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Die Achsen hetzten, hetzten, hetzten …

Jakob griff in die Hosentasche.

»Nein!« sagte Laureen. »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.« Sie erstarrte. »Was hast du da?«

»Eine alte Hasenpfote«, erklärte ihr Jakob ruhig. »Habe ich gerade geschenkt bekommen. Wer sie besitzt, soll immer Glück haben.«

»Na, das werden wir ja gleich sehen. Konzentriere dich!«

Jakob nickte. Er senkte den Kopf, starrte die Hasenpfote an, als wolle er sie hypnotisieren und dachte nach. Über die elende Situation, in der er sich befand. Über seinen Privatkrieg, den er gewinnen wollte. Über seine Eier. Und über den Human touch.

Laureen zündete sich inzwischen eine Zigarette an. Sie benützte eine unmäßig lange goldene Spitze. Minuten verstrichen. Der Zug verlangsamte seine Fahrt. Ein paar schwache Lichter huschten vorüber.

»Da hätten wir Attnang-Puchheim«, sagte Laureen.

»Und da hätten wir den Human touch«, sagte Jakob.

Sie fuhr im Bett hoch.

O Gott, schon wieder, dachte Jakob. Diese Augen …

»Du hast ihn?«

»Ja.«

»Und du hast dich entschlossen, mit mir zusammenzuarbeiten?«

»Was bleibt mir denn anderes übrig?«

»Wie ist das mit dem Human touch?« fragte sie.

»Was schaut denn bei der Sache heraus?« fragte er.

»So rund zweihunderttausend Dollar.«

Jakob streichelte die alte, steinharte Hasenpfote. Dabei zeigte sich zum erstenmal, daß dieselbe wirklich Glück brachte und ihren Besitzer beschützte. Jakob dachte: So rund zweihunderttausend Dollar, hat das Weib gesagt. Du liebes Gottchen! … Da bleibt natürlich einiges für mich hängen! Mann, auch nur mit hunderttausend Dollar kann man heute ganz Deutschland kaufen! Deutschland? Den Trümmerhaufen will ich gar nicht! Aber mit guten Dollars könnte ich jetzt meine Eier- und Fertighäuserprojekte groß aufziehen! Ganz groß! Um Jakob drehte sich alles ein wenig. Das ist schon eine Pfote, diese Pfote!

Wenn das so weiterging!

»Einverstanden«, sagte er. »Hundertzwanzigtausend für mich, achtzigtausend für dich.«

»Ich sehe schon, ich werde mit meinem russischen Freund sprechen müssen.«

»Entweder wir einigen uns, oder du kommst nicht mehr lebend aus dem Abteil, Süße.«

»Hunderttausend für mich und hunderttausend für dich! Ich bringe den Paß!«

»Und ich bringe den Human touch.«

»Gefalle ich dir eigentlich gar nicht, Jake?«

»Okay, okay«, sagte Jakob. »Du hast dir in der Zwischenzeit doch sicherlich immer brav die Zähne geputzt nach der Werwolfgeschichte. Also schön. Hunderttausend für dich, hunderttausend für mich.«

»Moment mal, ja? Was ist der Human touch?«

»Wir müssen heiraten, Liebling.«

»Das nennst du Human touch?«

»Das nenne ich Human touch, ja! Die süße Zeit der Flitterwochen! Wir haben nur Augen und alles andere füreinander! Das Glück, stell es dir vor! Ganz jung verheiratet!«

»Wenn’s nichts Schlimmeres ist.«

»Du kommst als meine Frau mit nach Paris.«

»Als Señora Cortez?«

»Nein, als Mrs. Fletcher! Dazu muß ich einen falschen Paß auf den Namen Fletcher – Vorname ist mir egal – kriegen.«

»Wenn’s weiter nichts ist.«

»Hat der korrupte Handelsattaché einen Wagen mit einer CD-Nummer?«

»Ja. Einen großen.«

»Hast du eine Bankverbindung in Amerika?«

»Selbstverständlich. Wofür hältst du mich?«

»Sehr gut«, sagte Jakob. Dann begann er, den Human touch zu erläutern. Laureen war tief beeindruckt. »Großartig, Jake!« Sie ließ sich zurückfallen und lag jetzt ganz im Freien. »Schließlich werden wir nun doch bald als Eheleute auftreten«, sagte sie. »Da möchtest du dich vielleicht ein wenig besser bei mir auskennen.«

»Ich muß mich ganz genau bei dir auskennen«, sagte Jakob und stellte wieder einmal sein außerordentlich gutes Verständnis für Frauen unter Beweis. Mit vollem Erfolg …

Salzburg lag hinter ihnen, als Laureen, selig und schläfrig in seinen Armen, murmelte: »Jake …?«

»Hm?«

»Wenn du unbedingt willst, nimm dir hundertzwanzigtausend!«

»Ah, nein!« sagte Jakob. »Darauf hättest du vor Attnang-Puchheim eingehen müssen. Jetzt käme ich mir unanständig vor.«

31

»Gelobt sei Jesus Christus«, sagte Jakob Formann.

Er hatte die Caritas-Baracke im völlig zerstörten Münchner Hauptbahnhof betreten und kämpfte mit der Tür, die sich fast nicht schließen ließ, so schlimm tobte der Schneesturm.

Eine Schwester mit schwarzem Lodenumhang sah diesen höflichen, gläubigen Menschen freundlich an. »Wir sagen nur ›Grüß Gott‹«, sprach sie mit sanftem Lächeln. »Gelobt sei Jesus Christus … Ach, wie lange ist es her, daß jemand das zu mir gesagt hat! Ja, früher …«

»In meiner Familie haben wir Geistliche Herren und Geistliche Schwestern nur so gegrüßt, gute Schwester«, behauptete Jakob.

»In meiner auch. Gelobt sei Jesus Christus«, nuschelte der kleine, magere Mann, der mit Jakob in die Baracke geschlüpft war.

»In Ewigkeit. Amen … Wir sind komplett, aber für Notfälle haben wir immer noch ein Kämmerchen«, erklärte die gute Schwester. Sie mußte laut sprechen, um das Schnarchen, Röcheln und Rasseln der schlafenden Menschen, die hier herumlagen, zu übertönen. Zwei Minuten später ruhte Jakob auf einer Pritsche des Notfall-Kämmerchens. Auf einer zweiten Pritsche ruhte der Kleine. Die gute Schwester hatte sie mit dem Versprechen verlassen, für beide beten zu wollen, inniglich.

Und der Franzl und die Laureen liegen auf weichen Schlafwagenbetten im ›Orient-Expreß‹, dachte Jakob, und keiner betet für sie, inniglich. Nicht neidisch sein. Ich komme ja nach. Bald. Meine Eier haben Vorrang …

 

Der ›Orient-Expreß‹ hatte München um 5 Uhr 30 früh erreicht, besser: das, was von München übriggeblieben war, und das war sehr wenig. Jakob stand, vom Schneesturm umheult, und gähnte. Was so ein richtiger Werwolf ist, der ermüdet auch den geübtesten Herrn …

Unweit des Münchner Hauptbahnhofes erblickte Jakob den Eingang eines Tiefbunkers. Na, dachte er, da wird sich ja noch ein Plätzchen finden lassen. (Jakob konnte überall schlafen, auch auf Betonboden. Wenn man ihn nur ließ.)

Er erreichte den Eingang zum Tiefbunker. Dort stand eine Telefonzelle ohne Glasscheiben, so daß jedermann hören konnte, was ein kleiner Mann, der gerade telefonierte, sagte. Der kleine Mann sagte, der Kaffee könnte jetzt abgeholt werden. Neben sich hatte er einen Sack. Überstark roch der Kaffee. Jakob schnupperte. Zwei Bahnpolizisten, die neben der Zelle standen, mußten ihn eigentlich auch riechen. Offenbar nicht. Jakob wollte den Tiefbunker betreten. Daran wurde er durch einen verschlafenen Mann gehindert, der, dick vermummt, quer hinter dem Eingang des Bunkers auf dem Boden lag.

»Was wollen denn Sie?«

»Wer sind denn Sie?«

»Portier von diesem Hotel.«

»Blöde Frage. Schlafen.«

»Kommt gar nicht in Frage.«

»Warum nicht?«

»Weil … wir sind überkomplett«, sagte der Hotelportier. »Da gibt’s nur noch die Caritas-Baracke. Bahnhofsmission«, sagte der Vermummte auf dem Betonboden.

»Wohlan«, sagte Jakob. »Ich danke für den Hinweis.« Als er zu der Telefonzelle kam, fuhr da gerade ein Auto mit Holzvergaser vor. An der Windschutzscheibe steckte ein großes Schild. ARZT IM DIENST, las Jakob. Interessiert blieb er stehen und beobachtete, gemeinsam mit den beiden verträumten Polizisten, wie der kleine Schwarzhändler, der telefoniert hatte, den Sack zum Auto schleppte, dessen Fahrer den Kofferraum geöffnet hatte. Der Kaffee wurde verstaut. Geldpacken wechselten den Besitzer. Der ›Arzt im Dienst‹ fuhr ab. Der Kleine beleckte die klammen Finger und zählte Scheine.

»Immer lustig«, sagte Jakob zu den beiden Polizisten.

Derjenige, der ihm antwortete, sprach gepflegtes Hochdeutsch: »Was wollen Sie, mein Herr? Die Lage verschlechtert sich rapide. Verglichen mit heute haben hier vor einem Jahr noch zivilisierte Zustände geherrscht. Ich bin als einer der letzten aus Stalingrad herausgeflogen worden. Meinen Sie, ich riskiere nun in der Heimat mein Leben?«