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Das war in der Nacht zum 13. August 1946, die dem heißesten Tag dieses Jahres folgte. Es herrschte immer noch eine Affenhitze …

Misaras salutierte übertrieben zackig. Der Leutnant war weiß vor Wut. Sofort schnauzte er los: »Sie sind der Ranghöchste?«

»Yesssirrr, Lieutenant, Sir!«

Der blonde Held der Neuen Welt ließ seine Blicke über die anderen Anwesenden schweifen. Dabei fiel ihm etwas auf.

»Der beschissene Zivilist da, wer ist das?«

»Unser Dolmetscher, Sir. Was kann ich für Sie tun, Sir, Lieutenant, Sir?« Der First Lieutenant mußte Gefühle empfinden, die selbst Napoleon niemals empfunden hat. Er schnauzte (aber sein Stimmbruch war immer noch nicht ganz vorüber): »Werwolf gefangen, Master-Sergeant!«

»Wo ist er, Sir?«

»Steht vor Ihnen, Master-Sergeant! Können Sie nicht sehen?«

»Der … der … das Mädchen da, Sir?«

(Erläuterung für jüngere Leser: Als der Krieg schon vollkommen verloren war, schickte Hitler auch noch alte Männer und Kinder an die Front, dieweilen er im tiefen Keller der Reichskanzlei saß. Bevor er sich dann tapfer umbrachte, gab er noch Befehl, daß auch nach der Niederlage junge Menschen als ›Werwölfe‹ weiterkämpfen und dem Feind größtmöglichen Schaden zufügen sollten. Ein paar Idioten taten das dann – ganz kurze Zeit.)

»Da staunen Sie, was?« kläffte der First Lieutenant. »Jawohl, die elende Bestie hier ist ein Werwolf! Hätte mich um ein Haar erwischt. Aber ich war schneller!«

»Wohl getan, Sir, Lieutenant, Sir«, sagte George unerschütterlich ernst. Mojshe, Jakob und Jesus sahen einander fassungslos an. Ein Irrer? »War schon in West Point stets schneller als jeder andere!«

(West Point ist die amerikanische Militärakademie.)

Ich wette, du hast in diesem fucked-up Krieg keinen einzigen Schuß gehört, du Milchgesicht, dachte George, während er sich ernst erkundigte: »Was hat das Mädchen – pardon, der Werwolf! – getan, Sir?«

Die junge Frau heulte plötzlich los wie ein Schloßhund, den Riesenrevolver immer noch im Rücken. Unabhängig voneinander dachten die drei Freunde besorgt: Das Heldenarschloch ist imstande und schießt uns das Girl hier in der Station über den Haufen! So was Blödes – da glaubt der, anderthalb Jahre nach Kriegsende, noch an den Werwolf!

»Fragen Sie ihn doch!« schnarrte der Lieutenant.

»Spricht der Werwolf englisch?«

»Nein.«

»Dann brauchen wir den Dolmetscher. Jake, komm her.«

»Vorsicht mit dem verfluchten Scheißzivilisten!« krächzte der First Lieutenant, der offenbar nicht anders reden konnte als ein zackiger deutscher Äh-Äh-Leutnant aus Kaiser Wilhelms Zeiten. Das weißblonde Haar war kurz geschoren, das Gesicht mit dem viel zu langen Kinn und der viel zu niedrigen Stirn war nun hektisch gerötet. »Ist der Dolmetscher nach Waffen durchsucht? Vielleicht ist der auch ein Werwolf!«

»Sicherlich nicht, Sir.«

»Werden es schon merken, wenn Sie sein Messer zwischen den Rippen haben! Keine Ordnung in diesem Land! Keine Disziplin! Keine Wachsamkeit!«

»Yesssirrr, Lieutenant, Sir!« brüllte George Misaras, während er dachte: Du weißt ja noch nicht einmal, wie man sich nach dem Scheißen abwischt. Er sprach gemessen: »Wir brauchen den Dolmetscher, Sir. Das Mädchen versteht nicht englisch. Wenn Sie uns bitte die Einzelheiten bekanntgeben wollen?«

Der Blonde hatte seine Sternstunde. Er entschloß sich zu einem abgehackten: »At ease!« Danach brauchten die drei Amis wenigstens nicht länger strammzustehen. »Robert Jackson Connelly mein Name.« Der Blonde kam in Fahrt. »War abends im ›Hawaii-Club‹. Bißchen tanzen. Coca-Cola trinken. Ich trinke niemals Alkohol, verstanden?«

»Yessssssirrrrr!« brüllten die drei MPs so laut, daß der Abstinenzler zusammenfuhr.

»Wie heißen Sie?« fragte Jakob die heulende junge Frau. »Und weinen Sie nicht. Es passiert schon nix.«

»Was sagt der fucked-up Nazi?« brüllte Connelly.

Jakob hatte die Schnauze voll. »Ich bin kein fucked-up Nazi, Sir«, sagte er mit größter Höflichkeit und in makellosem King’s English. »Ich habe das Mädchen nach seinem Namen gefragt.«

»Die kleine Mörderin heißt …«

»Hilde Korn«, sagte die junge Frau schluchzend. Soviel Englisch bekam sie noch mit.

»Weiter, Sir, wenn ich bitten darf«, sagte Misaras. Er war nicht zu erschüttern. Mojshe und Jesus vorläufig auch nicht – Männer, die in der Normandie unter schwerstem Beschuß die Steilküste hinaufgeklettert sind und den Westwall überrannt haben, kann man nicht so leicht erschüttern. Auch einen Mann nicht, der drei Jahre Rußland überlebt und sich einen stillen Leckt-mich-am-Arsch-Standpunkt zugelegt hat.

»Weiter …« Der West-Point-Mann straffte seinen Körper noch mehr.

»Um zehn den Club verlassen. Dieser Werwolf da sagt, ich soll noch zu ihr kommen. Hätte eine Wohnung. Sonst wahrlich nicht meine Art, verstanden?«

»Absolut, Sir, Lieutenant, Sir!«

»Hübsch, das Werwolf-Aas, nicht wahr? Ging also mit. Jeder geht mit einer Hübschen. Aber nicht jeder geht mit einem Werwolf!«

»Weiter, Sir, bitte.«

»Ich schone mich nicht, Sergeant. Ehrlich sei der Mann, aufrecht und treu! War angetan von dieser … Bestie. Drängte mich, sie zu kohabitieren.«

»Drängte ihn zu was?« flüsterte Mojshe, an Jesus gewandt.

»Zu ficken, Idiot«, flüsterte Jesus, an Mojshe gewandt.

»Bin schließlich ein Mann, verstanden?«

»Verstanden, Sir, Lieutenant, Sir. Wenn Sie es sagen!«

»Nehmen gemeinsam Bad. Bestie heuchelt Liebe und Leidenschaft. Gehen ins Bett. Dann geschieht’s.«

»Geschieht was, Sir?«

»Werwolf attackiert mich.«

»In welcher Weise, Sir?«

»Küßt mich …«

»Na ja …«

»Abwarten, Master-Sergeant, verdammt! Küßt Mund, Stirn, Augen, Brust … gleitet dann blitzschnell hinab … Wie gesagt, ich schone mich nicht … und nahm mein, Sie wissen schon was, zwischen die Zähne!«

»Hrm-mmm!«

»Zwischen die Zähne! Drücke ich mich klar genug aus?«

»Absolut, Sir.«

»Ich ihr sofort mit der Handkante eins ins Genick. Nahkampfausbildung West Point.«

»Gibt nichts Besseres, Sir, Lieutenant, Sir!« sagte Misaras.

Mojshe murmelte etwas und verschwand (trotz Westwall und Invasionserfahrung) blitzschnell im Hinterzimmer der Wache. Der hat Angst, daß es ihm jetzt in die Hosen geht, weil er nicht lachen darf, dachte Jakob. Aber ich? Was mache ich? Ich kann nicht verschwinden. Und wenn ich lache, ist alles aus. Die Rote Armee ist schon hinter mir her. Da hat mir dieser West-Point-Supertrottel gerade noch gefehlt. Der läßt mich hochgehen, wenn ich lache.

Jesus half sich in seiner Weise. »Unfaßbar«, würgte er hervor und verschwand gleichfalls. Nur George Misaras blieb eisern Herr der Lage. »Jake! Setz dich an die Maschine und nimm ein Protokoll auf. Frag das Girl, ob es das wirklich getan hat!«

»Hast du das wirklich getan?« fragte Jakob.

»Ja doch«, schluchzte die Blauschwarze. Sie hatte einen norddeutschen Akzent. »Besoffen waren wir beide, ich war geil, und da habe ich ihm einen blasen wollen, verstehst du das vielleicht?«

Jakob nickte stumm. Er konnte nicht sprechen. Er hatte Angst zu platzen. »Das ist doch das Natürlichste von der Welt! Alle anderen Amis sind selig, wenn unsereins so was tut. Aber ich … Mir muß so was passieren, Herrgott! Der ist ja noch eine männliche Jungfrau, Mensch!«

»What does she say?« Jakob übersetzte falsch.

»Lüge!« brüllte Connelly. »Von wegen sie war geil!«

»Ich kann es nicht begreifen, Sir«, sagte George Misaras. Der Kerl hat Drahtseile statt Nerven, dachte Jakob voller Hochachtung. »Warum tat sie es? Was, Sir, vermuten Sie, hat das Mädchen damit bezweckt?«

»Das fragen Sie noch, Master-Sergeant?« tobte Connelly. »Haben Sie nicht für einen Cent Verstand? Dieser Werwolf wollte ihn natürlich abbeißen, und ich wäre verblutet, hilflos verblutet!«