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24

»Jakob! He, Jakob, wach auf!«

Unser Freund fuhr empor. Jemand rüttelte ihn am Arm und watschte ihn sanft ab. Er schlug die Augen auf. Über ihn geneigt stand, verschmierte Schokolade um die bläulichen Lippen, der Franzl Arnusch.

»Was ist? Wer hat …?« Jakob brauchte einige Zeit, um zu sich zu kommen.

»Warum bist du wie ein Irrer weggestürzt, als du mich gesehen hast?«

Der Franz Arnusch sagte nur: »Komm mit!«

»Wohin?«

»Zum Boß. Er will dich sehen. Unbedingt.«

»Ich gehe jetzt schlafen. Dein Boß hat wohl nicht alle!«

»Jakob, das ist ein Befehl!«

»Für wen ein Befehl?«

»Für mich! Ich habe den Befehl, dich zum Boß zu bringen!«

Leise wiegend jagte der Zug nun dahin, durch den Sturm, die Nacht, den Schnee.

»Dein Boß kann mich mal … Ich laß mir nix befehlen! Ich weiß ja überhaupt nicht, wer das ist!«

»Jakob, du bist erledigt, wenn du nicht kommst!«

»Schon gut, Burschi. Geh zur Seite. Ich will mich ausziehen.«

»Herrgott, Jakob, verstehst du nicht? Du bist erledigt, wenn du nicht zum Boß kommst!«

»Hab’s gehört«, antwortete Jakob, aus seinen Hosen steigend.

»Herrgott, und ich bin auch erledigt!« schrie der nervöse Devisenfachmann auf. »Willst du nicht wenigstens wissen, wieso ich überhaupt hier bin und einen Boß habe, und wieso ich nicht mehr im Gefängnis sitze?«

Jakob ließ sich, nur halb bekleidet, auf das untere Bett fallen.

»Ach so, ja! Wieso sitzt du nicht mehr?«

Der Franzl schloß die Abteiltür, ließ sich neben Jakob sinken und erzählte, warum er nicht mehr saß …

25

Der Schlüssel der Zellentür im Wiener Landesgericht drehte sich geräuschvoll im Schloß. Die Zelle teilte Franzl schon seit vier Monaten mit einem ehemaligen Gauredner und Goldenen Parteigenossen. Die beiden hatten sich rasch befreundet und spielten gerade eine Partie Schach. Nun blickten sie interessiert auf. Man schrieb den 22. April 1946.

Der ihnen bekannte freundliche Wärter mit dem Glasauge ließ einen Herrn in Schlotterzivil eintreten.

»Tut mir leid, daß ich stören muß«, sagte der Schlotterzivilist (er schlotterte, abgemagert, in einem alten Anzug, der ihm einmal gepaßt hatte), »aber ich habe mit Ihnen zu sprechen, Herr Arnusch. Sie, Herr Gloggnitz, möcht’ ich bitten, inzwischen mit dem Herrn Wärter draußen auf dem Gang zu warten. Dies ist ein Gespräch unter vier Augen!«

»Scheiße«, sprach der Arnusch Franzl, »in drei Zügen wären Sie matt gewesen, Herr Gloggnitz. Na ja, wie es eben so geht im menschlichen Leben.« Die Redensart liebte der Franzl und gebrauchte sie häufig. Seine Zellentür fiel zu. Der Schlüssel drehte sich wieder. Dort, wo der Gauredner gesessen hatte, saß jetzt der Schlotterzivilist. Er sah sich das Schachbrett an und schüttelte den Kopf.

»Wie kann der Trottel seinen König derartig bloßstellen?«

»Nicht wahr? Und so was war Gauredner! Wundert es Sie da, daß wir den Krieg verloren haben? Übrigens, mit wem habe ich die Ehre?«

»Doktor Schostal«, sagte der Abgemagerte.

»Aha«, sagte Franzl.

»Von der österreichischen Zollbehörde! Ich komme im Auftrag des Alliierten Kontrollrats!«

»Aha«, sagte der Franzl zum zweitenmal.

»Ich komme ohne jeden Umschweif zur Sache«, versprach Dr. Schostal. »Sie«, er stach mit einem Finger nach Franzl, »Sie kennen doch alle prominenten Schieber in Österreich und in Deutschland. Die Großen und die Kleinen. Die Devisenschieber! Auf dem Gebiet sind Sie doch ein Genie!«

»Was ist los? Wollen Sie mir Komplimente machen?«

»Genau das will ich. Wir suchen sie, diese ganz großen Schieber! Merken Sie noch immer nichts?«

»Ich glaube schon«, sagte der Franzl.

»Na also! Dann kommen Sie doch zu uns, Herr Arnusch! Wir brauchen Sie!«

Eine halbe Stunde später (es mußten noch gewisse Bedingungen festgelegt werden, die Franzl stellte), verließ Jakobs Schulfreund in Begleitung Dr. Schostals die Zelle.

»Auf Wiedersehen«, sagte der freundliche Wärter aus purer Gewohnheit. Das irritierte den Franzl ein wenig.

Er wurde (als Tarnung) Chef eines Teams zur Bekämpfung des Zigaretten-Schwarzhandels. Daneben hatte er Spezialaufträge, die ganz großen Devisenschieber betreffend. Zu diesem Zweck erhielt er Pässe, Ausweise, Visa, die Erlaubnis zu reisen und Geld.

Nun reiste der Franzl. Viel und weit!

Er kümmerte sich aber auch um die nicht so Großen, zum Exempel eben um die Zigarettenschieber. Mit drei echten Zollbeamten ging er auf Pirsch. Bei Schwechat, in der Nähe von Wien, wo dreißig Jahre später ein gewaltiger Flughafen stehen sollte, machten sie einen fetten Fang: Sie erwischten einen Lastwagen mit zwei Millionen Zigaretten. Die drei echten Zollbeamten freuten sich und dachten an Beförderung. Der Franzl klärte sie auf: »Unter- oder Oberbeamter, das ist doch alles Unsinn! Titel sind leerer Wahn. Geld allein macht glücklich. Eine Million behalten wir uns, die andere liefern wir ab.«

So geschah’s. Alle waren zufrieden.

Einen zweiten Laster erwischten sie bald danach, als dessen Motor, mit der schweren Fracht den Riederberg heraufkeuchend, streikte und der Fahrer aussteigen mußte. Das Team war rasch zur Stelle und beschlagnahmte drei Millionen Zigaretten. Franzl teilte brüderlich. »Glatte Rechnung, gute Freunde«, sagte er. »Der Staat kriegt nichts, denn der Staat ist nicht unser Freund …«

26

»Das waren natürlich kleine Fische«, erzählte Franzl seinem Schulfreund Jakob, der wieder hellwach geworden war, indessen die Achsen des Waggons hetzten und die Pfeife der Lokomotive klagend schrie. »Die Großen mit den Devisen, das ist mein Rebbach, nach wie vor! Mein ursprüngliches Gebiet, nicht wahr? Ich arbeite schwer, mein Lieber. Dauernd unterwegs. Ab und zu muß ich halt auch so einen Devisenschieber hochgehen lassen! Da blutet mir jedesmal das Herz! Aber es lohnt sich! Ich habe interessante Verbindungen angeknüpft. Unsere Aktionen erstrecken sich bereits fast über ganz Europa.«

»Was kann man dabei verdienen?«

»Millionen, mein Bester, Millionen! Wir haben aber auch ein Millionen-Dollar-Gehirn als Boß, kann ich dir sagen. Der will dich sprechen. Und da sagst du nein?«

»Wer hat nein gesagt?« erkundigte sich Jakob.

(Gebt mir sieben Jahre Zeit …)

»Du!«

»Da mußt du dich aber verhört haben, mein Guter.« Jakob kroch wieder in seine Hosen und machte sich präsentabel. Was für eine unruhige Nacht … »Wo müssen wir hin?«

»Nach vorn. Übernächster Wagen. Erste Klasse. Einzelabteil.«

»Vorwärts, Kamerad«, sagte Jakob.

Nachdem sie ihr Abteil versperrt hatten (es gab so viele kriminelle Subjekte in jenen Tagen!), schlingerten sie zum übernächsten Wagen vor. Hier klopfte der Franzl an eine Abteiltür, dreimal lang, einmal kurz, zweimal lang. Die Tür ging auf.

»Da ist Herr Formann, Boß«, sagte Franzl demütig.

Jakob sah in das Abteil. Der Boß lag im unteren (und einzigen) Bett. Der Boß war kein Mann. Der Boß war eine Frau. Eine Frau in einem sehr ausgeschnittenen roten Seidennachthemd, eine sehr schöne Frau mit hellblauen Augen und blauschwarzem Haar, das ihr über die bloßen Schultern fiel.

Jakob klappte gegen das Gangfenster zurück.

»Der Werwolf!« keuchte er.

In der Tat, er war es.

Präziser gesagt: Es war die Werwölfin.

27

Auf flog die Tür der Wache.

»’ttention!« schrie George Misaras und stand selber stramm. Jesus und Mojshe nahmen Haltung an. Jakob, als befreiter Österreicher, brauchte derlei Unfug (bis auf weiteres) nicht mitzumachen. Das erste, was er sah, war eine sehr hübsche junge Frau mit hellblauen Augen, blauschwarzem Haar, das ihr über die Schultern fiel, und Kurven, Kurven … Jakob unterdrückte einen Pfiff, zum Glück, denn unmittelbar hinter dem Mädchen erschien ein höchstens zwanzig Jahre alter First Lieutenant. Stichelhaarig, blond – wenn’s Gott dem Allmächtigen gefallen hätte, ein idealer SS-Typ. Der Leutnant hielt der sehr jungen Frau einen Arm brutal auf den Rücken gedreht. Seine andere Hand preßte dem beklagenswerten Geschöpf einen riesigen Colt in die Rippen.