»Hör mal, wie redest du denn, Claudia? Du hast doch immer ein Schandmaul gehabt und geschweinigelt und geflucht wie drei Matrosen! Und jetzt fängst du mit diesem Lore-Roman-Quatsch von der so wunderbaren Liebe an! Was soll denn das?« fragte Jakob und dachte: Jajaja, prima glatt ist es mit der zweiten gegangen. Aber ist das eigentlich wirklich Grund zum Jubilieren? Früher habe ich immer gefunden, daß mich ein paar Weiber auf einmal mehr zieren als nur eine einzige. Jetzt geht der Umsatz zurück. Verflucht, und ich bin doch wirklich nicht alt! Und meine Schlittenfahrten, meine Chinesischen? Oder … oder, dachte er bange, lasse ich nach? Mechanisch fuhr er sich durchs Haar und schob, was er erwischen konnte, gegen den Mittelscheitel. Man kann es drehen und wenden, wie man will, dachte er, aber in diesem einen Jahr ist die kleine Glatze um eine kleine Kleinigkeit größer geworden …
Während er das gerade dachte, sagte Schreiber, neben Claudia tretend: »Wir lieben einander unendlich, Chef, und wir wollen heiraten.«
»Ihr wollt was?« Ogottogottogott. Fest zusammenpressen den Schließmuskel. Das Aufs-Klo-rennen-Müssen war doch schon vorüber. Wenn es jetzt wiederkommt und ich aus dem Bett springe und ins Badezimmer sause, versaue ich denen ihre ganze schöne, rührende Familienszene. Jakob preßte, so sehr er konnte. Der Druck ließ nach.
»Hören Sie, wenn Sie so einen Satz jemals in OKAY geschrieben hätten, hätte ich Sie sofort gefeuert!« sagte Jakob. »Sowas von Kitsch! Vielleicht haben Sie sich doch das Gehirn weichgesoffen?«
»Gewiß nicht, Chef. Wir lieben einander wirklich unend …«
»Jetzt langt’s, Schreiber!«
»Aber so ist es, Jakob«, sagte Claudia. Sie schlang die Arme um Schreiber. Er schlang die seinen um sie.
Das war zuviel! Alles Pressen half nichts angesichts dieses Anblicks.
Jakob sprang aus dem Bett und raste ins Badezimmer. Nach einer Weile kehrte er erleichtert wieder. Im Pyjama blieb er vor den Liebenden stehen.
»Entschuldigt die Unterbrechung. Sie war nicht zu vermeiden. Seit wann geht das denn schon mit euch?«
»Seit Ihrem Fest auf Cap d’Antibes, Chef. Da haben wir uns kennen und lieben gelernt, in dieser wundervollen Sommernacht …«
»Aus! Schluß! Kein Wort weiter, Schreiber! Sonst fängt es bei mir wieder an!«
»Entschuldigen Sie, Chef«, sagte Schreiber. Und zu Claudia: »Ich habe dir gleich gesagt, er ist noch zu schwach, Liebste, wir dürfen es ihm noch nicht gestehen.«
»Ich bin nicht zu schwach!« rief Jakob verärgert. »Also, ihr habt euch schon damals ineinander verkracht, ja?«
»Ja, Chef.«
»Und auch gleich …«
»Und auch gleich, Chef, ja. Es war ein coup de foudre.«
»Was war’s?«
»Ein Blitz aus heiterem Himmel. So hat uns die Liebe überfallen.«
»Reden Sie gefälligst anständig mit mir, Schreiber, ja?« Jakob setzte sich aufs Bett und ließ die Beine mit den nackten Füßen baumeln. Na ja, dachte er, erst BAMBI, jetzt Claudia. Sehr angenehm. Allerdings: Komplimente sind das keine für mich! Nicht ums Verrecken fahre ich mir wieder durchs Haar, obwohl es da oben plötzlich wie verrückt juckt. Scheiß drauf! Ich habe meine Natascha, das ist die Hauptsache! Und wenn die beiden da unbedingt an ihre Liebe glauben …
»Tja, also, wenn ihr glaubt, daß ihr euch liebt …«, begann er, und Claudia unterbrach ihn: »Wir glauben es nicht, mein Jakob. Wir wissen es.«
»Aha«, sagte Jakob, auf dem Bett sitzend, die Zehen bewegend. »Also dann meinen herzlichsten Glückwunsch, ihr beiden!«
»Bitte, sei jetzt nicht zynisch und verbittert, Jakob!« sagte die blonde Claudia.
»Bin ich gar nicht! Ich meine es ganz ernst.«
Claudia konstatierte: »Du bist doch wahrhaft ein wunderbarer Mann, Jakob.«
»Ach, Scheiße«, sagte dieser herzhaft. »Reden wir mal Tacheles. Ihr wollt also heiraten?«
»Ja.« (Im Duett)
»Und wovon wollt ihr leben?« Jakob hustete. »Entschuldigt die brutale Frage, aber auch wenn zwei sich unendlich lieben, brauchen sie Geld. Wenigstens ein bißchen.«
»Wenigstens ein bißchen haben wir«, gab Claudia bekannt. »Durch deine Güte.«
»Was hast du gesagt?«
»Durch deine Güte, habe ich gesagt. Schau mal, Mario hat bei dir ein irrsinniges Geld verdient und einiges zurückgelegt, du, du hast mir irrsinnige Geschenke gemacht – Schmuck, Kleider, Pelze, ein Auto –, damit kommt man schon eine Strecke.«
»Und nach der Strecke?«
»Ich habe einen Roman in Arbeit, Chef«, sagte Schreiber. »Ich schreibe jetzt nur noch für mich. Romane und Geschichten. Ich habe genug von Zeitungen. Zeitungen sind prima für einen Autor – aber er muß wissen, wann er aufhören soll. Ich weiß es. Und Sie verkaufen die OKAY jetzt ja doch. Unter einem anderen Verleger hätte ich ohnedies nicht gearbeitet.«
»Und wenn der Roman kein Erfolg wird?« fragte Jakob, jetzt ehrlich besorgt.
»Er wird ein Erfolg werden!« sagte Claudia fest.
»Jajaja«, sagte Jakob. »Und wenn nicht?«
»Im nächsten Monat kommt der HUMMER heraus, Chef. Von dem versprechen sich alle sehr viel.«
»Wer kommt raus?«
»ES MUSS NICHT IMMER HUMMER SEIN! Als Buch! Claudia hat gesagt, das muß unbedingt als Buch erscheinen! Mein Verleger ist ganz meschugge damit! Wir haben schon vierzehn Übersetzungsverträge – bevor die deutsche Ausgabe erschienen ist!«
»Donnerwetter, Schreiber!«
»Und dann hat Mario ein Theaterstück geschrieben – im Rahmen eines Autorenwettbewerbs. Gestern haben wir die Nachricht erhalten: Das Stück hat den ersten Preis bekommen! Die Premiere ist in drei Monaten.«
»Ein Theaterstück?« Jakob sah Schreiber ehrfürchtig an. »Donnerwetter! Haben Sie das noch unter Suff geschrieben?«
»Ja, Chef. Nachts. Wenn ich ganz voll war. Wenn mir alle den Buckel runterrutschen konnten und ich keine Rücksichten mehr auf Inseratenkunden, Schornsteinfegerinnungen und Kaninchenzüchterverbände nehmen mußte.«
»Wie heißt das Stück denn?«
»DER SCHULFREUND, Chef. Ein lustiges Stück, das eigentlich zum Heulen ist.«
»Schreiber«, sagte Jakob, »ich bin stolz auf Sie! Und stolz darauf, daß Sie so viele Jahre lang für mich gearbeitet haben. Denn jetzt glaube ich auch, daß Sie mit Ihren Romanen Erfolg haben werden, und nicht nur in Deutschland.«
»Deshalb gehen wir aus Deutschland ja auch weg, Jakob«, sagte Claudia.
»Ihr … was?«
»Weißt du, ich habe von meinen Eltern – sie sind lange tot – ein Haus geerbt, in Monte Carlo. Es ist wahrscheinlich ganz verkommen, ich war jahrelang nicht dort. Aber es ist groß genug für uns zwei, und wir werden es herrichten lassen. Und dann, Jakob, dann … direkt am Meer liegt das Haus, weißt du, und Mario wird Ruhe und Frieden haben und sich nicht mehr kaputtmachen lassen müssen in diesem irren Wirbel …«
»Das ist sehr vernünftig«, sagte Jakob und dachte plötzlich: Ich habe da unten an der Riviera einen Palast! Ich habe einen Haufen Paläste und Villen und Chalets. Aber wo bin ich eigentlich zu Hause? Es muß schön sein, so ein kleines Haus in Monte Carlo, direkt am Meer, und Ruhe und Frieden und nicht diesen irren Wirbel, in dem ich lebe. Ich erinnere mich noch, wie glücklich ich in diesem Drecksnest Theresienkron da bei Linz gewesen bin, damals, gleich nach dem Krieg, mit dem …«
Um Himmels willen! Nur nicht an den Hasen denken! Schnell, schnell an etwas anderes denken! Etwas tun! Er tat etwas. Er packte Schreiber bei den Ohren, zog ihn zu sich herab und küßte den Verblüfften auf die Wangen. Dann küßte er Claudia. Auf den Mund. Und sagte: »Ihr zwei Glücklichen! Recht habt ihr! Haut ab von hier! Lebt nur für euch! In der Sonne, am Wasser … Aber untersteht euch und laßt jetzt einfach nichts mehr von euch hören!«
»Ich bitte dich«, sagte Claudia, »wofür hältst du uns? Wir werden immer Kontakt zu dir halten, wir werden dich besuchen kommen, oder du kommst zu uns!«
»Dann ist es ja gut«, murmelte Jakob.
»Sie werden mehr von uns hören, als Ihnen lieb ist«, versprach Schreiber. Es klopfte.