Ich fragte Robin, ob er und Evelyn schon mal einen Hurrikan ausgesessen hätten, und wurde ob meiner Naivität mitleidig belächelt.
«Den kann man nicht aussitzen«, versicherte mir Evelyn.
«Da haut’s einen vom Stuhl. Sie sind doch Wetterkund-ler. Ich dachte, Sie wüßten so was.«
«Er weiß es in der Theorie«, erklärte ihnen Kris zu meiner Entschuldigung.»Er weiß, wie Hurrikane entstehen, aber niemand weiß, warum. Er weiß, woher sie ihren Namen haben, aber nicht, wohin sie gehen. Er ist nicht nur Doktor der Physik, sondern auch der Philosophie, das findet man selten unter Wetterkundlern, und eigentlich sollte er dem Warum, das niemand kennt, nachgehen, statt in der Sonne Drinks zu schlürfen, aber lassen Sie sich gesagt sein, er ist nur hier, weil ich vorhabe, mit ihm durch das Auge eines Hurrikans zu fliegen, und nicht, um Kokosmilch mit Ananassaft und Rum kennenzulernen.«
Robin drehte die Augen und auch die Hand, die das Glas hielt, zu mir hin.»Ist das wahr?«sagte er.
«Diesen Abend hätte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen«, erwiderte ich. Ich hielt meinen Drink in die Sonne, aber er war undurchsichtig wie manche Fragen und ließ kein Licht durch.
Kapitel 3
Robin, mit seinem Telefon so freigebig wie mit seinem Rum, lauschte mit kaum verhohlener Spannung meinem Bericht über das Wettergeschehen in jenem Meeresteil, der nach den furchterregenden Kariben benannt ist, einem Indianervolk, das die Inseln und Küstengebiete zwischen beiden Amerikas eroberte und dort ein Folterregiment führte, bevor Kolumbus und die europäischen Kolonialisten sie ihrerseits vertrieben.
Auch heute noch, sagte Robin, wurden die warmen blauen Gewässer von Piraten heimgesucht, brutalen Banditen in modernem Outfit, die Jachten enterten und deren Eigner umbrachten, wenn sie auch vielleicht keinen so hohen Blutzoll forderten wie früher. Lächelnd merkte er an, daß die Wörter >Karibe< und >Kannibale< etymologisch auf dieselbe Wurzel zurückgingen.
Ich telefonierte mit einem Mann vom Hurricane Center in Miami, den ich von vielen früheren Gesprächen kannte, und ließ mir den aktuellen Stand der Höhenwinde darlegen.
«Odin macht sich gut«, meinte er.»In der Nacht hat es Anzeichen von Organisation gegeben. Jetzt würde ich nicht mehr sagen, daß Sie umsonst über den Teich gekommen sind. Rufen Sie morgen wieder an, da haben wir vielleicht mehr. Der Sturm läßt sich viel Zeit, er bewegt sich mit höchstens zehn Kilometern die Stunde vorwärts. Wir haben bodennahe Durchschnittswinde von fünfzig, sechzig Kilometern, aber noch kein Auge.«
«Sollen wir knobeln?«meinte ich zu Robin.
«Bei Kopf wird es ein Hurrikan.«
«Wollen Sie, daß es ein Hurrikan wird?«fragte ich neugierig.
Mir sah es zwar ganz danach aus, aber er schüttelte den bebrillten Schädel und sagte:»Bestimmt nicht. Ich wohne seit vierzig Jahren hier in Florida und bin jedesmal, wenn’s kritisch wurde, ins Landesinnere ausgewichen. Mit Überschwemmungen haben wir auch Glück gehabt. Einen knappen Kilometer vor der Küste verläuft hier parallel zu ihr ein Riff, das hält Sturmfluten irgendwie zurück und unterbindet die Bildung großer Wellen. Wo kein Riff ist, fordert nicht der Wind, sondern das Wasser die meisten Menschenleben.«
Wenn man so lange in einer Hurrikanstraße lebte, bekam man wohl zwangsläufig ein paar mörderische Zahlen mit, und am Abend meines (herrlichen) zweiten Tages unter seinem Dach schaltete Robin den Wetterkanal ein, damit wir sehen konnten, wie Odin sich machte.
Beeindruckend gut, war die Antwort.
Der Luftdruck im kreisenden Zentrum des tropischen Sturmtiefs Odin, so verkündete die fröhliche Stimme eines Ansagers, war in den vergangenen zwei Stunden um zwanzig Millibar gefallen. Das hatte es fast noch nie gegeben. Offiziell jetzt als schwerer tropischer Sturm bezeichnet, der Winde von hundert Stundenkilometern hervorbrachte, lag Odin gut dreihundert Kilometer südlich von Jamaika und zog mit elf Stundenkilometern nach Norden.
Robin nahm die Informationen nachdenklich auf und erklärte, am nächsten Tag würden wir alle miteinander nach Grand Cayman fliegen, um uns ein paar Tage auf der Insel zu sonnen.
Da wir heute schon den ganzen Tag im darcyschen Pool geschwommen, darcysche Durstlöscher getrunken und in Floridas Sonne gelegen hatten, konnte es Robin nur um eines gehen — entweder direkt in Odins Auge zu gelangen, oder aber wenigstens in sein Blickfeld.
Kris lief mit langen, federnden Schritten zwischen dem sonnigen Pool und der halb im Schatten liegenden Terrasse umher. Odin war nach den Radar- und Satellitenmessungen für seinen Geschmack zu klein, zu langsam und zu weit vom Land entfernt. Robin meinte trocken, es tue ihm leid, daß er nichts Besseres anzubieten habe.
Evelyn fand Hurrikanhaschen einen gefährlichen und unreifen Zeitvertreib und sagte, sie werde nicht mit nach Grand Cayman fliegen, sondern gemütlich zu Hause bleiben, worauf Robin ihr klarmachte, daß Odin, das brüllende Monster, wenn er an Stärke zunahm und nach alter Hurrikanmanier plötzlich die Richtung wechselte, sie gerade hier erwischen könnte, statt zu uns zu kommen.
«Außerdem«, fuhr Evelyn unbeirrt und kein bißchen eingeschüchtert fort,»gibt es heute abend Stone crabs, eine hiesige Spezialität, und danach kann uns Kris das Gedicht vortragen, das er schon den ganzen Tag in seinen Bart murmelt, und danach könnt ihr euch die Wetterberichte ansehen, solange ihr Lust habt, bloß weckt mich morgen früh nicht, denn ich fliege nirgendwohin.«
«Was für ein Gedicht denn?«fragte Robin.
«Gar keins. Ich gehe schwimmen«, gab Kris zurück, und bei Sonnenuntergang war er immer noch am Pool.
«Er hat ein Gedicht hergesagt«, beklagte sich Evelyn.
«Wieso streitet er das jetzt ab?«
«Lassen Sie ihm Zeit«, sagte ich aus Erfahrung.
Zu gegebener Zeit würde er das Gedicht entweder vortragen oder es zerreißen. Das hing von seiner Stimmung ab.
Die Stone crabs am Abend, mit Senfsauce und grünem Salat, waren unvergleichlich besser als Fischpastete mit Petersilie, und beim Kaffee draußen auf der Terrasse, umrahmt von weichem Licht, sagte Kris ohne Vorrede:»Ich war ja in Cape Canaveral.«
Wir nickten.
«Ich will durch einen Hurrikan fliegen, aber die ersten Astronauten, die haben damals auf unzähligen Tonnen Raketentreibstoff gesessen und ein Streichholz drangehalten. Ihnen… widme ich mein Gedicht. Es handelt von Cape Canaveral, von der Vergangenheit. von der Zukunft.«
Unvermittelt stand er auf und ging mit seiner Tasse Kaffee ans Ende der Terrasse. Nüchtern kam seine Stimme aus der Dunkelheit.
«Verlassen sind die Abschußrampen aus Beton, umgeben von staubigem Gras,
Sieben-Meter-Kreise sind es, mit kaum einer Brandspur. Raketen standen dort, und darin eingeschlossen harrten Menschen, vertrauensvoll und mutig, auf den Abflug zu den Sternen.«
Niemand sagte etwas.
Kris fuhr fort:
«Heute fliegen Shuttles routinemäßig zu einer Raumstation.
Fahrpläne, Bordpässe für Raumreisende werden folgen.
Und wer hat dann einen Gedanken, ein Dankeschön noch übrig für die Kreise dort im Gras?«
Wieder Schweigen.
Kris schloß:
«Bewegte Jahre werden hingehen über das alte Cape.
Sternstunden, bange Momente verblassen, verwehen, vergrasen werden die Kreise aus Beton.
Die ersten Marsmissionen
gingen von einer Rampe im Orbit aus.«
Kris kam herüber und stellte seine Kaffeetasse auf den Tisch.»Wie man sieht«, scherzte er, um seinem Gedankengang die Schwere zu nehmen,»bin ich kein John Keats.«
«Trotzdem ein interessantes Aper9u«, hielt Robin dagegen.
Kris überließ es ihm, Evelyn zu erklären, was ein Aper9u sei, ging mit mir zum Rand der Terrasse und schaute auf das Abbild des Mondes im Pool.