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Darum holte Chauffeur Otto an einem Samstagnachmittag, an dem man ja noch fahren durfte, Jaschkes Söhne in das Schloß am Starnberger See. (Komisch, da jammerten sie jetzt alle über die Kälte in den großen Sälen! Als ob frische kalte Luft nicht gesund wäre! Jeden Morgen machte Jakob eine halbe Stunde Gymnastik bei weit offenen Fenstern!) Und da übernachteten die Knaben dann, und am Sonntag radelten sie alle nach München, ins Stadion an der Grünwalder Straße, denn sie waren alle begeisterte Fußballer, und es spielte 1860 München gegen die SpVgg Fürth.

Die Organisatoren dieses Matchs hatten ähnliche Methoden angewendet wie der Geistliche Herr Karl Dussl aus Hammering bei Passau, um zu verhindern, daß keine Zuschauer oder nur ganz wenige kamen und die Veranstaltung eine Pleite wurde: Sie versprachen allen Besuchern Freibier und verbilligte WIENERWALD-Hendln!

Sein Freibier überließ Jakob den stämmigen Knaben, die, in Bayern großgeworden, das edle Getränk sozusagen von Mutterbrust an lieben und schätzen gelernt hatten. Jakob trank ›Überkinger‹. Sein WIENERWALD-Hendl aß er im Stehen. Im Mantel. In der klirrenden Kälte. Wie alle anderen, die gekommen waren.

Und wieder hatte er Grund, in Anlehnung an den Titel des ersten Romans von Klaus Mario Schreiber zu sich selber zu sagen: MICH WUNDERT GAR NICHT, DASS ICH SO FRÖHLICH BIN!

Denn warum?

Weil die WIENERWALD-Hendln allesamt und unterschiedslos mit zwei Schenkeln verkauft wurden, während Jakob – schon seit 1957 und den Erkenntnissen, die er bei der im übrigen eher peinlichen großen Party auf Saint-Jean-Cap-Ferrat bei Lord und Lady Alexander gewonnen hatte – seine Hühner, wenn deren Lege-Hoch-Zeit vorüber war, für die guten Leute mit nur einem Schenkelchen an Großabnehmer verkaufte, nämlich dem linken, weil, wie er seit Saint-Jean-Cap-Ferrat wußte, Hühner beim Schlafen gemeinhin auf dem rechten Bein stehen und deshalb die linken Schenkelchen wesentlich zarter sind als die rechten. Beim WIENERWALD kümmerte man sich nicht um derlei, stellte Jakob triumphierend fest.

Na ja, wenn man’s eben nicht weiß …

In vollem Glücksgefühl radelte er dann mit den beiden Knaben nebst Otto zurück zu seinem Schloß am Starnberger See. Noch nie im Leben war Jakob so optimistisch und so gut gelaunt gewesen wie in diesen Monaten, in denen alle Menschen immer pessimistischer und pessimistischer wurden und immer üblere und üblere Laune hatten …

58

25. Januar 1974.

Finster sah Wenzel Prill, Jakobs Generalbevollmächtigter für das Finanzwesen, die beiden Herren an, die vor ihm in der Halle jenes Hauses in Bonn saßen, in dem einmal der Arnusch Franzl residiert hatte.

»Die Lage war noch nie so ernst«, sagte er. (Immer noch kein Dr. jur.)

»Den Satz kenne ich doch«, rief Jakob fröhlich. »Den hat doch bei jeder Gelegenheit der Adenauer gesagt!«

»Du wirst gleich nicht mehr so fröhlich sein«, sagte Wenzel. »Jetzt geht es nämlich um die Wurscht.«

»Was für eine Wurscht?« fragte der Karl Jaschke.

»Um alle unsere Werke, überhaupt um alles, Mensch! Oder lebst du hinter dem Mond?«

»Wie redest du denn mit dem Jaschke?« Jakob wurde zornig.

»Reg dich ab und hör mir zu. Vor ein paar Wochen war ich im Bundeswirtschaftsministerium und habe mit ein paar von den höchsten Beamten gesprochen. Und da hat mir einer gesagt: ›Wenn die Araber diese Ölblockade noch lange durchhalten, dann steht uns allen einiges bevor!‹ Die Araber halten die Ölblockade durch, wie ihr seht. Und sie haben schon ganz hübsche Wirkungen erzielt.«

»Zum Beispiel?« fragte Jakob. Er drückte seine Hasenpfote, die er in der Hosentasche hielt. Mach, daß alles gutgeht, dachte er, daß nix Schlimmes passiert, Hasenpfote, liebe.

»Jeder tut, was er will, in Europa – und Amerika geht in den Arsch. Die Europäer haben dazu noch diese widerwärtige ›Alles schon mal dagewesen‹-Einstellung!« sagte Wenzel. »Schaut euch England an!«

»Warum sollen wir uns England anschauen, Wenzel?« frage Jakob unschuldig.

»Weil ich gerade aus London komme und England ein typisches Beispiel auch für uns ist. Ich war bei dem armen Sir Derrick. Er hat mich flehentlich gebeten, ihm zu helfen. Ich tu, was ich kann. Das ist natürlich nur ein Tropfen auf den heißen und so weiter. Also, in England fehlen Milchflaschen! Coca-Cola bettelt in einem Werbefeldzug, der siebzigtausend Pfund kostet, um die Rückgabe von leeren Flaschen! Die Zeitungen drucken weniger, weil Papier fehlt. Kunstmaler malen auf Karton, weil Leinen ausverkauft ist. Außenhandelsdefizit im Oktober: dreihundert bis dreihundertsiebzig Millionen Pfund Sterling! Lebensmittelpreise seit 1971 um fünfundvierzig Prozent gestiegen! Die Bergarbeiter weigern sich, noch mehr Überstunden zu machen. Zusätzliche zweihundert Millionen Tonnen Kohle, die man dringend benötigt, bleiben in der Erde! Eisenbahnerstreiks! Die Lokomotivführer wollen am Sonntag nicht fahren! Hier!« Wenzel hob eine britische Zeitung. »›Evening Standard‹! Hundertundeine Methode, sich warm zu halten. Zum Beispieclass="underline" Besuch der Reptiliengehege im Zoo. Da ist es schön warm. Oder: Eßt Curry! Oder hier, bitte: Denkt an den Kaukasus! Und noch eine ganz spezielle Empfehlung: Gehen Sie mit dem Menschen Ihrer Wahl ins Bett!«

»Hör schon mit England auf«, maulte Jakob. »Wir sind in Deutschland!«

»Und du meinst, hier wird es blühender aussehen?« Wenzel lachte heiser. »Hast du eine Ahnung, Mensch! Überall sieht es beschissen aus! In Übersee! In Nord- und Südamerika! In Japan! Merkst du was?«

»Nein«, sagte Jakob.

»O Gott, Mensch, da hast du doch überall deine Werke! Die Plastikfabriken! Die Fertighausfabriken! Die Kliniken! Die Touristik-Unternehmen! Was glaubst du, was es dich jetzt kostet, zu fliegen oder ein Flugzeug zu chartern – bei dieser Benzinpreiserhöhung? Was glaubst du, wie lange deine Schiffe und Tanker überhaupt noch fahren können? Und womit? Für deine Plastikfabrikate braucht man zur Herstellung Öl! Die Fabriken brauchen Öl! Egal, welche! Egal, wo!«

»Eijeijei«, sagte Jakob.

»Oi weh«, sagte der Jaschke.

»Jetzt endlich geht euch der Arsch mit Grundeis, ja, ihr fröhlichen Idioten!« Wenzel regte sich mehr und mehr auf. »Dein ganzes Imperium kracht bereits, Jakob!«

»Das ist nicht wahr!« Jakob war hochgefahren.

»Und ob es wahr ist! Es kracht in allen Fugen. Die Umsätze sind bereits rückläufig. Die Fabriken, die Kurzarbeit eingeführt haben! Die Riesenaufträge, die storniert worden sind! Alles in den letzten paar Tagen!«

»Aber wieso …«, begann Jakob, und Wenzel unterbrach ihn erbost: »Stell dich nicht noch blöder, als du ohnehin schon bist! Ich habe gesagt, deine Fabriken brauchen Mineralöl, um arbeiten zu können. Weil sich alle Industrienationen des Westens und die meisten des Ostens ganz auf Öl eingestellt haben! Schlimm genug, daß ich euch Arschlöchern das noch erklären muß! Wir sind alle so abhängig vom Nahost-Öl, daß die Araber praktisch mit uns machen können, was sie wollen: die Preise und die Mengen für Öl diktieren – oder es uns überhaupt sperren. Erhöhte Preise genügen bereits. Denn dadurch werden wir mit unseren Produkten saftig teurer werden müssen! Und die Menschen haben Angst um ihr Geld! Sie kaufen weniger und weniger! Ich sage ja, haufenweise storniert sind unsere Aufträge – besonders in der Plastikfabrikation. Weil sie, zum Beispiel, die Autoproduktion eingeschränkt haben, da es nicht genug Benzin zum Fahren gibt. Also brauchen sie auch keine Kunststoffkarosserien oder was immer noch wir an Plastikzeug für ein Auto liefern. Weil es so wenig Öl gibt, ziehen andere ihre bereits erteilten Aufträge für Plastikrohrleitungen zurück – was soll durch die fließen? Das ist ein Teufelskreis. Weniger Aufträge, also weniger Geld. Also haben die Banken Angst um ihre Kredite. Weniger Aufträge, also weniger Arbeit. Also Kurzarbeit oder Entlassungen. Also Arbeitslosigkeit. Also Streiks. Also politische Unruhen. Das internationale Währungsgefüge wird durcheinandergeraten. Der Dollar ist schon runtergesaust. Mit unserer Mark werden wir dauernd andere Währungen stützen müssen! Ich sage euch, wir rodeln mitten in die dickste Scheiße hinein!«