Der General saß in einem Fauteuil hinter einem Schreibtisch, neben sich an einer Stange die Fahne der Vereinigten Staaten. Jakob saß in einem Fauteuil vor dem Schreibtisch, neben sich einen Damenregenschirm amerikanischer Machart. (Sehr bunt.) Der Hase und er waren mittlerweile im Linzer PX eingekleidet worden. Jetzt, Ende November 1946, regnete es häufig.
»Es sind also alle einverstanden?« fragte Jakob ehrfürchtig.
»Ja. Ich habe in Berlin einen langen Vortrag darüber gehalten, daß man schließlich und endlich allen Deutschen und Österreichern helfen muß, nicht nur denen in Theresienkron, wohin ein Meschuggener verschlagen worden ist. Sie bekommen alle nötigen Passierscheine, Bevollmächtigungen der amerikanischen Besatzungsmacht und auch ein paar Mark, wenn Sie nach Deutschland fahren. Eine Bedingung allerdings ist dabei.«
»Ojweh.«
»Nix ojweh! Was ich Ihnen jetzt sage, behalten Sie gefälligst für sich. Es ist vertraulich: Die Engländer und wir werden am ersten Januar 1947 unsere Zonen in Deutschland zusammenlegen zur sogenannten ›Bi-Zone‹. Das wird dann eine gemeinsame Verwaltung und ein vereintes Wirtschaftsgebiet geben.«
»Na prima!« Jakob freute sich. »Da kann ich ja bis rauf nach Flensburg fahren!«
»Sie haben nicht ganz verstanden, Jake. Die Bedingung heißt, daß Sie sich verpflichten, zwanzig Prozent des Gesamtanfalls an Eiern, wenn Ihr Laden einmal läuft und die Hennen richtig legen – wann wird das eigentlich sein? …«
»So in sechs, acht Monaten.«
»…also dann verpflichten Sie sich, zwanzig Prozent der Anfallquoten an die britische und die amerikanische Armee zu verkaufen. Unseren Leuten hängt dieses Eipulver schon zum Hals heraus!«
»Wo ist der Vertrag?«
»Hier. Lesen Sie ihn genau durch, Jake!«
»Ich hab’ doch Vertrauen zu den Vereinigten Staaten von Amerika«, brummte Jakob, während er schon unterschrieb.
17
Unter der Rubrik ›Beförderungen‹ in STARS AND STRIPES vom 29. November 1946 findet man dies:
Für außerordentliche Verdienste wurde Full Colonel Peter Milhouse Hobson (Cedar Rapids, Iowa) mit sofortiger Wirkung der zeitweilige Rang (temporary rank) eines Generalmajors verliehen. Generalmajor Hobson, bislang der Befehlshaber des Hörsching Airfield bei Linz (Austria), tritt zum 1. Dezember dieses Jahres seinen Dienst im Hauptquartier der Amerikanischen Streitkräfte in Deutschland, Heidelberg, als Leiter der Kulturabteilung an.
18
»Ich habe immer nur Flugzeuge bauen wollen, die die Menschen in die ganze Welt bringen«, sagte Professor Donner. Er kam gerade vom täglichen Vortrag im Schweinestall. Der Hase kochte. Donner und Jakob saßen im Wohnzimmer, tranken PX-Whiskey und rauchten PX-Zigarren.
»Dann, als der Führer … äh … Hitler an die Macht kam und mich rief, habe ich darauf bestanden, nur Flugzeuge zu bauen, die die Heimat schützen. Aber der Füh … pardon, aber der Hitler hat nur gebrüllt, daß er von mir Maschinen für den Angriff haben will!«
»Und die haben Sie ihm geliefert«, sagte Jakob und nahm einen großen Schluck.
»Sie können leicht reden und ein großer Held sein!« rief Donner aufgebracht. »Sie können keine Flugzeuge bauen! Was glauben Sie, was mir passiert wäre, wenn ich mich geweigert hätte? Ich will aus meinem Herzen keine Mördergrube machen«, fügte er gedämpft hinzu. »Ich war natürlich auch fasziniert von den unbegrenzten Möglichkeiten, die der Hitler mir geboten hat!«
»Tja«, machte Jakob.
»Was heißt ›tja‹?« brauste Donner auf.
»Was gibt’s denn heute abend Gutes, Hase?«
»Kohlrouladen, Bärchen!« erscholl es aus der Küche.
»Ich will wissen, was ›tja‹ heißt!« donnerte Donner. Plötzlich fiel er in sich zusammen und Zigarrenasche auf seine hübsche hellblaue Hose (er war inzwischen auch neu eingekleidet worden im PX) und murmelte ergeben: »Ich verstehe schon, was Sie mit ›tja‹ meinen, Herr Formann. Wissen Sie, was ich jetzt, wo Sie mich aus dem Lager geholt haben, neben meiner Beratertätigkeit als Eierspezialist hier, machen möchte?«
»Was?«
»Häuser bauen! So viele wie möglich!«
»Erst mal können vor Lachen! Es ist doch nichts zum Bauen da!«
»Und ob was da ist!« Donner schlug auf den Tisch.
»Was soll das heißen?«
Professor Dr.-Ing. Dr. phil. Dr. h.c. Dr. e. h. Karl Wilhelm Donner sagte Jakob, was das heißen sollte: Natürlich war die Produktion von Flugzeugen in den letzten Kriegsjahren immer schwieriger geworden. Die Bombenteppiche … Infolgedessen wurden Donners Betriebe verlagert – in stille Bergtäler Österreichs und Bayerns, unter die Erde, in Stollen, Tunnels und Höhlen.
»Jetzt haben wir aber wieder Unterkünfte für unsere Arbeiter gebraucht. Und Baracken für das ganze Material, nicht wahr?«
»Mmmmmm«, machte Jakob, der Bär. In seinem Kopf begannen sich schon viele kleine Rädchen zu drehen.
»Diese Unterkünfte und Baracken mußten schnell zu errichten sein«, erzählte Donner. »In Fertigbauweise! Eins – zwei – drei – und so ein Haus hatte dazustehen! Alles vorfabriziert! In meinem Stab hatte ich einen hochqualifizierten Fachmann für diese Bauten. Herrgott, riechen die Kohlrouladen gut, liebe gnädige Frau! Der Mann heißt Jaschke. Ingenieur Karl Jaschke. Er kam von Christoph und Unmack in Niesky.«
»In wo?«
»Niesky!« Der Professor buchstabierte. »Das ist in der Lausitz. Die einzige Stadt Deutschlands mit einem slawischen Namen, den die Nazis nicht germanisiert haben! Weil diese Stadt nämlich weltbekannt gewesen ist für ihre hervorragenden Tropenbaracken und Fertighäuser!«
»Wie hieß denn Ihr Jaschke vor der Germanisierung?«
»Haben Sie gerne Paprika zu den Rouladen, Herr Professor?«
»Soviel wie möglich! Herrlich! Jaschke.«
»Was, Jaschke?«
»Der Jaschke hieß immer Jaschke. Der ist von dort. Sehr fromme evangelische Bevölkerung. Pfeffer natürlich auch, liebe gnädige Frau! Viel Pfeffer! ›Herrenhuter‹ sind das da in der Lausitz, nennen sich ›Brüdergemeinde‹. Der Jaschke, der ist auch ein strammer Bruder.«
An Jakobs Schläfe begann die Narbe zu pochen.
»Wo lebt denn der jetzt?«
»In Murnau. Mit Frau und Kindern. Ich habe mal einen Brief von ihm ins Lager geschmuggelt bekommen. Ist ein feiner Kerl, Herr Formann! Sie würden sich glänzend mit ihm verstehen!«
»Ich werde mich glänzend mit ihm verstehen, Herr Professor!« Die Schläfe klopfte wild. »Woraus sind denn diese Häuser gebaut worden?«
»Na, aus Holz und Aluminium, Spanplatten, Eternit … Das kann Ihnen alles der Jaschke sagen.«
»Wo befindet sich denn noch Aluminium und Holz und Eternit und all das, Herr Professor? Ah, Hase, das riecht wirklich wunderbar! Hoffentlich sind auch Zwiebeln drin!«
»Aber natürlich! Ich mache ein paar mehr für euch.«
»Herzlichsten Dank, liebe gnädige Frau. Ja, bitte, noch zwei. Das ist ja eine Delikatesse, Gott im Himmel! Das Material hat der Jaschke alles sichergestellt, hat er geschrieben. Versteckt. Wie gesagt, ich würde sofort anfangen, Häuser zu bauen. Tja, aber mich läßt man ja nicht. Ich bin schon glücklich, daß ich hier auf Ihre Eier aufpassen darf. Bei Ihnen ist das anders, Herr Formann. Sie haben eine weiße Weste. Sie dürften jetzt … Sie könnten jetzt …«
»Ja«, sagte Jakob Formann verträumt, »ich könnte jetzt …«
19
Und dann kam das gesegnete Weihnachtsfest!
Es war nun schon sehr kalt geworden, und in Deutschland und Österreich waren die ersten fünfhundertdreiundachtzig von insgesamt sechstausendfünfhunderteinundvierzig Menschen erfroren, die in diesem Katastrophenwinter 1946/47 erfrieren sollten. Die Zahl der an Krankheiten Verblichenen ging in die -zigtausende. Ach, war es da traut und heimelig bei der guten Frau Luise Pröschl!
Jakob und der Hase hatten – mit Erlaubnis der Militärregierung – das halbe PX geplündert, und so bekamen am Heiligen Abend viele Einwohner von Theresienkron viele Geschenke. Professor Donner weinte, als er die neuen farbstrotzenden Krawatten und den Lammfellmantel sah, den der Hase für ihn aus dem PX geholt hatte.