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»Der hat doch gar keins gehabt!«

»Doch. Onkel Franz hat ihm eins verkauft.«

»Und wann ist es geklaut worden?«

»Gestern nachmittag.«

»Wo?«

»Am Stachus. Er hat Emil rasch die Butter bringen wollen.«

»Okay, was kann ich für Sie tun?« fragte daraufhin der bleiche, hohlwangige Buchbinder Josef Mader in einem Haus an der Schellingstraße, besser: im Keller eines Hauses, das es einmal an der Schellingstraße gegeben hatte. Den Keller gab es noch. Jakob stand dem Buchbinder in dessen Kellergeschäft gegenüber. Es roch nach Papier, Leim und Schweineschmalz. Schon die ganze Zeit während des Idioten-Dialogs hatte Jakob von den drei Gerüchen der nach Schmalz am meisten tangiert. Das Wasser war ihm zusammengelaufen im Munde. Herr Mader hatte Schmalz in dem seinen. Auf einem Stück Brot vermutlich. Er schien gerade Pause gemacht zu haben, als Jakob gekommen war, und hatte ein wenig undeutlich gesprochen. Schmalzbrot – das hatte Jakob seit Kindesbeinen am liebsten gegessen.

Die Fenster des Geschäfts befanden sich nahe der Decke des Gewölbes. Ab und zu sah man ein Paar Unterschenkel in Schuhen und Hosen vorübergehen. Durchlöchert, zerfetzt. Die Schuhe und Hosen. Schmalzbrot frißt der Kerl, dachte Jakob voll verzehrender Sehnsucht. Nach einem so großen Krieg. Und weiche keinen Fingerbreit … Ich deliriere ja schon, das gehört ganz woandershin, ich muß mich zusammenreißen!

Jakob überwand einen heftigen Anfall von Schwindel und schüttelte dem Schmalzbrotesser die Hand. Dann sagte er, daß er von Mrs. Fletcher komme.

»Das habe ich schon an dem Spruch gemerkt, den wir da aufgesagt haben von Robert und dem geklauten Fahrrad. Sie müssen das Theater verstehen«, sprach Mader, Jakob mitten ins Gesicht (richtiges Schweineschmalz, dachte er … von Gottes Wegen ab), indem er einen Arm um des Besuchers Schulter legte, »aber ich muß vorsichtig sein. Wir leben in gefährlichen Zeiten. Und da geht’s nicht ohne ein gutes Erkennungszeichen.«

»Wem sagen Sie das, Herr Mader?« antwortete Jakob (dem seine Hilde-Laureen den Erkennungs-Dialog beigebracht hatte) und dachte: Wenn der Kerl endlich runterschlucken würde, damit ich das Schmalz nicht mehr riechen muß!

Der Kerl versperrte die Eingangstür des Ladens, hängte ein KOMME GLEICH WIEDER-Schild daran und schluckte endlich. Gott sei Dank, dachte Jakob. Hat es eigentlich schon mal einen Schmalzbrot-Lustmord gegeben? Der Buchbinder ging zu einer Wand mit Stellagen. Ein Regal schwang zurück, nachdem Mader auf den Lederrücken eines Buches des Dichters Heinz Steguweit (der gerade verboten worden war) gedrückt hatte. Jakobs Blicken bot sich ein großes Hinterzimmer.

»Bitte, kommen Sie weiter«, lud Herr Mader ein. Jakob trat in das Hinterzimmer, das ebenfalls mit Bücherregalen bestückt war. Mader drückte auf den Lederrücken des ›Kapital‹ von Karl Marx (das gerade wieder erlaubt war). Das Regal schwang zurück und rastete mit lautem Klick ein. Jakob sah sich um. In dem zweiten Raum befanden sich Druck-, Zeichen- und Fälscherutensilien aller Art, als da sind Pinsel, Fläschchen, Stempel, Schreibfedern und dergleichen. Auch eine handliche Presse gab es. Das meiste befand sich auf einem überladenen Tisch. Ein Stückchen des Tisches war freigeräumt worden. An dieser Stelle erblickte Jakob einen Teller mit Graubrot, einen Salzstreuer, einen zweiten Teller mit drei bestrichenen Schmalzbroten, eine geöffnete Schmalzkonserve der Deutschen Wehrmacht sel., Messer, Gabel und eine Tasse voll dünnem Tee neben einer Teekanne. Die Narbe an Jakobs Schläfe begann zu zucken.

»Oh«, sagte unser Freund mühsam, »ich habe Sie beim Essen gestört, Herr Mader.« Er mußte die Augen schließen, denn er ertrug den Anblick der Schmalzbrote nicht.

»Aber überhaupt nicht«, sagte der Buchbinder munter. »Kleine Arbeitsruhe, sonst nichts. Was darf es also sein, lieber Herr Formann?«

Die Augen blinzelnd geöffnet, setzte sich Jakob auf die alte Handpresse.

»Einiges.« Mader nickte, setzte sich auf einen Sessel und aß weiter. Dazu schlürfte er Tee. Jakob fuhr fort: »Auf Mrs. Fletchers Kosten.«

»So ist es.« Mader nickte. »Mrs. Fletcher ist Dauerkundin. Was haben Sie denn, mein Gott? Ist Ihnen nicht wohl? Sie haben vielleicht noch nicht gefrühstückt?« Jakob konnte das nur noch mit einer Kopfbewegung bestätigen. »Um Himmels willen, dann nehmen Sie doch, nehmen Sie doch – es ist zwar nur Schmalzbrot und Kamillentee, warten Sie, ich hole noch eine Tasse …«

»Vergelt’s Gott«, flüsterte Jakob.

»Wenn ich also bitten darf«, sprach der Fälscher. Er überreichte ein Schmalzbrot. Jakob saß erstarrt.

»Nun beißen Sie schon hinein!«

Jakob biß. Kaute. Schluckte. Biß wieder. Begann sich wie ein reißender Wolf zu betragen. Ja, dachte er taumelig, so schmeckt das eben. Ach, diese Wonne, ach, diese Seligkeit!

»Langsam! Langsam! Es gibt noch mehr, und niemand nimmt Ihnen etwas weg, Herr Formann. Hier, ein Schlückchen Tee.« Jakob trank. Jakob aß. Jakob trank. Jakob aß.

»Seit meiner Kindheit …«, begann er, bekam etwas in die falsche Kehle, und Mader mußte ihm auf den Rücken klopfen und auffordern, die Arme zu heben. Eben noch entging Jakob dem mit Recht als qualvoll bezeichneten Erstickungstod. »… seit meiner Kindheit gibt es nichts Schöneres für mich als Schmalzbrote. Ich bitte Sie, mir mein Betragen zu verzeihen, Herr Mader!«

»Aber Herr Formann! Kann ich doch verstehen! Geht mir doch genauso! Essen Sie, essen Sie! Es sind noch genug Büchsen da. Ich habe sie mir herübergerettet aus dem Krieg. Traurig genug.«

»Was?«

»Was die Hunde den armen Landserschweinen zugemutet haben!« Mader empörte sich und schlug auf den Sattel seines Fahrrades, das neben ihm, an eine Wand gelehnt, stand. Die Klingel schepperte.

Danach wurde die Unterhaltung ein wenig chaotisch.

»Wie kommt denn hier ein Fahrrad her?«

»Na, sind in dem Schmalz vielleicht genug Zwiebeln für Ihren Geschmack drin? Ich hab’ einen kleinen Handel mit Fahrrädern.«

»Ein bißchen mehr Zwiebeln könnten schon drin sein. Woher haben Sie Fahrräder, Herr Mader?«

»Ein bißchen mehr? Ich sage Ihnen, die Schweine haben alles für sich behalten!«

»Welche Schweine?«

»Na, die Bonzen natürlich! So um einundvierzig herum hat’s plötzlich geheißen, wir machen nach einem genialen Einfall des Führers ein Giftgas aus Zwiebeln, weil die bösen Feinde angeblich ein Gas aus Senf gemacht haben. Das war der Grund, warum es keine Zwiebeln mehr gegeben hat! Erinnern Sie sich nicht?«

»Ich war den ganzen Krieg an der Front, Herr Mader.«

»Dann glauben Sie mir! Giftgas – lächerlich! Selber haben sie die Zwiebeln fressen wollen, die Bonzen, und reintun ins Schmalz. Ganz abgesehen von den guten Grieben. Finden Sie eine einzige Griebe in dem Schmalz da?«

»Leider nicht. Zunächst einmal brauche ich einen amerikanischen Paß auf den Namen Fletcher.«

»Da jetzt neue Zwiebeln reinzumengen, wäre Wahnsinn. Schmeckte niemals! Abgesehen davon, daß es Zwiebeln nicht gibt. Die haben gedacht, sie können einfach alles mit uns machen, die Schweine. Sie haben Glück. Erst gestern ist wieder eine Sendung reingekommen. Sie müssen nämlich zuerst einen amerikanischen Paß haben, wenn Sie einen fälschen wollen, wissen Sie?«

»Weiß ich, ja. Und … und Sie handeln auch mit Fahrrädern?«

»Wann wollen Sie geboren sein?« Mader schluckte Reste und packte den nächsten Kanten. Wie kann ein Mann nur so verfressen und dabei so abgemagert sein? sinnierte Jakob. »Klar. Dachten Sie, ich bin Sammler?«

»Von was?«

»Von Fahrrädern! Sie haben mich doch gefragt, oder?«

»Hab’ ich, ja. Irgendwann. 1920, 21, 22. Monat und Tag egal. Wie Sie’s am leichtesten fälschen können. Ich bin in Eile. Visa für Frankreich und Belgien, bitte. Noch mindestens drei Monate gültig, die Visa. Und Sie glauben wirklich, daß die Bonzen auch alle Grieben …«

»Klar! Lieb Vaterland, magst ruhig sein. Vorname?« Mader hatte einen Block herausgezogen, einen Bleistift genommen und machte mit einer fettigen Hand fettige Notizen.

»Zwei Vornamen, bitte. Suchen Sie sich zwei aus. Solche, wo Sie am wenigsten Arbeit mit haben. Mir sind die Namen egal. Meiner Frau auch.«