Jakob sagte: »Das ist natürlich Unsinn.«
»Das werden Ihre Bilanzen zeigen, Herr Formann.«
»Selbstverständlich. Nur: Sie haben erklärt, Herr von Herresheim, daß jene … Persönlichkeit geradezu darum gebeten hat, ihren Namen zu nennen, wenn ich Sie recht verstehe?«
»Sie verstehen mich völlig recht.«
»Dann können Sie mir also den Namen dieser … Persönlichkeit nennen?«
(Sir Derrick kann nichts dafür. Der war nur Werkzeug. Das Miststück, das mir das angetan hat, ist seine Frau!)
»Aber gewiß, wenn Sie es wünschen.«
»Natürlich wünsche ich es. Also, wer war es?«
»Es war«, sagte der von Herresheim und lehnte sich seufzend vor Genugtuung (jetzt kommt’s ihm wieder, dachte Jakob) in seinen Sessel zurück, »der Besitzer einer Bank, mit der Sie gar nicht zusammengearbeitet haben, der Ihre Geschäfte jedoch aus dem Effeff kennt.«
»Wie kann eine Bank, mit der ich niemals zusammengearbeitet habe … Wie heißt diese Bank?«
»FORTUNA.«
»Nie gehört.«
»Es ist eine sehr kleine Bank. Eine Privatbank. In Wien. Sie gehört Herrn Franz Arnusch«, sagte der von Herresheim. »Herr Arnusch war es, der alle Banken, deren Vertreter vor Ihnen sitzen, alarmiert hat mit präzisesten Informationen über Ihre desolate Lage.«
»Der Arnusch Franzl«, sagte Jakob fassungslos. Die versammelten Herren sahen ihn schweigend an.
61
Der Arnusch Franzl.
Dieses monströse Schwein!
Dem ich die Gründung seiner Scheißbank überhaupt erst ermöglicht habe durch mein kleines Geschenk von fünfundsiebzig Millionen Schilling.
Mein Schulfreund!
Mein Generalbevollmächtigter für das gesamte Finanzwesen … ojweh. In dieser Funktion habe ich ihn doch damals, nach dem mißglückten Afrika-Geschäft (das er mir auch eingebrockt hat!) rausgeschmissen, weil er die üblen Schwindeleien mit den verschobenen Geldern organisiert und zuviel für sich eingesteckt hat. Und die Steuer um Hunderte von Millionen beschissen! So viele Millionen, daß ich sie nie hätte bezahlen können, wenn sie mir draufgekommen wären. Weshalb ich jetzt nur auf den Franzl losgehen und alles erzählen müßte, um sofort und mit absoluter Sicherheit auf die Schnauze zu fallen – aber wie! Großer Gott, was würde die Steuer sagen, wenn sie wüßte … Das hat er sich fein ausgedacht, der Arnusch Franzl, wahrlich wunderfein. Er hat sich also gerächt. Dem Werwolf habe ich Unrecht getan. Aber in der Scheiße sitze ich so oder so. Dieser gottverfluchte Hund von einem Franzl!
Jakob riß sich zusammen.
Jetzt nur nichts anmerken lassen! Alle lauern darauf, daß ich vielleicht zusammenbreche, heule, um Gnade winsle. Da können sie lange warten! Jakob wiegte den Kopf.
»Schau an, schau an, der Arnusch Franzl«, sagte er sanft. »Ausgerechnet der. Wer hätte das gedacht? Na ja, man erlebt halt immer noch Überraschungen …« Er sah in acht ernste Gesichter, die auf seine nächste Reaktion warteten. Er sagte fröhlich: »Vielen Dank für die prompte Auskunft, Herr von Herresheim.«
»Gerne geschehen, Herr Formann.«
»Somit, meine Herren, bleibt mir im Augenblick nichts mehr übrig als …« Jakob erhob sich, warf allen rundum einen tiefen Blick zu und ging langsam auf die Tür zu »… Ihnen Johann Wolfgang von Goethe, ›Götz von Berlichingen‹, dritter Akt, siebente Szene, ans Herz zu legen.« Damit verschwand er.
Offener Aufruhr brach aus.
Alle schrien durcheinander.
»Götz von Berlichingen!«
»Unverschämtheit!«
»Anzeigen, den Kerl!«
»Beleidigung!«
»Uns den Götz …!«
Es gab eine erlesene Klassikerbibliothek im Gebäude des CWWDWW. Alle Herren stürzten dorthin, um die Beleidigung wörtlich zu lesen, bevor sie Anzeige gegen Jakob erstatteten.
Da stand der Goethe. Achtzehn Bände. Hastige Sucherei. Dann hatten sie den ›Götz‹. Dann hatten sie den dritten Akt. Dann hatten sie die siebente Szene. (Jaxthausen.) Dann hatten sie die berühmten Schlußsätze:
›Sag deinem Hauptmann: Vor Ihro Kayserlichen Majestät hab ich, wie immer, schuldigen Respekt. Er aber, sag’s ihm, er kann mich im Arsche lecken!‹
Neuerlicher Aufruhr.
Sofortiges Vorsprechen beim Anwalt des CWWDWW.
Dieser, ein äußerst honoriger Herr, rief Jakob eine Stunde später im DOM-HOTEL an und stellte ihm anheim, sich augenblicks mündlich und schriftlich zu entschuldigen, ansonsten er, der Anwalt, namens seiner zahlreichen illustren Klienten auf der Stelle Anzeige wegen gröblichster Beleidigung erstatten werde.
»Ich entschuldige mich mitnichten, Herr Rechtsanwalt«, sagte Jakob am Telefon.
»Mitnichten? Gut! Dann werden Sie sich die Folgen selber zuzuschreiben haben.«
»Ich werde mir gar nichts zuzuschreiben haben«, antwortete Jakob liebenswürdig. »Ich habe gesagt: ›Götz von Berlichingen, dritter Akt, siebente Szene.‹«
»Na ja, und da steht zum Schluß …«
»Vom Schluß habe ich nichts gesagt«, erklärte Jakob. »Lesen Sie die ganze siebente Szene des dritten Aktes, verehrter Herr Rechtsanwalt. Sie werden finden, daß – nur kurz vor dem Ende! – Götz zu Maria sagt: ›Wir werden uns verteidigen, so gut wir können.‹«
»Wa … was sagt Götz?«
»›Wir werden uns verteidigen, so gut wir können‹«, wiederholte Jakob mit Genuß. »Diese Stelle habe ich natürlich gemeint. Grüß Gott, Herr Rechtsanwalt.«
Natürlich hatte Jakob niemals im Leben den ganzen ›Götz‹ oder auch nur ein ganzes Epigramm, geschweige denn ein ganzes Gedicht von Goethe gelesen. Nur nach Götzens grobem Gruß hatte er gesucht. Und bei dieser Gelegenheit jene andere, von ihm mit soviel Erfolg zitierte Stelle entdeckt. Danach interessierte ihn Goethe nicht mehr. Doch Jakob war selig gewesen, von da an stets einen kleinen Scherz zur Hand zu haben.
Nun hatte er ihn also wieder einmal zur Hand gehabt.
Ach was, dachte er, ganz der alte Jakob, es wird alles nicht so heiß gegessen und so weiter. Ich komme schon wieder raus aus dieser Klemme. Ich bin immer noch aus allen Klemmen rausgekommen! Rutscht mir doch alle den Buckel runter! Genug für heute! Jetzt gehe ich in das Nebenappartement. Da wartet Natascha auf mich, meine geliebte Natascha. Die weiß, wer ich bin! Die weiß mich zu schätzen! Und der werde ich es jetzt besorgen!
62
»Aber das macht doch nichts, Darling«, sagte Natascha Ashley eine Stunde später. Nackt lag sie auf dem großen Bett in Jakobs Appartement, rauchte eine Zigarette und streichelte tröstend den Arm eines leise keuchenden, schweißbedeckten, gleichfalls nackten Jakob, der, am Bettrand sitzend, die Beine und andere Dinge hängen ließ. »Du bist überarbeitet, da ist es doch kein Wunder! Ich habe so etwas schon lange erwartet. Raubbau treibst du mit deiner Gesundheit. Das hält kein Mensch von der Welt aus … So sag doch endlich auch etwas, Darling!«
Ja, Darling, dachte Jakob. Darling, Scheibenhonig! So was ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert! Noch nie! Und dabei war Natascha heute bereit, mir alles zu gewähren, sogar eine …
»Du sollst etwas sagen, Darling!« Jetzt hatte Natascha sich aufgerichtet. »Warum mußtest du dich in deiner Überarbeitung auch noch derartig verausgaben mit dem Versuch einer Chinesischen Schlittenfahrt?«
Jakob erstarrte zu Eis.
»Was ist denn, Darling? Was hast du?«
Er brachte kein Wort heraus.
»Jake! Mach mich nicht verrückt! Bist du krank?«
Kaum hörbar kam es über unseres Freundes Lippen: »Hast du Chinesische Schlittenfahrt gesagt?«
»Ja, natürlich! Die hast du doch mit mir machen wollen! Nur daß es nicht geklappt hat. Ich sage dir doch, das macht nichts, Darling, das …«
»Du …« Er mußte noch einmal ansetzen. »Du … weißt, was das ist, eine Chinesische Schlittenfahrt?«
Natascha sah ihn mitleidig an.
»Aber Jake, Darling, natürlich weiß ich, was das ist, eine Chinesische Schlittenfahrt. Das weiß doch jedes Kind!«
»Jedes Kind …«, wiederholte er blödsinnig.
»Entschuldige, Jake.«
»Was?«