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»Hast du Los Angeles gesagt?« hauchte Jakob.

»Habe ich. Ja. Warum?«

»George Misaras ist dort, und ich bin auch oft dort – aber das habe ich dir ja schon alles erzählt. Auch daß sie den armen Jesus umgebracht haben, die weißen Schweine da im Süden!« Mojshe nickte traurig. »Aber daß wir einander nie gesehen haben, das ist unfaßbar!«

»Viele Sachen sind unfaßbar«, sagte Mojshe. »Ich werde dir gleich noch ein paar zeigen. Stimmt schon, wir hätten uns mal begegnen können. Aber ich bin doch dauernd unterwegs gewesen! Korea. Deutschland. Weiß ich, wo überall. Und jetzt, jetzt fliege ich die ganzen Generalstäbler, die für den Krieg hier vorgesehen sind, hin und her. Sie machen solche ›T-Gruppen‹ auch drüben, aber hier machen sie das jetzt auch, damit die Herren sozusagen im Angesicht des bösen Feindes noch einmal richtig mutig werden. Und ich bin so was wie der Reiseleiter, kapierst du?«

»Gratuliere«, sagte Jakob. »Dann haben wir tatsächlich alle Karriere gemacht – bis auf den armen Jesus.«

»Ich muß sehen, daß ich heute noch neun Juden auftreibe, damit wir Kaddisch sagen können für Jesus.«

»Kaddisch?«

»Ein Totengebet sprechen, weißt du. Zu einem Gebet braucht man immer zehn Mann. Ich wäre der zehnte.«

Eine ferne Explosion ließ den Boden wanken.

»Was war das?«

»Ach, irgendwas ist explodiert in der Stadt«, sagte Mojshe. »In dieser Stadt explodiert dauernd was. Hast du eine Ahnung, wie das hier oft zugeht. Eine Rakete solltest du mal hören! Sind ein Haufen Vietcong in der Stadt, verstehst du. Da gibt’s immer wieder Morde, Anschläge, Feuerüberfälle, Entführungen. Wir haben hier einen Bürgerkrieg.«

Ein dumpfes Trommeln ertönte.

»Und was ist das?« fragte Jakob.

Mojshe sah durch das kleine Fenster in den Turnsaal.

»Ach, jetzt haut er mit den Fäusten auf den Boden, der General, weil sie ihm vermutlich was besonders Hübsches gesagt haben. Und hin und her rollen tut er sich auch in seiner eigenen … in seinen eigenen Ausscheidungen«, sagte Lieutenant-Colonel Mojshe Faynberg.

48

Am Abend zuvor, gleich nach ihrer Begegnung, hatte Jakob seinem Freund erzählt, warum er in Saigon war. Mojshe hatte nur genickt. Dann war er mit ihm in das Chinesenviertel der Stadt – Cholon – gefahren und hatte zielstrebig eine Opiumhöhle angepeilt. Jakob konnte da in der Finsternis, die von einer Ölfunzel kaum erhellt wurde, zuerst überhaupt nichts erkennen. Dann gewöhnten sich seine Augen an das Dämmerlicht, und er sah auf Pritschen, auf dem Boden oder auf Tischen reglose, zusammengekrümmte Gestalten.

»Keine Angst«, sagte Mojshe, der Jakobs Entsetzen bemerkte, schnell, »die sind nicht tot. Die haben nur alle ihr Opiumpfeifchen geraucht und träumen jetzt schön.« Nun erst empfand Jakob den schweren, süßlichen Geruch, der das Kellergewölbe erfüllte.

Ein alter Chinese kam mit vielen tiefen Verneigungen näher. Er schien Mojshe zu kennen und wollte ihn gerade untertänigst begrüßen, doch dieser ließ ihm keine Zeit.

»He, Hue-Sen«, sagte Mojshe. »Halt’s Maul und hör gut zu. Dieser Gentleman ist mein Freund. Ihm sind drei Schiffsladungen Fertighäuser abhanden gekommen. Du sollst das Maul halten! Ich weiß genausogut wie du, wer das Ding gedreht hat. Nämlich dein Vetter San-Tui. Widersprich nicht! Wir wissen beide, was San-Tui für einer ist. Der größte Dieb und Hehler von Saigon. Kusch. Du wirst sofort zu San-Tui gehen und ihm sagen, daß die drei Schiffsladungen morgen abend wieder dort sein müssen, wo man sie gestohlen hat – auf den drei Schiffen. Kusch, habe ich gesagt. Wir haben San-Tui bisher nichts getan und ihn seine Sauereien machen lassen, weil er uns so viele Informationen über geplante Aktionen des Vietcong gegeben hat – gegen viele Dollars, der Schweinehund. Jetzt ist Schluß. Wenn die Fertighäuser morgen abend nicht wieder auf den Schiffen dieses Herrn sind, lassen wir deinen Vetter hochgehen. Lebenslänglich ist dann noch ein Späßchen! Wahrscheinlich wird man ihn aufhängen.«

»Hue-Sen welden sofolt gehen und mit Vettel leden, Hell Faynbelg. Seien ganz beluhigt. Häusel kommen zulück bis molgen abend. Wäle nie passielt, wenn mein Vettel gewußt hätte, daß dieses Mistel Ihl Fleund, Hell Faynbelg. Wilklich, seien ganz beluhigt. Und nicht böse. Vielleicht ein klein Pfeifchen oder zwei gefällig, die Hellen?«

Die Herren Mojshe und Jakob hatten energisch abgelehnt. Sie waren zurück in Jakobs Hotel METROPOL gefahren und hatten die ganze Nacht durch beieinandergesessen, ein wenig getrunken (Mojshe ein wenig Bourbon, Jakob alkoholfreies ›Schweppes Tonic Water‹), geraucht und erzählt, wie es ihnen und allen anderen, die sie gemeinsam kannten, ergangen war. Gegen Morgen hatte Mojshe gesagt: »So, jetzt hauen wir uns aufs Ohr, und so um zehn hole ich dich ab und zeige dir, was ich hier mache.«

49

Na ja, und das hatte er dann auch getan …

»Nur ein kleiner erster Eindruck«, sagte er nun, in der Kino-Vorführkabine des Hauses an der Rue Catinat, zu Jakob, indessen durch den Lautsprecher das Fluchen, Beschimpfen, Heulen und Trommeln im Saal nebenan weiter zu hören war. »Komm mit. Ich zeig dir noch was.«

Sie verließen die Kabine, fuhren mit dem Lift ein Stockwerk höher, wanderten einen Gang hinab und betraten eine zweite Kabine. Als Jakob hier durch den Einwegspiegel blickte, hielt er sich an Mojshe fest, um nicht umzufallen.

Er sah in einem Saal wie dem ersten wiederum zehn Männer, diesmal in roten Trainingsanzügen. Fünf von den Herren Stabsoffizieren und Generälen krochen auf allen vieren durch die Halle. Die anderen fünf Herren saßen auf ihren Rücken und ritten. Wenn es ihnen nicht schnell genug ging – und es ging ihnen niemals schnell genug –, gaben sie ihren Pferdchen die Sporen, das heißt, sie hauten die Offizierskameraden klatschend auf die Hintern oder traten ihnen auf die Hände. Dann trabten die Pferdchen hurtiger.

»Mmmmmmmmm!!!« war alles, was Jakob herausbrachte.

»Der Witz hier«, ließ sich Mojshe vernehmen, »ist der, daß einmal hohe und einmal niedrigere Dienstgrade Pferdchen spielen müssen beziehungsweise reiten dürfen.«

»Aber wozu das, um Himmels willen?«

»Stärkung des Gefühls der Gleichheit aller. Keiner ist dem andern überlegen oder hat mehr Macht! Alle sind eine verschworene Gemeinschaft, klar?«

»Klar«, sagte Jakob.

Die Pferdchen trabten, die Herren ritten auf ihnen, daß es eine Lust war.

»Also, diesen Krieg gewinnt ihr ganz bestimmt!« sagte Jakob.

»Na was denn«, sagte Mojshe. »Komm.« Und er brachte Jakob in ein anderes Stockwerk und in eine andere Kabine. Jakob blickte durch den dritten Einwegspiegel. Er sah neun Mann im Kreis, wie schon gewohnt, der zehnte in der Mitte.

Totenstille.

»Der in der Mitte ist ein ganz hohes Tier«, sagte Mojshe. »Er wird sich gleich umfallen lassen.«

»Warum?«

»Damit ihn die anderen auffangen natürlich«, sagte Mojshe.

»Und wozu soll das gut sein?«

»Stärkung des Gemeinschaftsgefühls. Einer ist für den andern da, einer hilft dem andern. Alles von ersten Psychotherapeuten Amerikas entwickelt. Es gibt nichts Besseres.«

»Bestimmt nicht«, sagte Jakob.

Im nächsten Moment geschah zweierlei. Der General ließ sich – wie Mojshe prophezeit hatte – fallen. Er war überzeugt davon, daß ihn die Kameraden auffangen würden in ihrem starken Gemeinschaftsgefühl. Leider heulte im gleichen Moment eine Rakete heran – Jakob und Mojshe warfen sich zu Boden – und explodierte mit ohrenbetäubendem Getöse.

»Das war ganz schön nahe«, sagte Mojshe, sich erhebend. Auch Jakob erhob sich und sah durch den Spiegel. Ein schrecklicher Anblick bot sich ihm.

Die neun Generalstäbler hatten sich beim Heranheulen der Rakete gleichfalls zu Boden geworfen, die Köpfe zwischen den Händen – und deshalb war niemand dagewesen, um den General, der sich gerade fallen ließ, in verschworener Gemeinschaft aufzufangen. Jetzt richtete er sich auf und hielt sich den Schädel. Aus der Nase tropfte Blut auf den Trainingsanzug. (Hier wurden weiße getragen.) Der General, außer sich, rappelte sich auf und begann zu toben, daß die Membran des Lautsprechers klirrte: »Ihr Hurensöhne! Ihr Hunde! Ich lasse euch an die Wand stellen, alle miteinander! Verräter! Kommunisten! Schweine, verfluchte! Vors Kriegsgericht bringe ich euch alle! Auf! Stillgestanden! Hände an die Hosennaht! Niemand rührt sich!« Es rührte sich wirklich niemand. Die neun anderen Herren sahen ihn gespannt an. Im Sitzen.