Es war ein schöner, sonniger Tag, noch sehr warm, und Jakob sah nicht mehr so feierlich angezogen aus, sondern vielmehr recht sportlich-salopp. Er hielt die Lenkstange mit einer Hand. In der anderen hielt er ein Schmalzbrot, das man ihm im DOM-HOTEL zubereitet hatte. Schmalzbrote waren inzwischen der letzte Schrei geworden. »Das Beste, was ich kenne«, hatte Marlene Dietrich einem Reporter gesagt. Man denke!
Jakob war ganz ruhig, denn was nun kam, wußte er genau. Also wozu sollte er sich noch aufregen? Prima Schmalzbrot, dachte er, radelnd, genau die richtige Menge Grieben …
Man wartete bereits auf ihn. Die Bankmenschen, allen voran der von Herresheim, sahen Jakob mit starren Gesichtern entgegen. Also haben sie die Bilanzen brav gelesen, dachte der befriedigt und lächelte sie sonnig an. Das Lächeln blieb unerwidert. Die Mienen verhärteten sich noch mehr. Vermutlich nehmen sie mir meine sportliche Kleidung übel, dachte Jakob und steuerte auf seinen Sessel vom letzten Mal zu. Danach geschah eine ganze Weile nichts.
Dann sagte der von Herresheim: »Tja, Herr Formann, das sieht ja bös aus.« Er sagte es mit Genuß. Und auf englisch. Mr. Gregory war wieder mit von der Partie.
Jakob nickte ihm freundlich zu.
»Das sieht ja noch viel böser aus, als wir gedacht haben, Herr Formann!«
»Mhm«, machte Jakob.
»Sonst haben Sie nichts zu sagen?« Der von Herresheim sah ihn an mit einem Stahlblick made in Germany.
»Ja, also wenn Sie mich so fragen, eigentlich nicht, Herr von Herresheim«, sagte Jakob liebenswürdig. Komisch, dachte er. Vor fast dreißig Jahren habe ich ihn gehabt. Dann habe ich ihn verloren. Und jetzt ist er plötzlich wieder da. Mein lieber stiller Leckt-mich-am-Arsch-Standpunkt! Er betrachtete die Bankmenschen einen nach dem andern. Vor jedem lagen stapelweise Papiere – Kopien seiner Bilanzen. Sie alle starrten ihn nun an – die Skala des Ausdrucks reichte von nacktem Grauen über absolute Fassungslosigkeit bis zu totaler Verachtung. Das fand Jakob besonders komisch.
»Ihre Bilanzen weisen unfaßbar hohe Verluste aus!«
»Mhm.«
»Die Verluste bei den Plastikwerken sind, wie ja Herr Arnusch schon angedeutet hat, geradezu grauenerregend.«
»Mhm.«
»Sagen Sie einmal, Herr Formann, was soll denn überhaupt dieses dauernde Mhm?«
»Das dauernde Mhm, Herr von Herresheim, soll bedeuten, daß ich Ihre Erschütterung und die …« Rundverneigung im Sitzen »… Erschütterung all der anderen Herren voll und ganz teile. Es ist tatsächlich eine Katastrophe, wie es um meine Bilanzen steht.«
»Wie es um Sie steht, meinen Sie, Herr Formann!«
»Oder wie es um mich steht, wenn Ihnen das besser gefällt, Herr von Herresheim!«
»Herr Formann, ein Fabrikgebäude, ein Werksgelände und Spezialmaschinen sind, wenn sie mit Gewinn arbeiten, natürlich sehr viel wert. Wenn sie jedoch – wie bei den allermeisten Ihrer Anlagen in der ganzen Welt – mit Verlust – und mit was für Verlusten, mein Gott! – oder gar nicht arbeiten, dann sind sie überhaupt nichts wert!«
»Mhm. Pardon. Ich wollte sagen, da haben Sie vollkommen recht, Herr von Herresheim.« Diesmal berührte Jakob die Hasenpfote erst gar nicht. Daß sie diesmal nichts mehr retten konnte, war sonnenklar. Und wieder überkam ihn das schöne alte Gefühl seines Nachkriegsstandpunkts. Na schön, alles hin, alles weg. Er konnte das einfach nicht ernst nehmen, beim besten Willen nicht.
Der von Herresheim regte sich mehr und mehr auf, und das gefiel Jakob natürlich.
»Wenn solche Werke mit Verlust oder gar nicht arbeiten, sind sie nur Steinhaufen, Herr Formann, und die Maschinen sind Schrott!«
»Schrott«, echote Jakob.
»Denn dann können Sie …« Der von Herresheim steigerte sich ob Jakobs Gleichmut und solch verblödeten Grinsens und Redens in immer größere Erregung, »… denn dann können Sie mit diesen Werkhallen überhaupt nichts anfangen! Sie können keine Wohnhäuser daraus machen! Sie können überhaupt nichts anderes daraus machen! Sie können keine andere Branche da unterbringen! Sie können so ein Ding nicht einmal abreißen, um den nackten Grund und Boden zu verkaufen, weil Sie ja auch dabei Geld verlieren würden! Also ist das alles, was Sie da aufgebaut haben, nicht nur nichts wert, sondern verursacht für Instandhaltung und so weiter dazu auch noch außerordentlich hohe Kosten!« Der von Herresheim schwitzte jetzt.
»Mhm«, machte Jakob. »Ich meine, Sie haben absolut recht, lieber Herr von Herresheim.«
»Damit ist der Verkehrswert aller Ihrer Unternehmen ungeheuerlich gesunken – und damit sinken die Sicherheiten der Banken, die all das finanziert haben, ebenfalls ganz ungeheuerlich.«
»Tja, leider.« Jakob betrachtete interessiert seine Fingernägel.
»Herr Formann!« kreischte der von Herresheim.
»Ich bitte vielmals, Herr von Herresheim?« Jakob warf ihm einen sanften Blick zu.
»Wollen Sie mich … wollen Sie uns alle hier … provozieren?«
»Um nichts in der Welt, meine Herren! Wie käme ich denn dazu?« sagte Jakob überhöflich.
»Ja, ist Ihnen dann denn nicht klar, wie man bei all diesen Banken, die Ihnen mit unzähligen Millionen den Aufbau Ihres Imperiums überhaupt erst ermöglicht haben, sich jetzt fühlen muß?«
»Herr von Herresheim, ich glaube schon, daß es mir klar ist.«
Unruhe unter den Bankern, Ausrufe von Unmut.
»Und was haben Sie also vorzuschlagen?«
»Ich weiß nicht … Was den Herren am liebsten ist. Mir ist alles recht«, sagte Jakob. Jetzt grinste er offen.
»Das ist ja unerträglich!« schrie der von Herresheim. »Dann will ich Ihnen einmal sagen, was die Banken vorschlagen.«
»Was schlagen sie denn vor?« erkundigte sich Jakob mit übertriebener Neugier.
»Die Banken wollen keine Fabriken, keine Werke, die nicht gehen, die Banken wollen, und das mit Recht, von Ihnen ihre Zinsen aus den Millionendarlehen und die Beträge für die Tilgung weitererhalten! Es ist jedoch sonnenklar, daß Sie dazu nicht in der Lage sind – oder?«
»Nein.«
»Was, nein?«
»Nein, Herr von Herresheim, dazu bin ich nicht in der Lage«, sagte Jakob zu dem ehemaligen Wehrwirtschaftsführer, der es so weit gebracht hatte.
»Sie sind nicht flüssig?«
»Sehe ich so aus?«
»Herr Formann!«
»Ich habe doch nur auf Ihre Frage geantwortet. Wahrheitsgetreu. Ich darf doch jetzt nur noch die Wahrheit sagen«, erklärte Jakob. »Nein, ich bin nicht flüssig. Es tut mir leid, meine Herren, die Sie alle mit mir so viele Jahre lang so viel schönes Geld verdient haben, aber jetzt ist Schluß. Jetzt können Sie mit mir kein Geld mehr verdienen. Jetzt bin ich pleite.«
»Jetzt sind Sie …« Der von Herresheim rang nach Atem, Jakob sah es mit Freude.
»Pleite, ja.«
»Sie haben den Mut, das so offen auszusprechen?«
»Entschuldigen Sie, aber wie soll ich es denn sonst aussprechen? Nein, nein, bitte erregen Sie sich nicht weiter! Sagen Sie es mir, wenn ich mich falsch ausgedrückt habe. Sagen Sie mir, wie ich mich ausdrücken soll, Herr von Herresheim. Ich drücke mich dann sofort ganz genauso aus. Ich tue Ihnen doch jeden Gefallen!«
Der Aufruhr unter den Versammelten konnte vom Präsidenten des CWWDWW erst nach drei Minuten gebändigt werden.
Herr von Herresheim hatte größte Mühe, an sich zu halten und das zu formulieren, was er sagen wollte: »Sie können nicht einmal die Zinsen für die Bankdarlehen aufbringen?«
»Wie sollte ich das können, Herr von Herresheim?«
»Sie wissen, daß das ein zwingender Grund für Sie ist, Konkurs anzumelden?«
»Gewiß, Herr von Herresheim«, antwortete Jakob.
Die anderen Herren saßen nun wieder wie erstarrt da.
»Sie werden also zum Konkursgericht gehen!«
»Was bleibt mir denn anderes übrig?«
»Sie wissen, daß Sie dort alle Ihre Aktiva, aber vor allem Ihre Schulden, bekanntgeben müssen …«
»Weiß ich, Herr von Herresheim.«