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»Wenn Ihnen was nicht gefällt, können Sie es jederzeit umtauschen. Nun hören Sie schon endlich auf zu weinen, lieber Herr Professor!«

»Ach, ich will ja, aber ich kann nicht!« schluchzte der. »Jetzt hat wirklich die Neue Zeit begonnen, in der alle Menschen Brüder sind!« (Nicht zu fassen, wie ein gescheiter Mensch sich so irren kann!)

Und die amerikanischen Freunde vom Fliegerhorst Hörsching kamen mit einem Zweitonner. Auf dem waren Konserven, K-Rations, Whiskey und ein herrlicher Riesenweihnachtsbaum aus wetterfestem Pappmaché, der wurde auf dem Dorfplatz aufgestellt und mit vielen elektrischen Kerzen bestückt. Dafür erhielten die Freunde von den braven Theresienkronern bislang versteckt gehaltene Ehrendolche der SS und Hitler-Bilder. Auf solch Gelump waren alle Amis in Europa ganz wild. Es gab auch Deutsche Kreuze in Gold, von den Landsern lieblos ›Spiegeleier‹ genannt, und Gefrierfleischorden. Und vierzigtausend Küken bekamen Extraportionen Mais und piepsten begeistert im Chor.

Und der Provost Marshal schickte mehrere Fünftonner voll Kohle, auf daß niemand frieren mußte – wenn man schon in ganz Europa fror, dann keinesfalls in Theresienkron! (Der Provost Marshal bekam des Führers Werk ›Mein Kampf‹ in Goldschnitt und Leder! Das war einstmals das Hochzeitsgeschenk für den Bürgermeister von Theresienkron gewesen. Der große, starke Mann hatte Tränen in den Augen gehabt, als er den Prachtband verschenkte, aber er sagte: »Ich weiß schließlich, was sich gehört!«)

Und Jakob bescherte den Hasen mit einem – wirklich und wahrhaftig! – garantiert echten schwarz und weiß gefleckten Kaninchenmantel (aus dem PX natürlich) und mit Stiefeln und einem bunten Kopftuch! Und der Hase bescherte dem Bären einen garantiert echten Diplomatenkoffer samt Geheimschloß und einen Wintermantel!

Und Mojshe Faynberg und Jesus Washington Meyer durften (als zwei Weihnachtsmänner mit roten Mänteln und Kapuzen und Säcken auf dem Rücken) alle Kinder von Theresienkron bescheren, und wir sind ganz sicher, daß beide, der Jude und der Neger, niemals und von niemandem mehr geliebt wurden als in dieser Heiligen Nacht! Mojshe, der die schönste Stimme hatte, sang unermüdlich für jede neue Besucherschar auf dem Dorfplatz, vor dem Pappmaché-Weihnachtsbaum mit den elektrischen Kerzen immer wieder: »Stille Nacht, Heilige Nacht …«

Und siehe, das Fest nahm kein Ende und dauerte Tage und Nächte, und dann kam Silvester, und da fing alles noch einmal von vorne an!

20

Jakob und der Hase zogen sich in jener Nacht bald zurück, und alle respektierten das, denn am 1. Januar wollte Jakob nach Deutschland aufbrechen, und also galt es, Abschied zu nehmen.

In dem großen Bett ihres Schlafzimmers nahmen Bär und Hase drei Stunden und einundfünfzig Minuten lang voneinander intimen Abschied, und es war so schön, wie es noch nie gewesen war. Und deshalb mußte der arme Hase natürlich zuletzt, so gegen drei Uhr früh, fürchterlich weinen und war nur mit größter Anstrengung des Bären zu beruhigen.

Die beiden saßen auf dem Bett und streichelten und herzten einander, und der Hase dachte, wie unendlich er den Bären liebte, und der Bär dachte an den Ingenieur Karl Jaschke, und ob er den wohl in Murnau treffen würde und ob das Haus vom Himmler ausgebombt war oder noch stand.

Verdammet uns den Jakob nicht! Er war kein schlechter Mann. Der Kern war gut. Und wenn er liebte, dann liebte er wirklich. Genauer: Wenn er zu lieben glaubte, dann glaubte er auch wirklich zu lieben. Die normale Liebe der normalen Männer kannte er nicht, da fehlte ihm einfach etwas. Er war ein guter Liebhaber, und er war zärtlich zu seinen Frauen, aber Gott hatte ihn solcherart geschaffen, daß er ehrlich und wahrhaftig nicht wußte, was das ist: wahre Liebe. Sagt, kann man ihm dafür böse sein? Der liebe Gott hatte da doch etwas verabsäumt, nicht er! Liebe, das bedeutete für Jakob Zärtlichkeit, Fürsorge, Höflichkeit – solange die Frau da war. Sie fehlte ihm im allgemeinen nicht, wenn sie dann nicht mehr da war (oder wenn er dann nicht mehr da war), denn es gab so viele hübsche Frauen, und Jakob hatte Glück bei ihnen: Ihm gefielen sie alle. Aber darüber konnte er doch nicht das Ziel aus den Augen verlieren, das er sich gesetzt hatte!

»Hase, Hase, Hase«, sagte Jakob in dieser Nacht, den Rücken der schluchzenden Julia streichelnd, »so höre doch auf zu weinen, ich bitte dich.« (Und mein rechter Arm schläft auch gleich ein.)

»Wie kann ich denn aufhören zu weinen?« schluchzte sie von neuem auf. (O Gott!) »Morgen abend fährst du weg, so weit weg, und keiner weiß, wann du wiederkommst.«

»Sobald ich kann, Hase, komme ich wieder, das ist doch klar!« (Und wenn der Hof vom Himmler zu haben ist, wo kriege ich die Menschen her, die da mit mir arbeiten, da und anderswo – bis rauf nach Flensburg?)

»Das ist gar nicht klar, Bärchen! Ich … ich hab’ so schreckliche Angst, daß du überhaupt nicht mehr wiederkommst!«

»Was ist das für ein Unsinn, mein geliebter Hase! Na, na, na! Bitte nicht mehr weinen!« (Und wenn ich den Ingenieur Karl Jaschke in Murnau wirklich finde, können wir gleich mit den Fertighäusern anfangen.)

»Niemals, Bärchen, niemals im Leben wird dich eine Frau mehr lieb haben können als ich, das ist unmöglich!«

»Das weiß ich, Hase. Und es wird dich auch niemals im Leben ein Mann mehr lieb haben als ich!« (Und wenn irgendwelche verfluchten Hunde das ganze Material geklaut haben für die Häuser?)

»Aber die Weiber! So einen wie dich wollen sie alle!«

»Hase! Nun hör aber wirklich auf, bitte, ja? Du weißt doch, daß ich fortfahren muß, nicht?« (Hoffentlich bescheißt dieser Jaschke mich nicht.)

»Ha-hase und Bä-bär gehören zusammen?« stammelte Julia.

»So ist es, Hase.« (Und wenn jemand in dem Haus vom Himmler drinsitzt, wie krieg’ ich den raus?)

»Fü-hür immer?«

»Für immer.« (Vielleicht kann ich ihn bei mir anstellen, den Kerl, der vielleicht im Haus vom Himmler wohnt. Großer Gott, wenn da etwa alles voller Flüchtlinge steckt? Na also. Jetzt ist der rechte Arm eingeschlafen!) Jakob küßte den Hasen noch einmal ganz zärtlich auf den Hals und ließ sich dann auf das Kissen sinken. Sofort war der Hase über ihm.

»Schwör mir das!«

»Ich schwöre es dir!« (Gott, bin ich plötzlich müde. Ich muß in Deutschland gleich sehen, daß ich über den General Clark und den General Clay und den General Loosey Empfehlungsschreiben bekomme.) »Ich lasse dir den Jeep da und die Papiere. Fahr vorsichtig! Und im Schreibtisch liegt eine Vollmacht.«

»Was für eine Vollmacht, Bärchen?«

Schwerer und schwerer fällt mir das Reden, dachte Jakob, während er mit Mühe antwortete: »Ich erkläre in der Vollmacht, daß, für den Fall, daß ich länger als ein Jahr nicht wiederkomme und … oder … unauffindbar bin …«

»Neiiin!!« heulte Julia auf.

»…du an meine Stelle trittst mit allen Rechten und allen Pflichten.«

»Ich will nicht! Ich will nicht!«

»Du mußt, Hase, du mußt!« Jetzt brauche ich schon Streichhölzer, um sie mir zwischen die Lider zu stecken, sonst bin ich in einer Minute weg. »Alles, was mir hier gehört, gehört dann dir!«

»Wenn dir etwas zustößt, will ich auch nicht mehr leben!«

»Mußt … leben … mußt … an … Hühner denken … Riesenbetrieb … Riesenverantwortung … Außerdem … alles rein theoretisch … Vorsichtsma …« Und dann war Jakob weg, aber total.

21

Der Bahnhof von Linz war zerstört. Der ›Orient-Expreß‹ fuhr weiter draußen ab, unter freiem Himmel. Dieser Himmel war schwarz, aber die Nacht war weiß, weiß von Schnee. Und in dieser weißen Finsternis, in welcher der Sturm nur zwei schwache Lampen schaukeln ließ, standen am Abend des 1. Januar 1947 zwischen Gleisen, Trümmern, Bombentrichtern und in eisiger Kälte Julia, Professor Donner, George, Jesus und Mojshe, um Jakob Formann das Geleit zum Abschied zu geben. Ein amerikanischer Transportoffizier stand gelangweilt neben seinen drei Mann Begleitpersonal. Drei französische Schaffner wieselten geschäftig herum. Der Zug führte zwei Schlafwagen, einen Schlafwagen der Ersten Klasse sowie einen Speisewagen und durfte nur von alliiertem Personal benutzt werden.