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Als Jakob das nächste Mal Mojshe traf, hatte der Mann, der alles wußte, folgendes mitzuteilen: »Natürlich ist das Interesse an Hühnern in unserer Familie erhalten geblieben. Zu Hause« (er meinte: in Amerika) »hat man gerade festgestellt, daß Hennen besser legen, wenn Schlagermusik ertönt!«

»Blödsinn.«

»Gar kein Blödsinn, Jake! Frankie-Boy haben sie am liebsten! Das habe ich erst vorige Woche in STARS AND STRIPES gelesen. Schau maclass="underline" Bei uns in den großen Warenhäusern gibt es längst Dauerberieselung mit Fumu.«

»Mit was?«

»Funktioneller Musik. Die versetzt die Kunden in die rechte Kaufstimmung. Vor ein paar Jahren haben verschiedene Forscherteams so ein Fumu-Experiment auf Hühnerhöfen gemacht. Zwei Gruppen von Hennen getrennt, A und B. A keine Fumu. B dauernd Fumu.«

»Na und?«

»Was ich dir sage, Jake! Mittlere Werte: Unter Musikberieselung lebende Hennen haben in hundertfünfundvierzig Tagen neunhundertfünfzig Eier gelegt – hundertfünf mehr als die, die schlagerlos gelebt haben. Wie gesagt, vor allem Frank Sinatra macht müde Hennen munter! Du mußt dir unbedingt alle seine Platten besorgen und einen Plattenspieler. Viele Plattenspieler!«

»Woher?«

»Mojshe wird sehen. Mojshe wird organisieren. Mojshe weiß auch schon, wo er Platten und Plattenspieler organisieren wird!«

»Nämlich?«

»Nämlich Mojshe hat Freunde beim ›Blue Danube Network‹!« (›Blue Danube Network‹ war das österreichische Gegenstück zum ›American Forces Network‹, kurz AFN, in der US-Zone Deutschlands.) »Das nächste Mal, wenn ich frei habe und nach Wien komme, schau ich mich da mal um …«

Stunde um Stunde verrann.

Langsam leerte sich der Riesenrumpf des ehemaligen Bombers. Zahlreiche Küken wurden in diesen Stunden geboren. Die Bodenmannschaft, die das Feuerchen unterhielt, zeigte sich immer ausgelassener. (Sechs Flaschen Bourbon!) Ist doch schön, wie allen die Arbeit von der Hand geht, dachte Jakob, als er wieder einmal an der Brandstelle vorüberrumpelte.

Gegen drei Uhr früh war er gerade neuerlich beim Beladen, da schlenderte der Fluglotse Tommy Lewis heran. Er fühlte – Biologiestudent! – Verantwortung. »Sehr wichtig! Noch etwas, was du noch nicht wissen wirst. Und du mußt jetzt eine Menge wissen!« Jakob nickte gramvoll. Das war ihm schon selber klargeworden. »Die Futteraufnahme bei Hühnern ist komplizierter, als du denkst. Versuche haben erwiesen, daß Hennen im Vergleich zu Hähnen eine wesentlich höhere Pickgenauigkeit haben.«

»Sag das noch mal!«

»Ja, ich weiß, da muß man eine höllisch präzise Aussprache haben. Pickgenauigkeit! Und zwar ergeben sich die Probleme aus dem nur schwach entwickelten Bewegungsapparat der Hühneraugen!«

»Aha.«

»Das Huhn richtet immer abwechselnd ein Auge auf das entdeckte Korn und ermittelt so die Entfernung. Dann kommt es zu einer Reflexbewegung, die die Wissenschaftler ›Pickschlag‹ nennen. Der ›Pickschlag‹ erfolgt aus einer Entfernung von ein bis drei Zentimetern. Kannst dich drauf verlassen. Ich vergesse nie eine Zahl.«

»Weiß ich.«

»Na ja, und die Pickgenauigkeit bei den Hennen liegt zwischen achtundvierzig und zweiundneunzig Prozent. Die Hähne müssen ihre Hälse bis zum Sattwerden viel öfter senken. Bei ihnen beträgt die Treffsicherheit nur vierzehn bis zweiundfünfzig Prozent.«

11

Ein neuer Tag hatte längst begonnen, eine schwache Herbstsonne war aufgegangen (um 7 Uhr 19), als die große Operation beendet war, als vierzigtausend Küken – alle waren sie mittlerweile ausgekrochen – zum erstenmal Speis und Trank erhalten hatten. Die Brutmaschinen strahlten behagliche Wärme auf die lieben Kleinen, der Generator am Bach lief mit voller Kraft. Auf die Bauernhöfe von Theresienkron verteilt, schliefen vierzigtausend Küken sowie neunhundertsiebenundachtzig von insgesamt neunhundertneunundachtzig Einwohnern des winzigen Ortes. Die zwei, die noch nicht schliefen, waren Jakob und sein Hase. Sie kamen als letzte in ihre Wohnung im Haus der guten Frau Luise Pröschl, denn sie hatten bis zum letzten Augenblick darüber gewacht, daß keine verräterische Spur auf den plötzlichen Reichtum der armen Leute von Theresienkron hinweisen konnte.

Um 7 Uhr 49 betraten sie ihr Heim.

»Das hast du großartig gemacht, Hase«, sagte Jakob lobend. »Und ich danke dir.«

Julia fiel ihm leidenschaftlich um den Hals und rief: »Und du hast es auch großartig gemacht, Bärchen, und ich liebe dich so!«

»Mmmm«, machte er animiert. Julia hatte den Namen Hase erhalten, weil sie sich so weich anfühlte und alles anknabberte. (Im Augenblick Jakobs Unterlippe. Das klingt harmlos, aber sie hatte ja erst begonnen.) »Mmmmm-mmmm«, machte Jakob wieder. Er hatte den Namen Bär nicht nur erhalten, weil er bei bestimmten Tätigkeiten brummte, sondern auch noch auf Grund anderer Aktivitäten, welche die schöne Leserin, der kluge Leser sich selber ausmalen mögen.

»Weißt du, Bärchen«, sagte der Hase, »ich denke, daß wir jetzt, zur Feier des Tages, ein schönes, warmes Bad nehmen und dann … und nachher können wir bis zum Nachmittag schlafen, und wenn wir aufgewacht sind, zu unseren vierzigtausend Kleinen gehen. Was hältst du von meiner Idee?«

»Mmmmm!!!« machte Jakob. Dann fiel ihm etwas ein. »Wir haben aber doch kein warmes Wasser!«

Der Hase senkte züchtig den Kopf und bekannte: »Ich habe die liebe Frau Pröschl gebeten, daß sie uns in der Badestube einen großen Bottich mit heißem Wasser füllt. Sie hat’s getan, bevor sie schlafen gegangen ist, ich habe nachgesehen. Bärchen, Bärchen, wohin rennst du? … Warte doch auf mich … Ich will doch mit dir zusammen … Gott, hat der Bär es eilig!«

12

»Don’t know why, there’s no sun in the sky! Stormy weather! Since my man and I ain’t together, it keeps raining all the time …«, ertönte die aufregend heisere Stimme der berühmten schwarzhäutigen amerikanischen Blues-Sängerin Lena Horn. Es stimmte übrigens gar nicht! Im Gegenteil, da war eine Sonne am Himmel, keine Rede von stürmischem Wetter, keine Rede davon, daß es unentwegt regnete, und schon gar keine Rede davon, daß Julia und ihr Mann nicht zusammen waren. Mehr zusammen als der Hase und der Bär konnten zwei Menschen auf dem Bett mit den rot und weiß karierten Decken überhaupt nicht zusammensein! ›Stormy weather‹ war nun aber einmal des Hasen und des Bären Lieblingslied, und sie spielten es immer, wenn sie so sehr zusammen waren, wie ein Mann mit einer Frau nur zusammen sein kann. (Vorausgesetzt, eine Steckdose für den uralten Plattenspieler befand sich in der Nähe, natürlich. Wenn sie im Wald und auf der Heide da suchten ihre Freude, mußten sie ohne das Lied auskommen. Deshalb blieben sie so gern zu Hause.)

»…stormy weather! Just can’t keep my thoughts together …«

Mit jeder Sekunde fiel es auch Jakob und Julia schwerer, ihre Gedanken zusammenzuhalten.

»Bärchen, mein geliebtes Bärchen …« Der Hase strich zärtlich über des Bären tiefdunkles Haar.

»Ach, Hase, Hase …«

»…I’m weary all the time … the time … so weary all the time …«

Draußen trampelten schwere Schuhe die Holztreppe herauf. Die beiden hörten nichts davon.

»…since he went away, cold fear walked in to wreck me! If he stays away ol’ rockingchair will get me …«

Draußen trommelten Fäuste gegen die Tür.

Die beiden hörten nichts. Sie waren zu sehr bei der Sache.

»Formann!« schrie eine Männerstimme. Englisch. »Jake Formann, gottverflucht noch mal! Machen Sie auf!«

»Da will mich wer sprechen, Hase.«