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Und so was war auf vierzig Einsätzen und hat Monte Cassino und Saint Lô überlebt, dachte Jakob. Es sind immer die Guten, Gescheiten, die es erwischt. Trottel wie der da, die haben ihren eigenen Schutzengel!

Er sprach jetzt immer schneller: »Und was, glauben Sie, hat man als Nährboden für die Erreger benützt?«

»Was … was, Formann?«

»Eier, Sir. Hühnereier, Sir. Angebrütete Hühnereier!«

»Good God Almighty!«

Jetzt muß ich von Eiern im allgemeinen reden, dachte Jakob. Einmal von Enteneiern, dann von Eiern an sich. Sonst kommt der Trottel noch dahinter, daß die Amis ja nicht gerade vierzigtausend angebrütete Eier rüberschicken, weil sie unbedingt eine Monsterepidemie auslösen, sondern weil sie armen Bauern helfen wollen! Was denn, Ei ist Ei! Und je mehr Lametta einer trägt, desto dämlicher ist er. (Scheint die Regel zu sein. Habe ich auch bei uns den ganzen Krieg über beobachten können.)

»Nun stellen Sie sich vor, Sir, in so einem Entenei sind Fleckfieber-Erreger! Und es kommt unter die Leute!«

Der Colonel bewegte nur stumm die Füße hin und her.

»Die Folgen sind nicht abzusehen, wie?« hetzte Jakob. »Die Seuchen, die Epidemien! Die armen Toten! Vierzigtausend Eier« (jetzt sage ich einfach nur noch Eier!) »kommen da gerade runter … Vierzigtausend bebrütete Eier! Damit können sie halb Europa ausrot …«

»Hören Sie auf, Formann! Das ist ja grauenvoll!«

»Eins-acht-eins! Sie sind jetzt dreihundert Fuß unter Gleitpfad. Bringen Sie Ihre Maschine hoch … Sie nähern sich jetzt dem Gleitpfad …«

Ich muß noch schneller sprechen, dachte Jakob selig. Enteneier, Hühnereier, Hühnereier, Enteneier, der Kerl darf überhaupt nicht mehr wissen, wo ihm die Eier … wo ihm der Kopf steht! Noch zehnmal hin und her, und der Colonel ist fix und fertig.

»Ich will wahrhaftig nicht in Panik machen, Sir«, log Jakob. »Aber nach dem, was ich da in Krakau mitgekriegt habe, bin ich allergisch gegen Eier!

Angebrütete besonders! Und aus vielen Eiern, die da ankommen, sind sogar schon Küken gekrochen. Falls es – Gott soll es verhüten! – eine Riesenepidemie unter GIs und Zivilisten gibt …«

»Bitte, Formann, bitte! Wenn das wahr ist …«

»…dann wird man natürlich den Verantwortlichen suchen und ihn zur Rechenschaft ziehen! Und das mit Recht«, fuhr Jakob unerbittlich fort. »Sie wußten es nicht, Sir, das mit den Eiern. Es war nur Christenpflicht, Sie aufzuklären!« Verflucht, wenn wir schon den Krieg verloren haben, weil wir so blöd waren, ihn anzufangen, statt an die Vernunft zu glauben, warum soll ich dann meinen Krieg nicht gewinnen?

Der Colonel sah Jakob starr an.

Nanu, der wird doch nicht wider Erwarten Verstand haben? dachte Jakob entsetzt.

Der Colonel fuhr hoch, schlug einem der drei schwer arbeitenden Fluglotsen auf die Schulter und brüllte: »Veterinary Branch, aber sofort!«

»Eins-acht-eins! Sie gehen jetzt über den Gleitpfad … Halten Sie Ihre Sinkgeschwindigkeit ein …!«

»Veterinary Branch, Sir?«

»Stellen Sie eine Verbindung her, oder ich schieße Sie über den Haufen, Mann!« tobte Hobson. Er mißtraut mir also nur und will Gewißheit haben, dachte Jakob, und ihm war mau. Wenn der Mann von der Veterinary Branch nun einen Lachkrampf kriegt, bin ich vierzigtausend Eier los. Schwermut überkam ihn. Grundlos. Denn als der mit dem Tode bedrohte Lotse eine Verbindung hergestellt hatte, hörte Jakob zu seiner grenzenlosen Erleichterung Colonel Hobson in die Telefonmuschel brüllen: »… Ihre Antwort sei ja oder nein, kein Herumgerede, Captain Robbins! Ich frage Sie noch einmaclass="underline" Sind vierzigtausend mit Fleckfieber-Erregern infizierte angebrütete Eier lebensgefährlich?« Der Herr sei gelobt für die Produktion von Idioten, dachte Jakob und wischte sich Schweiß von der Stirn. Veterinär-Offizier Robbins brüllte so laut zurück, daß Jakob seine Stimme hörte.

»Sie sind besoffen, wie?«

»Was erlauben Sie sich, Mann?«

»Nicht zu fassen …«

»Antworten Sie mir augenblicklich, oder ich bringe Sie vor ein Kriegsgericht! Bei mir landen gerade vierzigtausend solche Eier!«

»Bei Ihnen … Allmächtiger im Himmel!« ertönte ein Stöhnen. »Also sie sind gefährlich?« keuchte Hobson.

»Gefährlich? Lebensgefährlich! Vernichten! Vernichten! Vernichten!« kreischte es aus der Membran des Hörers. »Jesus Christ, da fragt der Mann, ob solche Eier gefährlich sind!«

»Man wird doch noch fragen dür …«, begann Hobson. Da hatte der Gesprächspartner schon den Hörer in die Gabel geknallt.

Colonel Hobsons Antlitz war weiß wie Schnee.

So ist das Leben, dachte Jakob voll wilder, aber stiller Begeisterung. Gott, ich danke Dir dafür, daß Du auch Volltrottel geschaffen hast.

Der Volltrottel stierte ihn an und flüsterte mit feuchten Augen: »Sagen Sie mal, Formann, wie heißen Sie mit dem Vornamen?«

»Jakob.«

»Darf … darf … darf ich Jake und du zu Ihnen sagen?«

»Meinetwegen.«

»Aber du mußt Peter zu mir sagen!«

»Okay, Peter.«

»Niemals werde ich dir das vergessen, Jake. Niemals, hörst du?«

»Hab’s gehört, Peter.«

»Glaub mir das, Jake!« (Ich glaub’s dir aufs Wort, dachte Jakob.) »Mein Gott, warum hast du auf der anderen Seite kämpfen müssen? Einen Mann wie dich … einen Mann wie dich, Jake, hätte ich mir in meinem Offizierskorps gewünscht!«

»Danke, Peter.«

Der Colonel erhob sich federnd und sprach mit gepreßter Stimme: »Ladung wird sofort ausgeladen und verbrannt, alles klar?«

Jakob sah zu den anderen.

Die anderen sahen, wie die riesige ›Fliegende Festung‹ zur Landung ansetzte. Nur Tommy, der Lotse mit dem Kinderkaugummi, sah Jakob an. Und kniff wieder ein Auge zu.

Jakob trat schnell zu ihm.

Tommy flüsterte: »Ich spreche Deutsch – aber das weiß keiner.«

»Und?«

»Und außerdem studiere ich Biologie.«

»Mit zehn Prozent bist du dabei«, flüsterte Jakob.

»Mit zwanzig.«

»Mit fünfzehn.«

»Okay, mit fünfzehn, Jake«, flüsterte Tommy und blies seinen Gummi so weit auf, daß er platzte. Im gleichen Moment hatte die ›Fliegende Festung‹ Bodenberührung und schoß mit den radierenden Pneus ihrer Räder über die seit langem beleuchtete Landebahn.

Es war genau 18 Uhr 58.

Es war ein historischer Augenblick: der Beginn von Jakob Formanns meteorhafter Karriere.

7

Der Hase mußte sich an seinem Fahrrad festhalten und dreimal ansetzen, bevor er flüsterte: »Vierzigtausend?«

»Ja«, sagte Jakob mit einem freundlichen Blick seiner tiefdunklen Augen.

»Und du radelst sofort weiter nach Theresienkron und alarmierst sämtliche Bauern. Sie sollen sich darauf vorbereiten, daß die vierzigtausend kommen – im Lauf der Nacht!«

»Aber das ist doch Diebstahl, Bärchen!« sagte der Hase.

»Jetzt gilt Moral nur für die Sieger!«

»Da hast du natürlich auch wieder recht«, sagte der Hase.

Das Gespräch zwischen dem Bären und dem Hasen fand außerhalb des Fliegerhorsts statt, neben dem oben stromgeladenen Stacheldrahtzaun. Gleißendes Licht warfen Scheinwerfer über das ganze Gelände, über Tower, Hangars, Mannschaftsunterkünfte und draußen, weit entfernt, am Ende einer Landebahn, über die ›Fliegende Festung‹. Denn da in der Nähe, auf einem Flecken ausgedörrten Ackers, sollte nun auf Befehl des Colonel Hobson die gesamte Fracht der Eins-acht-eins mit Benzin übergossen und verbrannt werden.

Der Hase war schlank, hatte aufregende Kurven genau dort, wo sie hingehören, außerdem rehbraune Augen mit langen Wimpern und braunes Haar. Der Hase hieß Julia Martens. Er trug ein kornblumenblaues Kleid mit weißen Abnähern und weiße Schuhe. Der Hase hatte am 3. November 1946 nur ein einziges Kleid und ein einziges Paar Schuhe. Sonst besaß er noch selbstgefertigte, einigermaßen abenteuerlich aussehende Hosenanzüge. Und für seinen Bären hatte der Hase einen ebenso abenteuerlichen Anzug genäht. Derselbe war jedoch so beschaffen, daß Jakob – Multimillionär von 1965 – doch lieber in seinen eingefärbten Sachen herumlief. Im übrigen ist es jedermann bekannt, daß Verliebte sich zärtlich Tiernamen geben. Und Julia, genannt Hase, und Jakob, genannt Bär, liebten einander.