Na, es wird schon noch, es wird schon noch, dachte Jakob zuversichtlich. Sie ist eben ein besonders unschuldiges, besonders unerwecktes Geschöpf. Aber ein bißchen traurig machte ihn dieser Zustand.
Und golden glänzte das Mittelmeer …
»Darling«, sprach Natascha zärtlich, »ich weiß wohl, was in dir vorgeht. Ich bin eine Frau, die weiß, was in jedem Mann vorgeht, der mich sieht. Ich höre alles, ich bemerke alles, ich sehe alles. Aber eine Dame spricht nicht über derlei. Eine Frau, eine wirkliche Frau, weiß Bescheid über die geheimsten Gefühle eines Mannes – doch sie schweigt über sie … wie über ihre eigenen …« (Hier hätte Natascha vermutlich von Misaras eine hinter die hübschen Ohren bekommen!)
Jakob war ergriffen.
»Soll das heißen, daß du doch …«
»Sehnsucht ist mehr als Erfüllung. Mußt du immer alles durch Worte zerstören? So etwas fühlt man. Oder man fühlt es nicht. Das Wort ist der Tod des Gefühls. Noch ein bißchen mehr Sonnenöl auf den Popo, bitte.«
Jakob war zutiefst erschüttert. Eine Göttin eben! Die Göttin meines Lebens!
»Auch blinde Eile zerstört alles«, sprach die Göttin. »Du darfst nicht blindlings eilig sein, Jake. Niemals. Versprich es mir.«
»Ich verspreche es, Natascha … Und verzeih mir.«
»Natürlich verzeihe ich dir. Aber zerstöre bitte nie unsere wunderbare Zweisamkeit durch perverse Sinnenlust, die du nicht bezähmen kannst. Bezähme sie, wie ich es tue. Versprich mir das.«
»Ich … verspreche es dir, Natascha!«
»Du hast gesagt, du mußt heute nachmittag nach Bonn fliegen, um mit Herrn Arnusch zu sprechen, geschäftlich …«
»Ja, dringend. Warum?«
»Du bist ein so Süßer! Du hast deiner kleinen Natascha doch immer noch jeden Wunsch von den Augen abgelesen …«
»Ja, das stimmt. Hrrm … Wünschst du dir wieder was, Natascha? Sag’ es! So sag’ es doch! Du mußt verzeihen, aber seit dem Pech, wo ich mit den Negern gehabt habe, bin ich ein bissel nervös …«
»Das kann ich nur zu gut verstehen, Liebster. Auf unserer großen Gala, da hattest du doch auch den Prinzen Karl-Heinz von Heydersburg eingeladen, nicht wahr?«
»Den aus der Schwerindustrie, den Multimillionär, ja, warum?«
»Während du in Afrika warst, hat er angerufen. Er wollte dich und mich einladen …«
»Wozu?«
»Zu einer Weltreise. Er hat doch diese herrliche Jacht …«
»Ich habe auch eine herrliche Jacht!« protestierte Jakob.
»Natürlich. Eine herrlichere sogar. Aber du hast doch nie Zeit! Bitte, jetzt mußt du wieder nach Bonn … Deine herrliche Jacht liegt und liegt und liegt. Der Prinz will mit seiner um die Welt reisen. Vier Monate lang. Ich weiß, ich weiß, soviel Zeit hast du nie für mich! Deine Arbeit! Aber ich, Jake, ich bin so oft allein und langweile mich. Und Karl-Heinz … äh, der Prinz hat eine so lustige Gesellschaft eingeladen, dreißig Leute alles zusammen, und wir hätten so viel Spaß, und wenn ich dann wiederkomme, Liebster, dann wird meine Sehnsucht nach dir ganz groß geworden sein …«
Jakob war so aufgeregt, daß er versehentlich den Inhalt eines Fläschchens Sonnenöl auf sein kostbarstes Gut goß.
»Natürlich«, sprach die Göttin, »brauche ich neue Kleider. Ich habe nichts anzuziehen. Die alten Sachen kennt jeder, nicht wahr? Auch meinen Schmuck kennt schon jeder. Da! Ich habe doch gesagt, ich kann alles, was ein Mann in meiner Gegenwart denkt, von seinen Augen ablesen! Ich weiß genau, du wolltest gerade sagen, daß ich neue Kleider und ein bißchen Schmuck brauche! Habe ich recht, Jake?«
»Voll …« Er mußte sich wieder räuspern. »Vollkommen, mein Herz. Du weißt selber am besten, was du brauchst, ich bin nur ein gehetzter, von seinen Geschäften terrorisierter Mann. Du hast doch Vollmacht über mein Konto bei der Chase Manhattan …«
Der Blick ihrer Augen ging ins Leere.
»Natascha!« Keine Antwort. »Natascha! Woran denkst du?«
Das Himmelswesen sprach: »An das Leben, Geliebter.«
»Was ›an das Leben‹?«
»Wie flüchtig es ist … und wie tragisch …«
»Wieso tragisch?«
»Ach, Jake«, seufzte sie. »Denke an Dante …«
»War der auch auf meinem Fest?«
»O Gott. An die ›Göttliche Komödie‹!«
Jessasmariandjosef, jetzt wird die mir auch noch intellell, dachte Jakob entsetzt und fuhr zurück.
»Was für eine Komödie?«
»Die Göttliche. Die hat Dante geschrieben, Alighieri. Dante Alighieri. Der größte römische Dichter. Sein Hauptwerk ist ein Epos in Terzinen« (Allmächtiger, ein was in was? dachte Jakob), »nämlich die ›Divina Commedia‹ – die ›Göttliche Komödie‹. An sie mußte ich eben jetzt denken. An einen bestimmten Gesang daraus.«
»Einen bestimmten wie bitte?«
»Gesang.«
»Hat der denn auch Lieder gemacht, der Dante?«
»Jake!«
»Entschuldige, aber wenn du sagst ›Gesang‹ …«
»Es ist kein richtiger Gesang«, sprach die Barbusige mit einem Blick des Mitleids (auf Jakob sowohl wie auf einen Teil von Jakob, der sich ebenfalls sehr erschrocken zurückgezogen hatte), »es ist ein … das hat doch bei dir alles keinen Sinn … Ich habe an Dante denken müssen, weil mir die Vergänglichkeit alles Wesens gerade so stark zu Bewußtsein gekommen ist … Ich spreche ihn dir vor, diesen Gesang.«
Und Natascha rezitierte:
»Gerade in der Mitte meiner Lebensreise
Befand ich mich in einem dunklen Walde,
Weil ich den rechten Weg verloren hatte.
Wie er gewesen, wäre schwer zu sagen.
Der wilde Wald, der harte und gedrängte,
Der in Gedanken noch die Angst erneuert,
Fast gleichet seine Bitternis dem Tode …«
Stille.
Absolute Stille.
Eine Träne quoll aus dem linken Auge der göttlichen Göttin Natascha.
»Ist das nicht wunderbar?« flüsterte sie.
»Wunderbar«, flüsterte Jakob und küßte ihre entzückenden Fingerspitzen.
Na ja, Hopfen und Malz verloren …
33
»Halt bloß die Goschen, du Trottel«, sprach der fette Arnusch Franzl in der Prachthalle seiner Bonner Residenz verärgert am Abend dieses 8. August 1962, »und untersteh’ dich, mir noch eine Minute lang weiter Vorwürfe zu machen, daß ich schuld bin an dieser Neger-Schweinerei!« (Jakob hatte ihm bereits vier Minuten Vorwürfe gemacht.) »Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!« fuhr der Arnusch Franzl böse fort. »Das, was da in Karania passiert ist, das hätte auch der Einstein nicht voraussehen können.« (Wer ist Einstein? Haben sie den auch reingelegt, die Neger? grübelte Jakob.) »Da rackert man sich ab seit Jahren und zerbricht sich den Kopf und schläft nicht vor Sorgen und Überlegungen hin und her, und alles für dich, und das ist der Dank! Na ja, wie es eben so geht im menschlichen Leben.«
»Herrgott, sei doch nicht gleich so empfindlich!«
»Ich bin sehr empfindlich auf diesem Gebiet, mein Guter«, sagte der Arnusch Franzl. »Ich habe dir geholfen, dein Imperium aufzubauen …«
»Aber das bestreitet doch niemand, mein Bester!«
»… und es zu erhalten …«
»Dafür danke ich dir ja auch, aber man wird doch noch reden dürfen!«
»… was weiß Gott immer schwieriger wird in dieser Zeit.«
»Was heißt: In dieser Zeit? Unsere Betriebe laufen doch so phantastisch wie noch nie!«
»Ja, und wir zahlen auch Steuern so phantastisch wie noch nie. Das heißt«, sagte der Franzl, »wir würden Steuern zahlen so phantastisch wie noch nie, wenn der Arnusch Franzl nicht achtgeben und sich immer wieder was Neues einfallen lassen würde. Du, du bist ja vollauf mit deiner Natascha beschäftigt, du …«
»Franzl, mein Bester?«
»Jakob, mein Guter?«
»Halt sofort das Maul, Franzl, sonst knall’ ich dir eine, über Natascha hast du kein Wort zu verlieren, verstanden?«
»Ach, leck mich doch …«
»Wie ist das mit den Steuern? Was hast du da ausgeheckt?« Jakob lenkte eilig ab und schmierte dem Arnusch Franzl Honig um dessen Mündchen. Der fiel prompt darauf herein. Oder er tat so, als falle er darauf herein.
»Es gibt immer neue Wege«, dozierte er, aus einer riesigen Bonbonniere Konfekt fressend, mit halbvollem Mund. »Man muß am Ball bleiben. Wie es so geht im menschlichen Leben. Die Steuerfahnder schlafen nicht. Willst du nicht auch?« Er hob die Bonbonniere.