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»… und zwar nicht nur Ihre Fabriken und Ihre Schiffe, überhaupt alle Ihre Unternehmen, Ihre Hühnerfarmen zum Beispiel! Auch Ihren privaten Besitz! Ihre Villen! Ihr Geld! Ihre Autos! Die Jacht! Die Schlösser! Einfach alles! Sie können ja nicht einmal Ihre Zahlungsbereitschaft wiederherstellen, Sie können weder die Zinsen noch die Kreditrückzahlungen aufbringen. Sie werden den Offenbarungseid leisten müssen. Wissen Sie das eigentlich?«

»Lieber Herr von Herresheim, ich bin doch kein kleines Kind«, gab Jakob bekannt. »Natürlich weiß ich das. Und wenn ich alles angemeldet habe, dann wird alles versteigert, verkauft oder sonstwie zu Geld gemacht bis auf ein paar Anzüge und Schuhe und Wäsche, und die Herren Banken stellen einen Antrag, ihnen diese ganzen Werte, die ich angegeben habe und die gepfändet sind, zu übertragen, weil ich doch solche Schulden bei ihnen habe, nicht wahr, und so können die Herren Banken versuchen, wenigstens einen Teil ihres Geldes zurückzukriegen …«

»Herr Formann, wenn Sie glauben, daß das hier ein Spaß ist, dann will ich Ihnen etwas sagen …«

»Ich glaube ja gar nicht, daß das hier ein Spaß ist«, sagte Jakob voller Unschuld. Aber der von Herresheim war jetzt zu sehr in Fahrt, als daß er noch hätte stoppen können. Er schrie weiter: »… Im Konkurs werden Ihre Machenschaften aufgedeckt werden! Wir werden schon feststellen, was Sie mit unserem Geld angestellt haben. Den Offenbarungseid schwören werden Sie! Und das wird dann in allen Zeitungen der Welt stehen! Auch in der OKAY! Mit dicken Überschriften! Wollen Sie das auch?«

»Natürlich will ich das auch, lieber Herr von Herresheim. Bloß: OKAY gehört mir nicht mehr. Aber sonst müssen sie wirklich groß sein.«

»Wer?«

»Die Überschriften in den Zeitungen der ganzen Welt. Das wäre mein inniger Wunsch!«

Der von Herresheim rang nach Luft.

»Sie wagen es, sich in Ihrer Situation auch noch lustig zu machen über uns?«

»Keine Spur, Herr von Herresheim. Ich will doch immer nur das tun, was den Herren von den Banken, die ich so furchtbar geschädigt habe – mein Gott, rote Teppiche haben sie früher für mich ausgerollt, wenn ich gekommen bin, um Millionenkredite aufzunehmen, so glücklich waren sie, und jetzt habe ich alle so entsetzlich enttäuscht … Wo war ich? Ach ja! Also, wie gesagt, ich will doch ganz gewiß nur das tun, was den Herren von den Banken am nützlichsten und angenehmsten ist!«

Die Bankherren sprachen schon die ganze Zeit halblaut miteinander. Jetzt sagte einer etwas zu dem von Herresheim. Der von Herresheim nickte und sprach mit bebender Stimme: »Um Sie nicht derart vor der Öffentlichkeit bloßzustellen, Herr Formann, sind die hier versammelten Bankenvertreter bereit, Ihnen den schmachvollen Weg zum Offenbarungseid zu ersparen.«

»Da danke ich aber tausendmal, meine Herren, Sie sind wirklich zu gütig«, sagte Jakob.

»Allerdings verlangen wir von Ihnen, sogleich alle Ihre Werke, Ihre Schiffe, Ihre Hühnerfarmen, die Investment- und Touristikfirmen, das Großklinikum, die übrigen Kliniken, Ihre Aktien und so weiter und so weiter und Ihren gesamten persönlichen Besitz, also die Flugzeuge, Häuser, Schlösser, für die Ihnen gewährten Kredite herauszugeben und in eine Auffang-GmbH der Banken einzubringen.«

»Das ist wahrlich sehr großzügig von Ihnen, meine Herren!« Jakob wischte sich Tränen, die nicht existierten, aus den Augen. »Bitte, bedienen Sie sich! Ich danke Ihnen von ganzem Herzen!«

Wieder Stille.

»Na, was ist denn?« fragte Jakob schließlich. »Keine Angst, ich meine es so, wie ich es sage. Und ich bin nicht, wie Sie offenbar denken, verrückt geworden! Ich bin ganz normal!«

»Nun gut«, sprach der von Herresheim, der kaum noch richtig sprechen konnte, »dann soll es also auf diese Weise geschehen. Die Banken werden Ihren gesamten Besitz übernehmen und versuchen, das Beste daraus zu machen. Immerhin, eine kleine Wiederbelebung der Wirtschaft – gerade auf dem Plastiksektor, aber auch ganz allgemein – ist schon zu spüren …«

»Eben«, sagte Jakob.

»Was soll denn das heißen?«

»Nichts, nichts. Verzeihen Sie. Ah ja, richtig, und bitte nicht vergessen: Ich bin der allein Schuldige, der allein Haftbare! Weil ich es in meiner grenzenlosen Verantwortungslosigkeit verschmäht habe, meinen Unternehmen die entsprechend günstigen Rechts- oder Gesellschaftsformen zu geben, durch die ich jetzt nur zu einem Teil oder vielleicht überhaupt nicht haftbar wäre. Ich bin aber haftbar, ich allein! Und es ist nur gerecht, daß man mir alles wegnimmt. Gerade wo sich die Wirtschaft jetzt wieder erholt. Ich schlage vor, daß jetzt, da ja für diese Riesen-Konkursmasse so etwas wie ein Verwalter eingesetzt werden muß, der alles zum Heile der Banken tut und der die Geschicke meiner Unternehmen weiter in hoffentlich für die Banken segensreiche Bahnen lenkt, daß jetzt Sie, Herr von Herresheim, der Mann sind, der eingesetzt wird!«

»Herr Formann, wenn Sie frech werden …«

»Ich werde nicht frech! Ich meine es so, wie ich es sage! Wer wäre besser geeignet für diesen Posten als Sie?«

Der von Herresheim sah Jakob mit flackernden Augen an.

Einer der Banker sagte: »Da hat Formann recht, Herr von Herresheim. Sie sind der Mann, an den auch wir alle gedacht haben.«

»Sehen Sie?« sagte Jakob.

Der von Herresheim mußte sich setzen. Und ein Glas Wasser trinken. Er brauchte eine Erholungspause.

Nachdem er seiner Stimme wieder mächtig war, begann er zu verlesen, was alles Jakob nun von den Banken abgenommen werden sollte.

Jakob hörte aufmerksam zu und erlaubte sich zuletzt, den von Herresheim auf etwas aufmerksam zu machen: »Bitte vielmals um Entschuldigung, aber es muß doch alles seine Ordnung haben, nicht wahr? Herr von Herresheim. Sie haben meine Strumpfhosenfabriken vergessen. Die gehören jetzt ja auch nicht mehr mir.«

Der von Herresheim konnte nur stumm nicken.

Zuletzt mußte Jakob zahlreiche Unterschriften leisten, dann war er sein Weltreich los. Demütig hob er den Kopf ein wenig.

»Einen letzten Wunsch hätte ich noch …«

»Welchen?« ächzte der von Herresheim.

»Ich bin mit einem Fahrrad hergekommen. Ist es sehr unverschämt, wenn ich bitte, dieses Fahrrad behalten zu dürfen?«

»Sie dürfen es behalten«, sagte der von Herresheim, fast unhörbar. Er zitterte am ganzen Körper.

Nach den Unterschriften ging alles in ein paar Minuten zu Ende. Der von Herresheim fragte Jakob, ob er noch ein Schlußwort sprechen wollte.

»Ja, bitte.«

»Dann sprechen Sie es, Herr Formann!«

Und Jakob sprach es. Er sagte, nachdem er auf den von Herresheim zugegangen war und ihm nun markig die Hand schüttelte: »Ich möchte mich noch herzlich bei Ihnen bedanken, Herr Wehrwirtsch … entschuldigen Sie, Herr von Herresheim wollte ich natürlich sagen. Wirklich, von ganzem Herzen!«

»Wofür?« hauchte der von Herresheim.

»Dafür«, sagte Jakob, »daß Sie mir diese ganze miese Scheiße abgenommen haben. Jetzt können Sie sich damit herumschlagen, und ich bin endlich wieder ein glücklicher, freier Mensch ohne Sorgen!«

64

›Ich fühl’ mich nicht zu Hause …‹

Es ist wirklich furchtbar, wie so ein Satz einem im Gehirn herumkriechen kann wie ein Wurm im Apfel und man andauernd an diesen Satz denken muß. Grauenhaft ist das!

›Ich fühl’ mich nicht zu Hause …‹ – so lautete ein Satz aus einem Lied auf einer Schallplatte, die Mojshe Faynberg dem Jakob vor einiger Zeit geschenkt hatte. ›Nichtarische Arien‹ hieß diese Platte, und die Lieder auf ihr, die Musik und die Texte, stammten – natürlich! – von einem Wiener namens Georg Kreisler.

Früher, vor vielen, vielen Jahren, existierten bei uns wunderbare jüdische Witze. Diese jüdischen Witze hatten alle eines gemeinsam: Sie waren so lustig, daß man über sie vor Lachen brüllen, und dabei so traurig, daß man über sie vor Kummer weinen mußte. Das macht den guten jüdischen Witz aus. Wir werden hier nicht erklären, warum es heute fast keine derartigen Witze mehr gibt – es will doch keiner hören.

Nun, die Lieder auf Kreislers Platte sind genau so, wie die besten jüdischen Witze es gewesen sind: lustig, weise und traurig – alles in einem! Ein Lied handelt von einem armen Juden, der nichts hat und nichts ist und gedemütigt und verachtet wird von allen in seinem Städtel und der zu seiner Schwester nach Berlin eingeladen wird, wo es ihm glänzend gehen könnte, aber leider, er fühlt sich nicht zu Hause. Und so nimmt er die Einladung seines Bruders nach New York an, da könnte es ihm noch besser gehen als in Berlin, aber leider, er fühlt sich nicht zu Hause. Und so nimmt er die Einladung seines Schwagers nach Buenos Aires an, und da könnte es ihm noch viele Male besser gehen, aber leider, er fühlt sich auch da nicht zu Hause. Und deshalb reist er in seine wahre Heimat Israel, aber leider, auch hier fühlt er sich nicht zu Hause. Und so kehrt er schließlich in sein Städtel zurück, aus dem er auszog, und hier schaut man ihn nicht an, und hier verachtet und verhöhnt und demütigt man ihn – und hier endlich fühlt er sich dann zu Hause!