Die bildschöne Schwester Kirsten mit dem bildschönen Busen und den bildschönen Beinen kam herein. Der Kittel klaffte …
»Es tut mir wirklich leid, daß ich stören muß«, sagte sie mit ihrer bildschönen Stimme, »aber die Besuchszeit ist längst um. Nachtruhe! Sie müssen in Ihr Bett, Herr Schreiber! Und Sie, Frau Gräfin, müssen jetzt das Klinikum verlassen.«
»Die beiden gehen ja schon«, sagte Jakob, »keine Sorge, Schwester Kirsten. Haben Sie heute bei mir Nachtdienst?«
»Ja, Herr Formann.«
»Gut. Also, ich schmeiße die beiden gleich hinaus!« sagte Jakob. »Verlassen Sie sich drauf!« Er lächelte wieder sein berühmt charmantes Lächeln. Auch Schwester Kirsten lächelte. Und verschwand.
»Ja, also dann«, sagte Jakob.
Noch einmal begannen Küsserei und Händeschüttelei.
Zuletzt sagte Claudia: »Einen Mann wie dich gibt es kein zweites Mal, Jakob.«
»Blödsinn!«
»Gar kein Blödsinn!« rief Klaus Mario Schreiber. »Claudia hat vollkommen recht! Ich habe das auch oft gesagt und gedacht. Wissen Sie was, Chef?«
»Was?«
»Ich überlege mir das schon lange. Es wird vielleicht noch eine Zeitlang dauern. Aber eines weiß ich bestimmt: Über Sie und Ihr Leben werde ich noch einmal einen Roman schreiben!«
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Und dann war es wirklich soweit. Die beiden hatten sich ein drittes Mal verabschiedet und waren endlich verschwunden – händchenhaltend.
Händchen haben sie gehalten, dachte Jakob, nun allein in seinem Bett sitzend. Also wieder zwei weniger. Und die Glatze wird größer. Wäre es nicht Zeit, daß ich auch mit allem Schluß mache und mich irgendwohin zurückziehe und Ruhe gebe und spazierengehe und lese und Musik höre und Briefmarken sammle oder so etwas? Wäre das nicht das vernünftigste? Ganz in Gedanken hatte er eine Hand in eine Tasche seiner Pyjamajacke gleiten lassen. In der Tasche befand sich die Hasenpfote. Da er sie berührte, durchzuckte es ihn, als hätte er mit zwei nassen Fingern in die Löcher einer elektrischen Steckdose gegriffen! Er fuhr im Bett hoch. Die Narbe an der Schläfe zuckte. Von einem Moment zum anderen war unser Freund von seinen Überlegungen befreit.
Was denn: zurückziehen?
Was denn: aufhören?
Was denn: meinen Krieg beenden? Meinen schönen Krieg, den ich bisher (fast) immer gewonnen habe?
Und die Steuer? Niemals kriege ich eine Fahndung! (Er kriegte auch tatsächlich niemals eine. Dem Mutigen hilft Gott.) Da habe ich mich selbst in etwas reingeredet. Mein Laden ist wasserdicht!
Die kleine Glatze. Na und? Das kommt vom vielen Denkenmüssen. Aber sonst bin ich kerngesund und oho, das haben mir gerade die besten Ärzte der Welt bestätigt! Ein Jüngling, ein Jüngling bin ich (fast) noch!
Gut, die OKAY werde ich verscherbeln, da hat der Schreiber recht. Bestimmt auch mit vielem anderen, was er gesagt hat. Schön, ich werde mich entsprechend absichern gegen schlechte Zeiten, falls sie kommen. Und: Für Claudia und den Schreiber ist es das beste, daß sie aus Deutschland weggehen und der Kerl jetzt, wo er trocken ist, endlich seine Romane schreiben will und sonst nichts. Ich freue mich ehrlich, daß die beiden sich so lieben. Natascha und ich lieben uns doch auch so! Und da soll ich mich zurückziehen? Ich bin doch kein Trottel! Mein Krieg geht weiter! Und wie! Ich habe noch so viele Pläne, ich habe noch so viel zu tun! Ich muß noch so viel …
Jakob klingelte. Das muß ich jetzt gleich einmal, dachte der Mann, von dem wir gesagt haben, daß er, wenn er von dem schmalen Grat, auf dem er wandelte, einmal abrutschte und in die Tiefe sauste, sogleich wieder in die Höhe kletterte und auf des Messers Schneide weitermarschierte, unbeirrbar, heiter, nicht zu entmutigen.
Es klopfte. Und die bildschöne Kirsten trat ein.
»Sie haben geläutet, Herr Formann?« (Mensch, der Kittel klafft ja wie noch nie! Die hat noch einen Knopf aufgemacht! Oder zwei?)
»Ja.« Jakob schenkte ihr einen verführerischen Blick: »Viel zu tun, mein liebes Kind?«
»Ach, überhaupt nichts. Alle schlafen. Ich mache Nachtdienst zusammen mit Gudrun. Wir müssen aufpassen, daß wir nicht auch einschlafen.«
»Sehr schön.«
»Was ist sehr schön, Herr Formann?«
»Kirsten – ich darf Sie doch so nennen? –, Kirsten, sperren Sie doch bitte die Tür ab.«
»Die Tür … Herr Formann!«
»Nun sperren Sie schon ab! Sonst kommt noch jemand rein, und das wäre doch unangenehm.«
»Aber Herr Formann!« Kirsten sah ihn kokett an. »Was haben Sie denn vor?« (Während sie das fragte, sperrte sie die Tür ab.)
»Komm her«, sagte er. Sie kam näher. Er begann die restlichen Knöpfe ihres Kittels (sehr wenige) zu öffnen.
Sie wand sich.
»Herr Formann …«
»Jakob, bitte!«
»Jakob … Jakob, was tust du denn da?«
»Ich ziehe dich aus, mein liebes Kind.«
»Und was machst du jetzt?«
»Wirst du gleich sehen …«
»Uj, was der Herr Formann da macht!«
Jakob verschwendete keine Zeit. Daß die bildschöne Kirsten gleich darauf in weitere »Uj! Uj! Uj!«-Rufe ausbrach und danach nicht mehr sprechen konnte vor keuchender Erregung, hat der geneigte Leser gewiß längst vermutet.
Wie ein junger Stier legte Jakob los.
Die bildschöne Kirsten machte Krach.
Jakob hielt ihr den Mund mit einer Hand zu.
Dafür biß sie ihn dann ein paarmal in dieselbe.
Nach eineinhalb Stunden entschuldigte sie sich.
»Es tut mir wirklich leid, daß ich dich gebissen habe, aber ich habe gedacht, ich sterbe, ich halte das nicht mehr aus … Jakob, Jakob, so einen Mann wie dich gibt es nicht noch einmal auf der Welt!« Das hat heute abend doch schon jemand anderer gesagt, überlegte er. Wer? Scheißegal! »Was … was war das bloß für ein Wahnsinn, den du mit mir getrieben hast, Jakob?«
»Man nennt es eine Chinesische Schlittenfahrt …«
»Also, da kann eine schon den Verstand verlieren«, sagte die bildschöne Kirsten. »Mensch, Mann, Jakob, du bist vielleicht eine Wucht!«
Da haben wir’s! Eine Wucht bin ich! Na also!
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Hei, jetzt ging es aber los!
So ein Tempo hatte Jakob noch nie vorgelegt!
Zunächst besetzte er die leer gewordene Stelle des Arnusch Franzl, dieses Schweins, mit dem Wenzel Prill (der seinen Doktor der Rechte noch immer nicht gemacht hatte). Dann trat er in Verhandlung mit einem Mann, der ein Regenbogenpresse-Reich hatte – seine bunten Zeitschriften wurden in Millionenauflagen gierig gekauft. Der Mann hatte einen Drang zum Höheren. Er wollte sich jetzt, wo er so reich geworden war mit dem Mist, den er produzierte, für seinen Monster-Verlag ein Paradepferd zulegen, etwas Seriöses, etwas Feines – eben OKAY.
Die Verhandlungen dauerten Monate, denn Jakob bestand darauf, daß Arbeitsplatz und Arbeitsbedingungen eines jeden seiner OKAY-Redakteure, Reporter, Techniker, Vertriebs- und Versandleute, Telefonistinnen – bis zur letzten Putzfrau – gesichert blieben. Die hundertunddreißig Millionen D-Mark, die unser Freund für die OKAY (samt Redaktion, einigen Häusern und allem Inventar) verlangte, zahlte der Regenbogenpresse-Verleger dann sozusagen mit der linken Hand.
In der Nacht nach dem Verkauf stand Jakob noch einmal vor dem Redaktionsgebäude in München. Er dachte daran, wie es mit dieser OKAY begonnen hatte vor vielen Jahren, an all die Abenteuer und all die Schufterei und all das Gefluche und all das Gelächter. Jetzt, dachte Jakob, ist OKAY in den großen Topf von diesem Kerl mit der Regenbogenpresse gekommen. Gott weiß, was aus ihr werden wird. Was Besseres bestimmt nicht. Eher im Gegenteil. Na ja, dachte Jakob zuletzt, aber es ist ja nicht mehr meine OKAY …
Von dieser Nacht an raste er wieder rund um den Erdball. Und baute Plastikfabriken in der ganzen Welt. Und verhandelte in der ganzen Welt. Und führte seinen Krieg in der ganzen Welt. Natascha, von ihrer Reise zurückgekehrt, begleitete ihn dabei natürlich. Und nun war es ihr schon in kürzeren Abständen immer wieder einmal danach. Jakob konnte nicht klagen. Nur für seine Schlittenfahrt, seine Chinesische, schien ihm die Zeit noch zu früh. Bei einem so wunderbaren, unverdorbenen und unschuldigen Geschöpf mußte er Geduld haben …