»Was ist schon ein Name? Sie haben ganz recht. Sie sind also der Herr Gemahl von Mrs. Fletcher.«
»Ja. Dürfte ich … noch ein Brot …«
»Soviel Sie wollen, lieber Herr Formann. Freut mich, daß es Ihnen schmeckt. Ordentlich Salz drauf!«
»Wir haben vor einem halben Jahr geheiratet. Danke. Salz gibt’s wenigstens noch frei. Halbes Jahr, schreiben Sie sich’s auf!«
»Schon geschehen. Herzlichen Glückwunsch zur Vermählung, Herr Formann. Natürlich brauchen Sie auch noch andere Dokumente. Wollen mal sehen.« Mader rieb sich die Fettfinger am Hosenboden sauber, während er zu einem Wandtresor schritt. Als Herr Mader den Tresor öffnete, sah Jakob beglückt, daß der zum Bersten gefüllt war mit Dokumenten aller Art. Und mit Schmalzkonserven.
»Laureen hat mir gesagt, Sie haben einfach alles, Herr Mader.«
»Da hat Laureen die Wahrheit gesagt. Es gibt wirklich nichts, was ich nicht habe.«
»Aber wo bekommen Sie das ganze Zeug her?«
»Wo hat der Hermann Göring seine Giftkapsel herbekommen, hä?« Mader erleichterte sich durch sanftes Aufstoßen. »Nun wollen wir mal sehen, was wir alles brauchen für Sie …« Er wühlte in seinen Beständen.
»Von einem … Sie kriegen das alles tatsächlich von den Amis?«
»Wenn Deutsche einen Ami dazu bringen, so eine Zyankalikapsel in Nürnberg bis in die Zelle zu schaffen, dann werde ich ja wohl hier in München auch meine Möglichkeiten haben. Bei mir geht’s schließlich nicht um Tod und Leben.«
»Trotzdem. Billig werden Ihre Lieferanten nicht sein!«
»Glauben Sie, ich bin billig? Aber meine falschen Papiere sind echter als echte! Keine Sorgen. Noch ein Schmalzbrot? Zahlt alles die werte Frau Gemahlin. Wenn Sie noch was Russisches oder Englisches benötigen …«
»Im Moment nicht, lieber Herr Mader.«
»Bitte, bitte. Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, daß ich mit den Alliierten zusammenarbeite.«
»Wie schön. Vielleicht ein andermal. Natürlich auch Visa für Austria und Germany. Laufdauer, was Sie verantworten können.«
»Dann würde ich den Stempel ›Special Mission‹ empfehlen, Herr Formann.«
»Wie es Ihnen am besten erscheint, lieber Herr Mader.«
»’n Geburtsschein brauchen Sie unbedingt.« Und nun wählte der Künstler ein Dokument nach dem anderen aus dem Tresor. »Heiratsurkunde, Social Security Card … Ich kann Ihnen sagen, bei mir geht’s vielleicht zu! Ich arbeite Tag und Nacht!«
»Tck, tck, tck.«
»So was von Andrang habe ich seit 1933 nicht mehr gehabt!«
»Waren Sie Soldat?«
»Nee, Fälscher. Bei der Abwehr. Canaris. Da habe ich alles erst richtig gelernt. Legen Sie mal für einen Moment das Schmalzbrot hin, ich will Paßfotos von Ihnen machen.« Sie gingen in einen weiteren Raum, und Mader fotografierte. »Mit sechs, sieben Tagen müssen Sie aber schon rechnen – ist doch ein Haufen Arbeit!«
»Gewiß, Herr Mader. Ach ja, richtig: Etwas Briefpapier mit Adresse und feine Kuverts mit Adresse brauche ich auch.«
»Die pisse ich Ihnen besoffen in den Schnee. Auch auf den Namen Fletcher?«
»Nein. Ich habe Ihnen alles aufgeschrieben. Hier. Miguel Santiago Cortez.«
»Und die Adresse, Herr Formann? Wir können wieder zu unseren Schmalzbroten gehen.« Sie gingen. Jakob überreichte Mader einen Zettel. Der las: »Miguel Santiago Cortez, Calle de Baldomero Moreno, Buenos Aires« und pfiff laut und lange durch die Zähne.
»Warum?« fragte Jakob, schon wieder mit vollem Mund.
»Warum was?«
»Warum haben Sie eben so langgezogen gepfiffen?«
»Wegen dem Namen. Das ist einer der reichsten Männer Argentiniens, dieser Cortez. Hab’ erst vor ein paar Tagen einen Artikel in der NEUEN ZEITUNG gelesen.«
»Ich wohne übrigens in der feinsten Gegend der Stadt«, gab Jakob gelassen bekannt.
»Waren Sie denn jemals dort?«
»Wann soll ich denn da hingekommen sein? Und wie? Mrs. Fletcher hat es mir gesagt, und dann hat sie mir noch einen Stadtplan gezeigt. Das genügt … Hören Sie, Mrs. Fletcher hat doch ein laufendes Konto bei Ihnen …«
»Ja, warum?«
»Weil ich dringend ein Fahrrad brauche«, antwortete Jakob. »Ich glaube, ich nehme das da an der Wand. Sie verrechnen es zusammen mit den Papieren. Vielen Dank. Donnerwetter, Sechsgangschaltung! Habe ich mir immer schon gewünscht.« Jakob strich zärtlich über die Lenkstange. Dann fiel ihm etwas ein. »Ach, könnte ich vielleicht zwei Fahrräder haben?«
»Selbstredend. Es stehen noch welche in der Dunkelkammer«, sagte Mader.
34
»Haut ab oder ich knall’ euch über’n Haufen, ihr dreckigen Krauts!« sprach der riesenlange MP beim Eingang zur McGraw-Hill-Kaserne an der Tegernseer Landstraße in München. Der Anblick war grotesk. Vor dem wohlgenährten, warmgekleideten, kaugummikauenden Helden der Neuen Welt standen frierend, rotgesichtig und blinzelnd zwei gar jämmerlich anzusehende Besiegte der Alten Welt im Schnee und hielten sich an Fahrrädern fest. Träumerisch griff der Ami nach seiner Pistole.
Schon wieder ein Texaner, dachte Jakob. Haben die ein Monopol für Schnauzerei? Na, wenn es denn gar nicht anders geht, und obwohl ich es hasse, da hilft nur eins: zurückschnauzen! Er tobte los in schönstem Amerikanisch: »Also bitte! Ich habe es mit Freundlichkeit versucht und Sie gebeten, uns bei Governor van Wagoner anzumelden, der unseren Besuch erwartet! Was haben Sie getan, Mann? Angebrüllt haben Sie uns, Mann! Schnauze, jetzt rede ich! Schon mal was von General Mark Clark in Vienna gehört? Und von General Clay in Berlin? Maul halten! Antwort!«
»Ye … ye … yes, Sir …«, stammelte der uniformierte Riese verblüfft. An allerhand war er gewöhnt. Daran, daß ihn ein deutscher Zivilist anbrüllte, noch nicht. Ein Verrückter, dachte er, ängstlich nach dem Knopf der Alarmsirene tastend, der sich hinter ihm an der Außenseite des Wachhäuschens neben einer weiß und rot gestreiften, geschlossenen Schranke befand.
»Versuchen Sie bloß nicht, Alarm auszulösen! Hände nach vorn! Na wird’s bald?« Der Texaner stand mit offenem Mund da und würgte nach Worten. Es kam nichts heraus. Jakob griff in die innere Jackentasche und förderte einen Haufen Papiere zutage. »Da! Und da! Und da! Vorwärts, Mann, lesen Sie! Oder lassen Sie es sich vorlesen!«
Die Papiere waren Empfehlungsschreiben der Herren Clay und Clark an den Militärgouverneur für Bayern, Murray D. van Wagoner. Der Texaner las sie mit bebenden Lippen.
»Bißchen schneller!« tobte Jakob. Das ist das Feine an meinem Krieg: Jetzt tobe ich mal mit den anderen, so wie die anderen sieben Jahre mit mir getobt haben. Jetzt sind sie alle für mich nur der letzte Dreck, so wie in den vergangenen sieben Jahren ich der letzte Dreck für sie gewesen bin. Das waren zwar andere, aber darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Jetzt habe ich endlich meine Freiheit! Freiheit – das ist der Zustand, wenn man nichts mehr zu verlieren hat! Jakob schrie: »Fertig?«
»Yes, Sir, Mister Formann …«
»Worauf warten Sie dann noch? Wollen Sie vielleicht gütigst ans Telefon treten und uns bei dem Herrn Gouverneur anmelden?«
»Certainly, Mister Formann … Aber der andere Gentleman … in den Papieren ist nur von Ihnen die Rede …«
»Das ist Mister Prill, mein Stellvertreter!« brüllte Jakob, daß seine Stimme kippte. Muß ich noch üben, die Brüllerei, dachte er.
»Entschuldigen Sie, Mister Formann … Konnte ich nicht wissen …«
»Make it snappy!« sagte der kleine Wenzel Prill, der in seinen Lumpen erbärmlich fror, scharf und schmallippig. Jakob sah ihn bewundernd an. Der hat den rechten Ton, dachte er ergriffen, als er sah, wie der Texaner sich einen Feldtelefonhörer aus dem Wachhäuschen angelte und nun seinerseits (wie so was ansteckt, dachte Jakob. Na ja, wir haben’s ja gerade mit einem ganzen Volk erlebt!) zu brüllen begann: »Mister Formann and Mister Prill asking to see Governor van Wagoner! … I don’t give a shit if he’s busy! These two gentlemen have papers from General Clark and General Clay, you fucked-up idiot!« Junge, Junge, das hat aber schnell gewirkt, dachte Jakob zufrieden, während er den Texaner weitertoben hörte. Zuletzt legte dieser den Hörer hin, brüllte nach einem zweiten MP, der erschrocken aus dem Wachhäuschen kam, und trug dem unschuldigen Wesen auf, die beiden Gentlemen zu Gouverneur van Wagoner zu geleiten. Die beiden Gentlemen schritten hoheitsvoll an dem Texaner vorbei. Der starrte sie an wie Fabelwesen. »Pardon me … Aber ich konnte wirklich nicht wissen … Es ist nur meine Pflicht …«