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Sehr gut vertreten …

Wie?

So?

In diesem verdreckten Frack?

Was heißt verdreckten Frack?

So verdreckt, wie der ganze Jakob Formann, seiner Zeit immer um zwei Schritte verdreckt voraus, ist? Ich kann sehen, wie verdreckt ich bin, da vorne, im Rückspiegel, sehe ich mich. Großer Gott im Himmel, so was Dreckiges hat die Welt noch nicht gesehen! Ich muß aber zu der Vorstandssitzung. Natürlich nicht in diesem Zustand. Also muß ich mich schnell waschen im Werk. Aber der Scheißfrack! In dem kann ich doch unmöglich, also das ist doch absolut ausgeschlossen, daß ich in dem vor meine Direktoren trete und …

Was?

Was ist das?

Was sagt der Rechte da zu mir mit gewinnendem Lächeln?

»Wir Gastarbeiter«, sagte er mit gewinnendem Lächeln und zeigt auf sich und seinen Freund.

»Aha«, sage ich. Habe ich es mir doch gleich gedacht.

»Du schön Kleid …«

»Bitte?«

»Schön Kleid, du … wir arm … keine schön Kleid …« Und wieder ein türkischer Wortschwall.

Kein schön Kleid?

Den beiden gefällt mein Scheißfrack. Ist ja auch von einem erstklassigen Schneider! Und wenn man ihn reinigt … und ein bißchen zusammennäht …

»Wir tau … tau … tau … ja?«

Tauschen will der! Mensch, das ist die Rettung! Die haben doch ihre Klamotten in den Koffern! Die geben mir was, und ich gebe ihnen den Scheißfrack! Die Rettung! Die Rettung ist da! Was so ein Jakob Formann ist, der geht eben nicht unter.

»Du wollen …?«

»Klar will ich! Mit Vergnügen! Da vorne ist ein Parkplatz!« Jakob zeigte wie irre nach rechts. »Fahrt da rein! Das können wir gleich machen! Ihr müßt mich dann aber auch noch nach Solln hinausfahren, ich habe es wahnsinnig eilig, ich komme ohnehin schon viel zu spät!« sprudelte Jakob.

»Solln!«

Die Türken verstanden keines seiner Worte und verstanden dennoch, was er wollte. Der am Steuer fuhr schon in den hohen Schnee eines Parkplatzes im Hofoldinger Forst. Der Wagen hielt. Noch bevor der Türke rechts ausgestiegen war und einen Persilkarton geöffnet hatte, war Jakob schon aus Frackjackett, Frackweste und Frackhose geschlüpft …

52

»Herr über Leben und Tod, Jesus Christus, dem wir leben und dem wir sterben, wir bitten Dich bei Deinem hochheiligen und schweren Tode am Kreuz, verleihe Jakob Formann, daß Deine Ankunft bei seinem Tode ihn nicht als schlafenden, unvorbereiteten und trägen, sondern als wachen und guten Knecht angetroffen hat …«

»Was woaß denn der Depp, ob er aa wirklich hi is, der Formann?«

»Im Radio ham s’ es g’sagt um achte, daß s’ koa Spur g’funden ham von eahm da in der Mangfallschlucht und daß er mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sich … naa, umgekehrt: daß er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hi is. Verbrennt in seinem Schlitten, vastehst, Seppl?«

»Da hätten s’ doch aba wenigstens a paar Knochen finden müssen von dem Hund – aba gar nix?«

»Sag des net, Dschonni. Wenn er mit seim Rolls explodiert is, nacher hat’s ihn ganz z’riss’n, den Lumpen, den elenden. Drum hams uns ja alle zammg’holt. Und deswgn san ja de Fahnen aa bloß halbert aufzogn! Na, na, der is hi, da gibt’s nix!«

Also, das ist doch …

Ein Mann in mittleren Jahren, mit zerschrammtem Gesicht und wunden Händen, Pflaster darauf, angetan mit einer sehr abgetragenen Hose, einer sehr abgetragenen Jacke von undefinierbarer Farbe (an den Ellbogen Lederherzen!), einem zerdrückten grünlichen Hemd, am Halse offen, und einer Schirmmütze, die tief ins Gesicht gedrückt war, konnte sich nicht fassen vor Empörung. Er stand, eingekeilt in die Menge der Arbeiter, in der größten Halle des Fertigbauwerks München-Solln und hatte bebend vernommen, was der Betriebsratsvorsitzende, ein braver, gläubiger Bayer, ein wenig mühsam aus einem kleinen schwarzen Buch da vorlas.

Hirnschall, so heißt der Sack, dachte Jakob Formann, denn um ihn handelte es sich bei dem schäbig gekleideten Mann inmitten der Arbeiterschaft des Münchner Werks (Sie haben es doch nicht etwa schon vermutet?), Alois Hirnschall heißt der fromme Herr. Wahrscheinlich hat auch er angeordnet, daß die beiden Fahnen – die bundesdeutsche und die österreichische – draußen auf den Stangen beim Werkeingang halbmast zeigen –, und diese Trauergemeinde hat er auch zusammengetrommelt, Angestellte und Arbeiter, Putzfrauen und Direktoren, alles, das sieht ihm ähnlich, diesem Gschaftlhuber, diesem schwarzen, und jetzt muß er auch noch aus dem Büchl da das Gebet über mein seliges Sterben vorlesen, das Rindvieh, und wer paßt draußen auf? Kein Mensch. Nicht mal ein Portier war da, wie die beiden türkischen Gastarbeiter mich abgesetzt haben. Keine Maschine ist gelaufen. Ich habe gedacht, die sind hier alle ausgerissen oder machen Streik, und dann komme ich in die Halle fünf und sehe und höre so was, also, nein, pfui Teufel noch mal!

»… laß nicht zu, wir bitten Dich, daß Jakob Formann ohne Reue aus diesem Leben geschieden und gänzlich unversehen vom Tode überrascht worden ist«, las der Betriebsratsvorsitzende Alois Hirnschall, geboren in Tuntenhausen, Oberbayern, etwas mühsam, aber desto inbrünstiger weiter. Das Podest, auf dem Hirnschall seine Andacht zelebrierte, war schwarz drapiert mit einem Stück jener Kunststoff-Folie, die, in Streifen geschnitten, zum Abdichten der Verbundstellen an den Fertighäusern diente.

Einen Geistlichen Herrn hat der Hirnschall so auf die schnelle nicht auftreiben können, darum macht er es selber, dachte Jakob. Der Hirnschall ist ein guter Kerl, nur so entsetzlich hastig und impulsiv (auch bei Verhandlungen über Lohnerhöhungen), ich muß unbedingt was unternehmen, ich muß sagen, daß er aufhören soll, weil ich noch lebe, das ist ja nicht zum Anhören! Verflucht, wenn ich nur nicht so eingeklemmt wäre. Eine dicke Luft ist das hier. Kaum zu atmen! Na, ich werde mal laut schreien: »Ich lebe noch, Hirnschall!« Dann wird er schon aufhören. Jakob öffnete den Mund, um seinen Vorsatz in die Tat umzusetzen, da hörte er einen Arbeiter zu einem anderen sagen: »Scheiß doch auf’n Formann. Reue! Was hat denn den scho g’reut, den Ausbeuter, den dreckat’n.«

»Da hast amal recht«, sagte sein Kollege nickend. »Und G’wiss’n hat er aa koans g’habt. A typischer Scheißkapitalist halt.«

Also, das ist doch …

Jakob schoß das Blut ins Gesicht. Er wollte den beiden eine knallen (somit zwei, jedem eine), aber er bekam den Arm nicht hoch, so dichtgedrängt standen sie hier zwischen den Maschinen.

»… wenn Jakob Formann alles verlassen hat, was man an hinfälligen und vergänglichen Gütern dieser Zeit besitzen kann, dann verlasse Du den Jakob Formann nicht, besonders nicht in dem letzten Kampf seines Lebens …«

»Was der scho zum Kämpfen g’habt hat, möcht’ i wissen«, fing ein anderer Arbeiter, hinter Jakob, an. »Multimillionär is er g’wesen! Unseroans muaß kämpfen um jedes Markl, aba der mit seine Flugzeug und Mercedes und Weiber und Häuser, der Hund, der verreckte, der hat doch überhaupt net g’wußt, wos des hoaßt: kämpfen!«

»Recht hast, Ferdl«, ertönte eine andere Stimme hinter Jakob. »Der hat allawei im Luxus g’lebt und Weiba g’habt und g’soffen, und dauernd is er spaziereng’flogen mit seine Dschets, und mir, mir ham uns krumm und bucklat schuften derfa weg’n eahm …«

»…wenn Jakob Formann mit dem bösen Feind hat ringen müssen«, las der Betriebsratsvorsitzende Hirnschall, leiernd und gequält hochdeutsch, »dann mögen ihm Deine Engel beigestanden und ihn wider alle Versuchungen beschützt haben …«