom Klingeln der Zeitungsfrau. Den Freunden war es nur recht, dass sie heute länger ausschlief als sonst.
Zum Frühstück setzten sie Hotzenplotz zwölf gebratene Eier vor. Hernach packte Kasperl ein Brot für ihn ein, ein Stück Speck, ein Stück Käse und eine geräucherte Kümmelwurst.
„Damit Sie uns nicht verhungern, Herr Hotzenplotz – und jetzt kommen Sie bitte, wir müssen Sie umquartieren. Wenn Seppel und ich aus dem Haus gehen, könnte es sein, dass Großmutter Sie hier oben entdeckt."
„Wieso?"
„Weil sie jeden Morgen heraufkommt, die Betten lüftet und alles aufräumt."
„Dann werde ich eben so lange im Schrank verschwinden", schlug Hotzenplotz vor.
„Da kennen Sie Großmutter aber schlecht! Einen Blick in den Schrank tut sie allemal."
„Und wenn ich mich unterm Sofa verkrieche?"
„Dort stöbert Sie Großmutter mit dem Besen auf, wenn sie ausfegt."
Hotzenplotz stieß einen Fluch aus.
„Großmutter wird mir langsam unheimlich! Habt ihr denn keinen Winkel im ganzen Haus, wo man vor ihr sicher ist?"
Kasperl und Seppel führten ihn in den Kartoffelkeller.
„Heute ist Freitag", erklärte Kasperl. „Da gibt es zu Mittag bei Großmutter Apfelstrudel mit Zimt und Zucker."
„Was hat das mit mir zu tun?"
„Mehr als Sie glauben, Herr Hotzenplotz!"
Kasperl hatte sich alles genau überlegt.
„Weil man zum Apfelstrudel keine Kartoffeln braucht, wird es Großmutter heute bestimmt nicht einfallen in den Kartoffelkeller zu gehen. Ist das nicht klar wie Schuhwichse?"
Hotzenplotz war nicht gerade erbaut von dem neuen Versteck. Es war finster hier unten und kühl – und wie muffig roch es in diesem Kellerloch! „Wenn ich wenigstens ab und zu eine Prise Schnupftabak nehmen könnte ..."
„Bloß nicht, Herr Hotzenplotz!"
Kasperl wehrte mit beiden Händen erschrocken ab.
„Essen Sie lieber von Zeit zu Zeit ein Stück Brot und ein bisschen Speck – oder schnuppern Sie an der Kümmelwurst! Es dauert ja höchstens bis heute Abend!"
„Wenn Großmutter aber trotzdem kommt?"
„Dann kriechen Sie unter die leeren Kartoffelsäcke und tun keinen Mucks – dort wird niemand nach Ihnen suchen."
„Ist gut", brummte Hotzenplotz. „Haltet ihr mir den Daumen?"
„Das sowieso!"
Kasperl und Seppel schlossen den Keller von außen ab. Sie holten den Gartenschlauch aus dem Schuppen und setzten die Wege um Großmutters Haus unter Wasser: Selbst Wasti mit seiner Spürnase sollte nicht merken, dass Hotzenplotz in der Nähe war.
Dann legten sie einen Zettel aufs Küchenfenster: