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»Sagen Sie mal, wie reden Sie eigentlich mit Ihrem Befreier?«

»…kennt außer dem Hybrid-Huhn auch noch das Hybrid-Schwein, den Hybrid-Weizen und den Hybrid-Mais …« Professor Donner hielt seine Antrittsrede im größten Schweinestall des größten Bauern von Theresienkron. Seine Zuhörer standen, lehnten und hockten dicht gedrängt auf Stroh oder Schweinetrögen und lauschten begierig jedem Wort. Sie mußten doch mit der Materie vertraut werden! Gewiß, man hielt Hühner. Aber doch nur die ganz gewöhnlichen Mistkratzer! Nun aber ging es um kostbare Hybrid-Hühner! Viele Anwesende machten sich Notizen. Auch Jakob hörte jetzt aufmerksam zu. Schließlich war es pures – toi, toi, toi! – Gold, das da über Donners grimmige Lippen floß!

Im Anschluß an die Donner-Worte sprach Jakob. Er informierte die Zuhörer über alles Geschehene und Geplante, rief jedermann zu größtem Fleiß und größter Anstrengung auf und machte dann – am 4. November 1946! – als erster Westeuropäer einen Vorschlag, der damals in einer knappen Viertelstunde akzeptiert wurde, während er überall sonst in Westeuropa noch heute, dreißig Jahre später, auf heftigsten Widerstand stößt. Jakob Formann schlug vor, aus Theresienkron ein ›Kollektiv‹ zu machen. Nach kommunistischem Vorbild, inmitten einer kapitalistischen Zone. Hier sollten alle im Besitz der Produktionsmittel sein! Niemand sollte eigenwillig handeln dürfen! Gewinnausschüttung des Unternehmens: jedes halbe Jahr. Ein fünfköpfiger Vorstand, darin Professor Donner, Julia Martens und Jakob Formann; Verkaufs-und Verhandlungsbeauftragter mit Abnehmern: Jakob Formann. Alle Rechte für weitere Unternehmen, Filialen, Zweigstellen und dergleichen vorbehalten 1946 by Jakob Formann. Der Hochwürdige Herr Pfarrer (die ihm zugeteilten Hühner hatte er im Windschatten an der Rückseite des Kirchleins untergebracht) leitete die Abstimmung. Ergebnis: hundert Prozent Ja-Stimmen. (Noch besser als unter Hitler und Stalin!) Hochwürden, der eine besonders schöne Schrift besaß, nahm alles zu Protokoll.

Und dieses Protokoll, ein ebenso denkwürdiges wie wertvolles Schriftstück, verwahrten sie zuletzt in einer eisernen Kassette, die der guten Frau Pröschl gehörte. Es war eine schwere Kassette, und man konnte sie nur mit zwei Schlüsseln öffnen.

15

»Heinrich hat stets nur auf meinen Rat gehört und stets nur meinen Rat gesucht«, sagte Donner dieses Abends später vollen Mundes zu Jakob und Julia, bei denen er Unterschlupf gefunden hatte. (Die Wohnung war groß genug.) Der Hase hatte als Vorspeise dünne, wohlschmeckende Oblaten, bestrichen mit einem Saucenfleisch, dessen Rezept Mojshe Faynbergs Geheimnis war, serviert. »Gesegnete Mahlzeit, Herr Professor, ich bringe die Mazzes!«

»Was für ein Heinrich?« fragte Jakob.

»Heinrich Himmler«, antwortete Donner, während Jakob die Mazzes aus dem Munde fielen, »der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei!«

»Inwiefern hat dieser Scheißhund – entschuldige, Hase! – auf Ihren Rat gehört?« lärmte Jakob. »Und auf was für einen Rat? Haben Sie dem Reichsheini vielleicht auch geraten, mit seinen verbrecherischen Ausrot …«

Der Professor fiel ihm empört ins Wort.

»Niemals! Wofür halten Sie mich? Mein Chefkonstrukteur bis 1933 – gut, ein Jude, aber sonst ein hochanständiger Mensch! – war einer meiner besten Freunde! Schlimm, grauenvoll, was da passiert ist … Könnte ich noch ein wenig von dieser vorzüglichen Speise haben, liebe gnädige Frau?«

»Aber gerne«, sagte der Hase und legte nach. »Nicht zuviel, Herr Professor, nachher gibt es noch Schaschlik. Und meine Mutter war Russin.«

»Ein wundervolles Volk, die Russen!« schwärmte der Professor, während er wie ein reißender Wolf über die neue Portion Mazzes herfiel. »Dieses Ertragenkönnen von Leiden … Diese Helden der Roten Armee …« Jakobs Schläfe begann zu pochen.

»Auf welchem Gebiet hat Himmler also auf Sie gehört?«

»Auf dem Gebiet der Hühnerzucht.« Donner hob die Brauen. »Ja, haben Sie denn nicht gewußt, daß der Reichsfüh … äh, daß dieser Kriegsverbrecher Hühner gezüchtet hat?«

Der Bär und der Hase starrten Donner an wie vom Donner gerührt. »So ist es. Natürlich, das wissen nur wenige.« Der Professor nickte eifrig. »Heinrich wollte … er war doch Rassenfanatiker, nicht wahr … also er wollte mehr als Rassehühner. Er wollte das Herrenrassehuhn züchten. Gott, was haben wir herumexperimentiert auf seinem Hof in Waldtrudering …«

»Wo?«

»In Waldtrudering bei München.«

»Himmelherrgott, da hat das Schwein Hühner gezüchtet?«

»Er und seine Frau Marga. Ach ja, lang ist’s her. Dann ist die Marga weggezogen, oder er hat sie rausgeschmissen, ich weiß es nicht.«

»Gibt’s ihn noch?«

»Er hat sich doch umgebracht!«

»So, und jetzt kommt das gute Schaschlik …«

»Nicht den Himmler! Den Hof in Waldtrudering natürlich!«

»Ach, riecht das herrlich! Sicherlich gibt’s den noch«, sagte Donner.

»Warum?«

»Weil ich dort unsere erste Filiale eröffnen werde«, antwortete Jakob.

16

»Wissen Sie, wie ich Sie nenne, Jake?« fragte General Mark Clark.

»Nein, Herr General«, sagte Jakob interessiert. »Wie denn?«

»Ich nenne Sie den ›Mann, der immer rennt‹! Warum rennen Sie so, Jake?«

»Ich weiß nicht«, antwortete unser Freund verlegen. »Ich will gar nicht rennen. Es rennt sich mir sozusagen von selber!«

Hier log Jakob Formann: Er wußte sehr wohl, warum er so rannte. (»Nun, deutsches Volk, gib mir die Zeit von vier Jahren und dann urteile und richte mich!«) Jakob hatte dem Gröfaz sieben Jahre gegeben! Sieben Jahre! Und die wollte er jetzt wiederhaben und mal feststellen, ob er den Krieg wirklich verloren hatte! Wenn man das will, muß man schon rennen! Aber einem amerikanischen General kann man so was nur sehr schwer erklären.

»Ich kapiere es einfach nicht«, sagte der große, schlanke und liebenswürdige Mark Clark. »Hier in Wien sind Sie dauernd gerannt, bis ich Ihnen bei dieser Werwolf-Affäre das Leben retten mußte. Vorher sind Sie gerannt – mit der ganzen Roten Armee am Schwanz.« (Damit spielte der General auf die selbstherrliche Weise an, in welcher Jakob – mit einer Dame natürlich! – sich und hundertfünfzig Kameraden aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und von einem Lager namens Opalenica, welches sich unweit der großen Stadt Poznan – früher Posen – befand, durch Deutschland, Böhmen und Österreich bis nach Wien ›gerannt‹ war.) »Kaum in Hörsching«, fuhr der General fort, »sind Sie hinter vierzigtausend Eiern her, und jetzt habe ich Sie schon wieder nach Wien einfliegen lassen müssen im Kurierflugzeug, weil es keinen Landweg für Sie gibt. Die Sowjets lachen zwar sehr über Sie, sie möchten Sie aber auch ganz gerne erwischen für das, was Sie bei ihnen angestellt haben. Immer noch nicht genug: Jetzt jagen Sie auch mich seit Wochen mit diesem verrückten Eierprojekt für ganz Österreich und für Deutschland dazu! Mein Freund General Lucius Clay hätte mir fast den Kopf abgerissen, als ich ihm in Berlin Ihre irren Vorschläge unterbreitet habe.«

»Diese Vorschläge sind in keiner Weise irre, Herr General! Sie haben Hand und Fuß und sind bis ins letzte ausgearbeitet! Kleine Kinder wissen überhaupt nicht, was das ist, ein Ei!«

»Okay, okay, nun geben Sie schon Ruhe! Nachdem Sie mir von Ihren himmelstürmenden Plänen am Telefon erzählten, habe ich sie bei unserem nächsten Treffen in Berlin auch Lucius und McNarney vorgetragen.«

»Und?«

»Und nach dreistündigem Gefluche waren die Herren einverstanden!«

»Jiii – pppiiieee!« schrie Jakob.

»Noch ein bißchen lauter«, sagte Clark. »Dann kommen gleich die Sowjets über den Gang und nehmen Sie hopp und fragen Sie, was aus den hundertfünfzig Deutschen und dem Sergeanten Wanderowa geworden ist.« General Mark Clark war amerikanischer Stadtkommandant der Viermächtestadt Wien. Seine Diensträume hatte er im Palais Auersperg, in dem die drei anderen Mächte gleichfalls ihre Büros hatten.