»Eine kleine Ewigkeit, ja«, sagte Jakob, der um jedes Wort ringen mußte. Verflucht, dachte er, so ein Schleimscheißer! Da sitzt er nun, immer weiter die Treppe hinaufgeflogen, dieser Herresschweinehund. Und ich muß das Maul halten und darf das nicht sagen in meiner beschissenen Lage. Was darf ich denn überhaupt sagen? Höchstens – sehr mühsam – das: »Gratuliere, jetzt sind Sie aber wirklich ganz oben!«
»Mein lieber Herr Formann«, sprach der von Herresheim leutselig, »wo ich bin, da ist immer ganz oben.« Weiß Gott, dachte Jakob, ich habe die ganze Welt besiegt, nur den da nicht! Nur den da nicht! Hasenpfote, hilf! Nein, dachte Jakob, grün vor Wut, da kann wohl auch diese wunderbarste aller Hasenpfoten nicht helfen …
Der von Herresheim sprach. Jakob hatte die ersten Worte nicht mitbekommen. Jetzt riß er sich zusammen und sah den ehemaligen Wehrwirtschaftsführer an. Die andern sahen Jakob an.
»… ersuche ich Sie namens der hier versammelten Generalbevollmächtigten der Großbanken, bei denen Sie jeweils Kredite in der Höhe von Hunderten von Millionen aufgenommen haben, in möglichst kurzer Zeit eine konsolidierte Bilanz vorzulegen, in der die neuesten Bilanzen aller Ihrer Unternehmen zusammengefaßt sind.« Herresheim machte eine Pause und ein sehr bedeutendes Gesicht und fuhr dann fort: »Wir erwarten daraus Aufschlüsse über die Abhängigkeit Ihrer Werke von den in Anspruch genommenen Bankkrediten und Ihre Gesamtverschuldung.«
»Was heißt denn das: in möglichst kurzer Zeit?« Es hat keinen Zweck, dachte Jakob. Du sitzt in der Scheiße. Das weißt du. Und das wissen die Bankleute. Und das Herresschwein. Wer in der Scheiße sitzt, ist besser nicht auch noch frech. Also ruhig, Jakob. Besonnen, Jakob. Liebenswürdig, Jakob. »Ich habe allen Banken, mit denen ich gearbeitet habe, jährlich meine Bilanzen vorgelegt, und alle waren stets außerordentlich zufrieden, Herr von Herresheim. Warum waren sie wohl so außerordentlich zufrieden?« Jakob lächelte jetzt der Reihe nach die Bankenvertreter an, die sein Lächeln allerdings nicht erwiderten. »Weil«, beantwortete Jakob seine Frage selber, »die Banken für das Geld, das sie mir geliehen haben, seit vielen, vielen Jahren ungeheure Summen an Zinsen einstreichen, weil ich einer ihrer größten Kunden bin, weil sie an mir gewiß mehr als an den meisten anderen Unternehmern verdient haben, weil ich für sie ein solch potenter Großkunde bin, daß sie sehr oft gar nicht nach den Bilanzen gefragt oder sie, wenn ich sie ihnen zuschickte, gar nicht angesehen haben.«
Die Tür ging auf, und ein Herr im dunklen Anzug, mit Regenschirm (im Hochsommer!) und Melone trat ein.
»Ich bitte vielmals um Verzeihung«, sagte der Gentleman englisch, »aber mein Flugzeug hatte einen Maschinenschaden.«
»Ich bitte Sie, Mister Gregory«, sagte der von Herresheim gleichfalls in englischer Sprache, »wir haben schon einen Anruf aus London erhalten, daß Sie sich verspäten werden. Die Herren kennen einander alle, nicht wahr?« Die Herren nickten. Auch Jakob. Er kannte den Gentleman auch. Der Gentleman war der Generalbevollmächtigte von Sir Derrick Blossoms Bank in London. Die Unterhaltung lief nun englisch weiter, nachdem Mr. Gregory Regenschirm und Melone verstaut und sich gesetzt hatte. »Wir haben Mister Formann gerade gesagt, daß es nötig sein wird, uns binnen kürzester Zeit seine Bilanzen offenzulegen.«
Mr. Gregory nickte.
Was soll ich tun? dachte Jakob. Die Zähne fletschen und knurren wie ein Tiger? Er sagte, an alle gewandt, sehr liebenswürdig: »Selbstverständlich können Sie jederzeit meine Bilanzen sehen, Gentlemen. Ich bin, wenn Sie erlauben, daß ich das sage, indessen denn doch erstaunt über diese Haltung einem Ihrer ältesten Kunden gegenüber, der Ihnen weiß Gott Geld in Massen gebracht hat. Vielleicht darf ich bitten, mir zu sagen, was der Grund für diese … hrm, nun sagen wir … unfreundliche Aufforderung ist?«
»Die Aufforderung ist keineswegs unfreundlich, Herr Formann«, sagte der von Herresheim und lächelte wieder, und alle anderen Herren lächelten nicht und schüttelten die Köpfe.
»Was ist sie denn dann?« fragte Jakob. O Herresheim, o Herresheim, was bist du für ein Riesenschwein!
»Unerläßlich, Herr Formann!« Der von Herresheim stützte die Ellbogen auf den Tisch und preßte die Spitzen der edlen Finger aneinander. »Wir alle wissen, daß die Ölkrise die gesamte Weltwirtschaft in eine üble Lage gebracht hat. Daß die größten Unternehmen schwerste Rückschläge und Einbußen erlitten haben. Daß die seriösesten und ältesten Werke in Schwierigkeiten gekommen sind. Natürlich auch Sie, Herr Formann. Es wäre unsinnig, hierüber zu streiten. Niemand macht Ihnen einen Vorwurf daraus. Unsere Bitte, Ihre Bilanzen vorzulegen, ist kein persönlicher Insult, Herr Formann!«
Alle anwesenden Herren beeilten sich, dies auch ihrerseits Jakob zu versichern. Keine Rede von einem individuellen Mißtrauen.
»So, dann müssen Sie ja jetzt viel zu tun haben, Herr von Herresheim«, sagte Jakob.
»Wieso, Herr Formann, wenn ich fragen darf?«
»Na, wenn – über das CWWDWW – die Banken jetzt von jedem Unternehmer, der bei ihnen Kredite laufen hat, das Offenlegen der Bilanzen verlangen!«
Es folgte eine Stille.
Dann sagte der von Herresheim: »Die Sache ist leider nicht ganz so, wie Sie denken, Herr Formann. Natürlich ersuchen die deutschen und ausländischen« – Verneigung vor Mr. Gregory, dem Generalbevollmächtigten von Sir Derrick Blossoms Bank – »Banken jetzt nicht jeden deutschen Unternehmer, seine Bilanzen vorzulegen.«
»Aber mich schon!«
»Aber Sie schon, Herr Formann.«
»Und warum mich, bitte?«
Der von Herresheim trieb Fingergymnastik. Jedes Wort, das er von nun an sprach, war ein Hochgenuß für ihn, das bemerkte Jakob sehr wohl. Die anderen bemerkten es nicht, weil sie nichts über die private Beziehung Formann-Herresheim wußten. Der hat jetzt was davon, dachte Jakob. Jeder Satz ein Organismus … äh, ein Orgasmus, meine ich.
»Weil uns Informationen vorliegen, daß Ihre Verluste Größenordnungen erreicht haben, die das übliche Maß des durch die derzeitige wirtschaftliche Lage Bedingten und uns Bekannten weit, sehr weit überschreiten.«
»Von wem haben Sie denn überhaupt Ihre großartigen Informationen bekommen?«
»Ach, Herr Formann, grundsätzlich würden wir Ihnen das natürlich nicht verraten. Indessen haben wir das vollständige Einverständnis des Betreffenden dazu, ja sogar seine Bitte, Ihnen dies zu eröffnen.«
»Welches Betreffenden?«
»Desjenigen, der den Banken, mit denen Sie arbeiten und die sich begreiflicherweise angesichts der Irrsinnsbeträge, die Sie aufgenommen haben, zu einem Konsortium vereinigen und gegenseitig rückversichern mußten … desjenigen also, der diesen Banken die zweifellos auch von Ihnen nicht bestreitbare Mitteilung hat zukommen lassen, daß Sie allgemein, insbesondere aber auf dem Gebiet der Plastikindustrie, und das ist ja Ihr Hauptgebiet, schwere, um nicht zu sagen schwerste Verluste hinnehmen mußten …«
Wie im Film blendete die Stimme des von Herresheim etwas aus und wurde leiser, während Jakob fieberhaft dachte: Wer war der Drecksack, der das getan hat? Warum schaut dieser Gregory mich auf einmal nicht mehr an? Hat sich Sir Derrick Blossom entschlossen, mich zu ruinieren? Vierhundert Millionen habe ich bei ihm aufgenommen – gleich nach dem Fest da auf Cap d’Antibes, wo seine liebe Frau, Lady Cordine, mich darum gebeten – sagen wir besser: erpreßt hat. Denn Lady Cordine ist ja nicht wirklich Lady Cordine, sie hat auch schon einmal Laureen Fletcher und, was weiß ich wie oft, noch anders geheißen, ursprünglich Hilde Korn, die ich in Wien in der MP-Wache kennengelernt habe, als dieser junge Lieutenant Connelly sie als ›Werwolf‹ hereingebracht hat. Ei weh, das war also wirklich eine richtige Wölfin, mit der ich dann in Paris den großen Devisenschwindel aufgezogen habe, um anschließend heimlich, still und leise zu meinen Hühnern abzuhauen, als sie nach einer Chinesischen Schlittenfahrt noch geschlafen hat, da in Paris, im HÔTEL DES CINQ CONTINENTS? Ist das die (späte) Rache einer verlassenen Frau?